Tinker, Tailor, Soldier, Sailor, Rich man, Poor man, Beggar man, Thief

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Da war er wieder. Wie jeden Tag, Woche um Woche, Jahr für Jahr. Und dennoch war es nicht er.

Tariks Leben war schwer. In jungen Jahren hatte er begonnen das Handwerk seines Vaters zu erlernen. Schon damals hatten ihn die anderen Jungen verspottet. „Tinkerbell" nannten sie ihn. Und das nur, weil sein Vater ein Tinker, ein Kesselflicker war. Mit der Zeit lernte er jedoch die Meinung anderer zu ignorieren. Als sein Vater starb war Tarik vierzehn Jahre alt. Seit einem Jahr konnte er bereits selbstständig die Arbeit des Vaters übernehmen und musste ab dessen Todestag für die Familie sorgen. Nie hatten sie genug zum Essen, sauberes Wasser war nur in den seltensten Fällen da und die Hänseleien der Anderen drangen langsam, aber schmerzhaft wieder zu Tarik durch. Zwei Jahre später, im Winter, verstarb auch seine Mutter an den Folgen der Hungersnot und der Kälte.

Nun stand Tarik allein da. In diesem Umfeld konnte und wollte er nicht bleiben. Er zog in den Norden an die Küste und begann als Schneidergeselle bei einem kleinen Unternehmen. Er lernte schnell und nach nur einem halben Jahr stieg er als vollwertiger Mitarbeiter ein. Er nähte jeden Tag, Tag ein Tag aus, Segel für die Fischer der kleinen Bucht. Das Geld reichte für eine kleine Hütte nahe der See und genug Essen und Trinken. Es war kein Traum, aber er hatte ein relativ anständiges Leben. Im Dorf hatte er sich einen Namen gemacht als der beste Schneider des Unternehmens. Sie nannten ihn „Tailor-Tarik" und fast alle im Dorf kamen ganz gut mit ihm zurecht. Dennoch gab es auch Neider unter ihnen, ebenfalls Schneider, die Tarik schaden wollten.

Der junge Mann war noch nie ein sonderlich guter Kämpfer, dennoch wurde er kurze Zeit später als Soldat eingezogen. Ein zweiter großer Krieg war im Jahr zuvor ausgebrochen; später sollte er 2. Weltkrieg genannt werden; und so wurde Tarik zum gehorsamen Soldaten ausgebildet. Das Ausbildungslager war hart, jeden Tag Ausdauertraining, Geschicklichkeitsprüfungen und Waffentraining. Oft fühlte er sich am Ende eines Tages komplett ausgelaugt und schwach. Mit der Zeit aber wurde er stärker, ausdauernder, geschickter und auch sein Ziel traf Tarik immer sicherer. Sein erster Einsatz ließ daraufhin auch nicht lange auf sich warten. Schon vier Monate nach seiner Rekrutierung sollte sein Team ins Kriegsgebiet ausrücken.

Sobald sie ankamen wurde ihnen erst einmal das Camp gezeigt, doch am nächsten Tag war es so weit: ihr erster Einsatz, Tariks erster Einsatz. Noch zusammen liefen sie zum Schützengraben, aber dort verloren sie sich aus den Augen. Nun war er auf sich allein gestellt. Knapp neben ihm tönten plötzlich Schüsse und er zuckte zusammen. In diesem Moment wäre er gern wieder in dem kleinen Dorf am Meer gewesen, doch dort war er nicht, er war hier: auf dem Schlachtfeld. In einiger Entfernung sah Tarik einen seiner Teamkollegen auf dem Boden liegen. Er rannte zu ihm, aber es war zu spät. Er konnte ihm nicht mehr helfen, sein Kollege, ja schon fast ein guter Freund, war tot. Der Anblick lies Tarik würgen und ihm wurde schwarz vor Augen. Seit diesem Tag verlief sein Leben auf verschiedenen Wegen.

Fünf Jahre später hatte er es immer noch nicht abschließen können. Tag für Tag sah ich ihn, Tag für Tag als einen anderen. Er erzählte mir seine Geschichte immer und immer wieder, aber es gab acht verschiedene Enden. Mal endete es so, dass er jetzt wieder zum Beruf des Tinkers zurückgekehrt war, mal war es wieder Schneider, ein ander Mal nahm er an, dass er immer noch Soldat, oder wie er sich nannte Soldier, wäre. An manchen Tagen erzählte Tarik mir auch er wäre Fischer in dem Hafenstädtchen geworden und er wäre der Sailor- Tarik, statt Tailor-Tarik. Manchmal endete seine Geschichte damit, dass er reich wurde, manchmal damit, dass er verarmte. Selten sagte er auch, dass er sogar betteln müsste. Und er gestand mir sogar, dass er stehlen musste um zu überleben.
Zuerst dachte ich er würde mich veralbern, auch wenn ich das niemals gesagt hätte. Aber mit der Zeit fiel mir auf, dass mit der Änderung des Endes auch Tarik sich veränderte. Er verhielt sich zu dem Zeitpunkt genau so wie er es beschrieb. Er glaubte wirklich, dass er zu diesem, von ihm beschriebenen Mann, geworden war. Ich stellte fest, dass Tarik schizophren geworden war. Der Krieg hatte ihm alles genommen: seine Heimat, seine Freunde, ja sogar seine Identität. Tarik war Tinker, Tailor, Soldier, Sailor, Rich man, Poor man, Beggar man, thief. Alles gleichzeitig, und doch nichts.
Heute kam er wieder zu mir in die Praxis. Doch was er heute sagte erstaunte mich: “Ich kann nicht mehr!“

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Und der zweite Beitrag zum Contest. ;)

Wörter: 764
Schwierigkeitsgrad: Stufe 3

Kurzgeschichten für Kurzgeschichten-Contest von @amnesiawardOnde histórias criam vida. Descubra agora