Die Geschichte des Dunklen Volkes - Geschichten aus Minenia

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Vor vielen hundert Jahren, zu einer Zeit, als wir noch kaum etwas über die Magie wussten, zu einer Zeit, in der wir noch Götter anbeteten, begann alles. Ein junger Elf namens Vitras wurde geboren. Doch er war anders als die anderen Elfen. Eines seiner Augen war blau, das andere dunkelbraun. Seine Nase war etwas schief. Sein rechter Fuß war deformiert und verkrüppelt. Selbst unter den Menschen hätte es ein Junge wie er schwergehabt, doch dies waren die Elfen! Obwohl Vitras Gesicht abgesehen von Nase und Augen eine normale Form hatte und abgesehen von seinem Fuß sein restlicher Körper vollkommen gesund war, galt er unter den Elfen als hässlich. Er war nicht schön und wurde damit nicht als richtiger Elf angesehen. Nur seine Eltern liebten ihn. Seine Kindheit war schwer. Er wurde von den anderen Kindern immerzu aus allem ausgeschlossen, wurde gehänselt. Wenn er versuchte, sich mit Worten zu wehren, dann stotterte er, wenn er versuchte, sich mit Gewalt zu wehren, dann wurde er von den anderen verletzt. Als junger Erwachsener fand er Trost in der Erforschung der verborgenen Mächte. Irgendwann entdeckte er die besonderen Eigenschaften von Obsidian, einem Material zweier Welten, Magma, welches zu Glas erstarrt ist. Damit ist auch das Wesen des Feuers noch darin enthalten, was dieses Glas äußerst empfänglich für Aktive Energie macht. Vitras baute Obsidian selbst ab und bildete aus den einzelnen Stücken einen Kreis am Boden. Er stellte sich in die Mitte des Kreises und sprach Worte, Worte die heutzutage keiner mehr kennt, da sie der Ursprache der Magie entspringen, und das mit Obsidianklingen besetzte Messer in seinen Händen verwandelte sich in ein gefährliches Werkzeug. Vitras schnitt mit dem Dolch durch die Luft und die Dimensionsgrenze zwischen der Mittleren und der Dunklen Welt riss auf. Vitras betrat von nun an regelmäßig die Dunkle Welt. Er erforschte den Filter. Und er beging einen folgenschweren Fehler. Er sammelte etliche Beutel voller Filtersubstanz und nahm sie in unsere Welt mit. Er musste feststellen, dass sich die Aktivität der Substanz verändert hatte. Anstatt gefiltert zu werden schienen die Seelen darin stecken zu bleiben. Dies war nicht ihre Welt. Also suchte Vitras nach einem Weg, diese Seelen mit der materiellen Welt zu verbinden. Er ging zu den Menschen und plünderte nachts ihre Gräber. Zurück in seinem Versteck grub er die erbeuteten Gebeine in die Filtersubstanz ein. Bereits an diesem Punkt angekommen reichte ein einziges simples Wort um die vermischten dunklen Seelen mit dem einst lebendigen Material zu verbinden. In jedem einzelnen Körper bildete sich von neuem ein Bewusstsein, angetrieben von dem was die Verstorbenen in die Dunkle Welt verbannt hatten um sich für die Schöne Welt vorbereiten zu können, nämlich Schmerz, Hass und Schuldgefühl. Dass diese dunklen Seiten, diese dunklen Gedanken und Emotionen, unter denen sie zu Lebzeiten gelitten hatten, nun wieder in der Welt der Lebenden aktiv und mit Körpern verbunden waren, war ein Paradoxon, entgegen jeder Natur, es riss die Seelen, deren dunkle Seite misshandelt wurde, gewaltsam aus der Welt der Geister und erschuf etwas, das die Gesetze der Natur verboten hatten, nämlich einen Zustand, in dem Geister als halb materielle und halb abstrakte Wesen in unerer Welt umherwandeln. Dies war die Geburt der Gespenster, auch Bo Selwais, ,Verflluchte Seelen', genannt. Die Bo Selwais und die reanimierten Körper, die Chi Mortos, die ,Lebenden Toten', gemeinsam bildeten das Dunkle Volk. Vitras hatte vor, die Unbedachtheit der Chi Mortos und deren Verbindung zu den Bo Selwais auszunutzen um beide Parteien zu kontrollieren, doch er hatte das Bewusstsein der Chi Mortos unterschätzt und nicht damit gerechnet, dass sie über Eigeninteresse verfügen. So verbündeten sich die Bo Selwais und Chi Mortos und wandten sich gegen ihren Befreier. Vitras war nun abermals der Unterdrückte und von seinem Rausch nach Bestimmung erlöst erkannte er seine Fehler. Nun war es sein Ziel zu verhindern, dass sich das Dunkle Volk vermehrte. Doch sein Versteck wurde streng bewacht und obwohl er den Dolch hatte, war es ihm nicht möglich, den Riss in der Dimensionsgrenze aus der Ferne zu flicken. Und so