𝘗𝘳𝘰𝘭𝘰𝘨

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„Du Arschloch!"

Verwirrt stolpert mir Ethan hinterher und will nach meinem Arm greifen, ich ziehe ihn jedoch weg und funkle ihn wütend an.

„Florence, bitte! Lass es mich erklären!"

„Was gibt's da zu erklären? Du hast ein anderes Mädchen geküsst!"

„Ja, aber-"

„Halt einfach die Klappe!"

Ich stürme auf die Tür zu und werfe sie auf. Mit einem lauten Knall fliegt sie gegen die Wand, sodass Ethan zusammenzuckt, aber das ist mir egal. Sofort bläst mir die kühle Herbstluft von draußen entgegen und ich bekomme eine Gänsehaut. Trotzdem trete ich über die Schwelle und werfe Ethan noch einen letzten verächtlichen Blick zu:

„Präg dir dieses Bild gut ein, denn du wirst mich nie wieder in deinem Haus sehen!"

„Flo-"

Doch seine erbärmlich schlechte Ausrede wird dadurch unterbrochen, dass ich die Tür vor ihm zuknalle und über die Einfahrt auf die Straße hinaus renne. Meine Zähne beginnen zu klappern und ich schiebe mir meine frierenden Hände schnell in die Taschen meiner Jeansjacke. Eigentlich ist es in Diaville zu dieser Jahreszeit immer so kalt, aber ich vergesse trotzdem jedes Jahr aufs Neue, dass ich mir wärmere Kleidung zulegen sollte.

So laufe ich zitternd die dunkle Straße entlang, während ich langsam realisiere, was gerade passiert ist. Ethan und ich kennen uns schon seit dem ersten Jahr auf der Diaville High, aber bis vor ein paar Monaten hatten wir nie wirklich Kontakt miteinander. Aber als er auch in das Schulorchester gekommen ist, haben wir uns angefreundet. Ein paar Milchshakes im Wally's und ein paar gute Gespräche später war es so weit: Ich hatte Schmetterlinge im Bauch und er offensichtlich auch.

Ohne es wirklich zu wollen, lasse ich die ganzen letzten zehn Minuten noch einmal in meinem Kopf Revue passieren:

Glücklich drücke ich auf die Klingel und warte, bis er mir aufmacht. In meiner Handtasche habe ich eine Tafel Schokolade und meinem Lieblingsfilm, Dirty dancing. Vor ein paar Tagen hat er erwähnt, dass er die alten Klassiker genauso mag wie ich, also habe ich beschlossen, ihn mit einem Filmabend zu überraschen.

Zu meiner Verwunderung öffnet mir aber nicht er, sondern sein Vater, der sich verlegen an seiner Glatze kratzt. Ich lächle ihn an, schiebe mich an ihm vorbei und laufe die Treppe hoch in sein Zimmer. Dort öffne ich grinsend die Tür, nur um meinen Fast- Freund dabei zu erwischen, wie er mit Alison Becker rummacht.

Ein verächtliches Grinsen schleicht sich auf meine Lippen. Wenn er keine höheren Ansprüche als Alison Becker hat, hätte ich ihn von Anfang an an den Nagel hängen sollen. Wortwörtlich.

Trotzdem sammeln sich ein paar Tränen in meinen Augen, die ich schnell wegwische. Nicht mehr lange, dann bin ich zuhause und kann in Ruhe in meinem Bett heulen.

Abrupt bleibe ich vor einer Wegkreuzung stehen. Es gibt zwei Wege zu mir nachhause:

Der erste führt über die normale Hauptstraße, sie ist hell beleuchtet und sicher. Dieser Weg dauert aber ewig lang, und ich will dringend sofort heim. Also entscheide ich mich für die Abkürzung durch ein paar dunkle Gassen. Normalerweise habe ich Angst vor so etwas, aber da meine Gedanken gerade sowieso nur bei Ethan sind, ist es mir heute egal.

Also werfe ich noch einen letzten Blick auf Ethans Haus, ehe ich seufzend in eine der Nebengassen einbiege. Wieder beginne ich fast zu weinen, aber diesmal sieht mich hier eh niemand. Also kneife ich die Augen zusammen und spüre, wie ein paar Tränen stumm meine Wange hinunter rinnen.

Er war der erste Junge seit... Naja, seit immer, den ich irgendwie mochte.

