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Nach zwei Tagen in dieser verdammten Kutsche hatte Seyla irgendwann aufgehört mitzuzählen, wie oft sie über eines dieser schrecklichen Schlaglöcher von Darolyns elendigen Gebirgsstraßen fuhren. Sie wäre sonst sicher schon irgendwo bei tausend.

Reisen durch Darolyn waren stetes beschwerlich. Das Nördlichste Reich von Mervyl war zwar dank der unzähligen Goldminen im Westen mit Abstand das reichste der fünf Königreiche des Kontinents, wohl aber auch das ungemütlichste. Wenn nicht schon eine dieser schrecklichen Straßen oder ein Schneesturm ihren Tribut forderten, wurde man spätestens an den unzähligen Gebirgszügen im Norden des Reiches aufgehalten. Allerdings hinderten diese Umstände Jahrtausende lang Feinde an der Eroberung Darolyns.

Das änderte dennoch nichts daran, wie sehr Seyla diese Reise hasste. Ihr Rücken schmerzte höllisch von den fortlaufenden Unebenheiten der Straße und ihre Rippen... Götter, ihre Rippen!

Mit einem wütenden Blick auf ihre Mutter zupfte sie an diesem lächerlichen Korsett.

Es war das erste Mal, dass man Seyla ein solches gegeben hatte und sie hasste es jetzt schon. Das ganze Kleid war schrecklich! Sie würde alles tun, um dieses elendige Stück Stoff gegen eine gute Hose und eine Tunika zu tauschen!

Genervt zupfte sie an den viel zu üppigen Rüschen des Ausschnitts und verzog dabei das Gesicht, als ihr das Korsett schmerzhaft den Brustkorb zerquetschte. Keuchend unterdrückte Seyla einen Aufschrei. 

Unruhig dachte sie an Tepeysta. Würde ihr Leben in Zukunft immer so sein, sobald sie in der Hauptstadt ankam? Zerquetscht? Eingeengt? Unterdrückt?  Ein weiterer Grund, weshalb Seyla diese Reise so hasste. Der Tempel der Rama. Ein Ort für Magiekundige.

Missmutig schlug Seyla auf eines der unzähligen, mit Samt bezogenen Kissen, die überall in der Kutsche verstreut lagen. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ihre Eltern es entdeckten, bis sie beschlossen sie weg zu bringen. Magie. 

Mit einem verstohlenen Blick beobachtete sie die beiden. Keiner von ihnen, weder Merya, noch Agyn Merodyn trugen keinen einzigen Funken Magie in ihren Adern. Und doch saß Seyla hier.
Mit Magie. Mit starker Magie.

Plötzlich richtete ihre Mutter ihren Blick auf sie. „Was?" Erst jetzt wurde Seyla bewusst, dass sie ihre Eltern angestarrt hatte. 

Schnell wandte sie den Blick ab und richtete ihn aus dem Fenster. „Nichts." Sie wollte nicht mit ihnen reden. Verdammt, sie würde nicht mit ihnen reden. 

Ungeachtet dessen, dass ihr Vater sie nun mit seinen Adleraugen beobachtete, hob sie langsam die Hand und lies ihre Magie darin hineinfließen. Wie sie dieses Gefühl liebte! Das warme Prickeln unter der Haut, das Gefühl alles zu vergessen. 

Langsam richtete Seyla ihren Blick auf ihre Handfläche, in der nun ein Leuchtender Wirbel aus reinen Elementen tanzte. Nicht nur ein Element. Alle. Hell und leuchtend. 

Und dann riss ein Hüsteln sie aus ihrer Trance. Seyla lies die Magie wieder verschwinden und blickte in die Augen ihres Vaters. Und da war sie wieder, diese unendliche, tiefe Besorgnis, gemischt mit einer guten Portion Strenge. Unerträgliche Strenge.

„Seyla, du weißt, was wir besprochen haben", seufzte er.

Ihr Vater, Agyn Merodyn, konnte ihr kaum gerade in die Augen blicken. Es war die Reue, das Wissen, dass sein Handeln falsch war, das wusste Seyla nur zu gut. 

Schadenfroh lümmelte sie sich auf ihrer Kutschbank, wobei ihre Rippen vor Schmerz schrien (Dieses verdammte Korsett!), doch sie unterdrückte ihn und bedachte ihren Vater mit einem spöttischen Blick. Du weißt, dass ich Recht habe.

„Seyla, Herzchen, bitte benimm dich!" Das war ihre Mutter.
Ein vernichtender Blick von Seyla genügte, um klar zu stellen, dass sie das nicht tun würde. Dass sie gar nichts tun würde. 

Seufzend straffte Merya die Schultern. „Herzchen, ich weiß, dass es schwer ist, aber-"
Das war genug. 

„Nein", fiel ihr Seyla ins Wort. „Nein, weißt du nicht. Du-, Ihr wisst gar nichts!" Wütend funkelte sie ihre Eltern an. Sie würde sich das nicht mehr anhören, dieses...Geschwafel.
„Ihr besitzt überhaupt keinen einzigen Funken Magie! Habt ihr überhaupt eine Ahnung wie es ist, sie zu unterdrücken? Sie zu verstecken? Jahrelang hab ich das getan, mein ganzes Leben lang! Und das ist was herauskommt." Mit einer ausladenden Bewegung deutete sie auf die Kutsche.

Agyn wollte nach ihrer Hand greifen, doch eine lodernde Flamme hinderte ihn daran.
„Seyla" Die Stimme ihres Vaters klang müde. Ratlos. „Es ist das Beste für dich. Für uns!"
„Das Beste für dich!", äffte Seyla ihn nach. 

Der Tempel der Rama war ein Ort für Magiekundige. Einige von ihnen versteckten sich dort, doch die meisten genossen ein hohes Ansehen als Priester oder hohe Magier. Seyla wusste allerdings, dass dies nie auf sie zutreffen würde. 

„Ihr wollt mich dort nur verstecken." Darauf wusste keiner von ihnen etwas zu sagen.

Zähneknirschend ließ sie sich wieder in die Kutschbank sinken. Ihr Blick fiel auf eines dieser viel zu teuren Kissen. Plötzlich verspürte Seyla den Drang, es in irgendeine Ecke zu schleudern. Götter, fühlte sich das gut an!

„Miss Merodyn!" Innehaltend hob sie eine Augenbraue.
Die Stimme ihres Vaters war hart, als er weiter sprach. „Du bist zu stark, keiner weiß wozu du fähig bist." 

Er wollte wohl sagen „Du bist zu anders" 

„Du wirst es akzeptieren, ob du willst oder nicht! Du gehst nach Tepeysta." Seyla blieb keine Zeit zu widersprechen, denn plötzlich blieb die Kutsche stehen - Und ein lauter Knall ertönte.

Legend of a QueenOù les histoires vivent. Découvrez maintenant