So gehe ich flennend die enge Gasse entlang, bis ich irgendwann nicht mehr kann und mich gegen eine dreckige Mauer lehne. Alles wird gut, ich bin gleich zuhause. Schluchzend wische ich mir wieder die Tränen weg, stehe ein paar Minuten einfach nur da und starre die Wand gegenüber von mir an.

Es ist mucksmäuschenstill. Ich sehe fast gar nichts, nur die Mondsichel am Himmel sorgt für ein wenig Licht. Also suche ich in meiner Handtasche nach meinem Handy für die Taschenlampe, als ich plötzlich geschockt in der Bewegung inne halte.

Es ist mucksmäuschenstill. Normalerweise zirpen hier immer die Grillen oder man hört ein Motorrad von der Hauptstraße, aber hier ist kein Laut zu hören. All meine Gedanken an Ethan verfliegen sofort, als ich mir mein Handy schnappe mit zitternden Fingern die Taschenlampe anmache.

Zögerlich leuchte ich in die Gasse und stelle fest, dass hier niemand ist. Nichts auf dem dunklen Weg vor mir rührt sich. Mein ungutes Gefühl vergeht aber trotzdem nicht. Meine zitternde Hand umklammert mein Handy, als ich meinen ganzen Mut zusammennehme und ein paar Schritte nach vorne gehe. Nichts passiert. Also atme ich noch ein paar Mal tief aus und ein und gehe mit schnellen Schritten, die schon fast in ein Laufen übergehen, weiter.

Alles ist gut. Hier in Diaville ist schon seit Jahren kein ernsthaftes Verbrechen mehr passiert. Wieso sollte es nun gerade mich treffen?

Die Zeit vergeht trotzdem quälend langsam und es kommt mir so vor, also würde ich mich viel langsamer als sonst fortbewegen. Noch dazu kommt, dass ich ein unangenehmes Kribbeln in der Nähe meines Herzens spüre. Aber das ist sicher nur die Angst. Und bei dem Tempo, mit dem mein Herz gegen meine Brust hämmert, ist es wahrscheinlich auch noch normal. Ich kann nichts hören, bis auf sein schnelles Schlagen und meine unsicheren Schritte.

Da passiert es. Ein lauter Knall geht durch die kalte Nachtluft, der mich so erschreckt, dass ich stolpere und auf den Boden stürze. Ich kann mich gerade noch mit meinen Ellbogen auffangen, die sofort zu schmerzen beginnen. Na toll, die Jacke ist jetzt sicher kaputt. Trotzdem wage ich es nicht, mich zu bewegen, und bleibe still auf der Erde liegen.

„Verdammte Scheiße, was macht diese Mülltonne hier?", beschwert sich eine junge Männerstimme. Ich zucke erschrocken zusammen. Wie ist der so schnell hierher gekommen? Er flucht noch ein wenig weiter vor sich hin, bis er wieder deutlicher meint: „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich keine Sekunde mehr in diesem Kaff verschwenden."

Mir steigt ein modriger Geruch von dem Boden in die Nase. Ich verziehe das Gesicht und hoffe, dass der Mann gleich von hier verschwindet, damit ich wieder aufstehen kann. Vermutlich telefoniert er gerade, denn er meint nach einem Moment Stille:

„Widersprichst du mir etwas gerade?" Plötzlich hat seine Stimme einen so drohenden Ton angenommen, dass es mir einen kalten Schauer über den Rücken jagt. Nur ein paar Momente später aber lacht er dreckig auf: „Hab' ich mir gedacht. Ihr habt ja keine Ahnung, wie wichtig dieser Plan für unser alles Zukunft sein wird. Ihr werdet hierbleiben und ihn ausführen, verstanden?"

Seine Schritte entfernen sich langsam von mir. Seine nächsten Worte höre ich nur noch ganz leise: „Ich dulde keine Fehler. Ihr bleibt in dieser Stadt, bis der Auftrag erfüllt ist. Und jetzt mach dich endlich an die Arbeit und finde sie!"

Damit ist er verstummt. Ich bleibe noch ein paar Sekunden am Boden, bis ich mich aufraffe und mir den Dreck von der Hose beutle. Dann sprinte ich los zu mir nachhause.

Was auch immer ich gerade mitbekommen habe, es verschafft mir ein unwohles Gefühl in der Magengrube. Wer war das und was tut er hier in Diaville? Und noch wichtiger: Was ist dieser ominöse Auftrag?

how to survive modern witchcraftWhere stories live. Discover now