schafften die Chi Mortos immer mehr Filter-Erde aus der Unterwelt in die Welt der Lebenden um sie mit toten Körpern zu verbinden und für jede Seele wurden zwei neue Krieger erschaffen, eine Bo Selwai und ein Chi Morto. Folglich erhöte sich ihre Anzahl in rasanter Geschwindigkeit und das Dunkle Volk entwickelte sich zur gefährlichsten Bedrohung die Minenia seit dem Zeitalter der Titanen gesehen hat. Denn die verrückten Bo Selwais und die aus negativen Emotionen bestehenden Chi Mortos hatten nicht diesselben Antriebe wie wir Menschen. Gewalt, das war das Einzige das sie wollten um ihre Qualen zu lindern. Auch der Antrieb zu überleben war ihnen fremd, denn sie lebten ohnehin nicht mehr. Und sie wurden auch niemals müde. Irgendwann machten es sich die Bo Selwais zur Gewohnheit, die Chi Mortos zu immitieren und ebenfalls Körper zu besetzen, aber lebendige. Damit wurden sie zu den ersten Dämonen. Nun gab es zwei Arten von menschlichen Kriegern auf Seiten des Dunklen Volkes. Lebende Tote, die Chi Mortos, und tote Lebende, die Morto Chis, besessen von Bo Selwais und perfekt getarnt in den Reihen der anderen Menschen und Zwerge. Auch Riesen wurden zuweilen besetzt. Das Dunkle Volk breitete sich aus wie eine Seuche. Ein Krieg entbrach. Die Menschen, Zwerge und Riesen konnten die Chi Mortos und die Wirte der Bo Selwais zerstören, doch nur um feststellen zu müssen, dass sich die Seelen immer wieder neue Körper suchten. Die Feen hatten solche Angst vor dem Dunklen Volk, dass sie sich versteckt hielten, die Wassermenschen waren an das Wasser gebunden. Es gab auch noch keinen Vactria va te Malos und keinen König, der die Leute beruhigen hätte können. Die Elfen waren Minenias letzte Hoffnung. Doch auch sie hatten noch nicht dasselbe magische Geschick entwickelt, das sie heute besitzen, nur einige wenige, deren Vorfahren aus der Fernen Ländern stammten, beherrschten überhaupt die Ursprache der Magie und Altminenisch war damals noch keine Mächtige Sprache, auch von der Existenz des Chistas wusste man noch nichts. Vitras war einer der Eingeweihten, er beherrschte die Ursprache. Und er sah es als seine Pflicht an, die Geister die er rief wieder loszuwerden. Und so entschloss er sich, ein weiteres Risiko einzugehen. Er hatte den Dolch. Er schnitt, versteckt in einer kleinen Höhle, einen weiteren Schnitt in die Dimensionsgrenze und betrat die Dunkle Welt. Dort angekommen nutzte er den Knauf des Messers um den Vorhang von innen wieder zusammenzufügen. Nun schlich er sich innerhalb der Hölle bis zum Riss, der in sein Versteck führte, und verließ die Dunkle Welt wieder. Anstatt die überraschten Wachen zu zerstören, nutzte er die Magie um sie in der Luft zu fesseln, damit die Seelen nicht austreten und ihn besetzen konnten. Es waren nicht sehr viele Wachen, alle anderen befanden sich in Gefechten. Vitras schaufelte nach und nach, und mithilfe von einfachen Zaubern, durch das Portal den Filter zurück in die Dunkle Welt, jedes einzelne Korn. Dann nutzte er den Dolch und reparierte den Riss. Bereits jetzt zeigte sich die Wirkung dieser mutigen Aktion. Die Chi Mortos können nicht selbstständig existieren, als ihre Körper nach und nach vernichtet wurden, fanden sie in der Welt der Lebenden keinen Filter mehr durch den sie fließen konnten und so war die Zerstörung ihrer Körper gleich einer Verbannung ohne Wiederkehr in die Unterwelt. Und ohne die Chi Mortos zog es auch die Bo Selwais immer weiter zurück in die Zwischenwelt. Über mehrere Wochen hinweg schwand ihre Kraft, sie wurden schwächer und wurden nach und nach wieder in ihre Welt eingegliedert. Das Gleichgewicht der Welten war wiederhergestellt. Und Vitras war verschwunden. Bis heute. Doch das Gleichgewicht sollte nie mehr so stabil werden wie früher. Immer wieder gelang es den dunklen Seelen aus der Unterwelt auszubrechen und Chi Mortos, und damit auch Bo Selwais, zu bilden. Erst dreißig Jahre danach, in unserem Gründungjahr, wurde der Chistas entdeckt und erforscht. Den Elfen gelang es, Altminenisch mit der Magie zu verbinden und der erste Vactria va te Malos, Mastonis Nogar, brachte den Chistas dazu, die Seelen trotz der geschwächten Dimensionsgrenze zurückzuhalten. Nur einmal im Jahr, im Herbst, kann das Dunkle Volk noch austreten, wird jedoch von Nogars Schutzzaubern aus Minenia verdrängt – wo es in Enimia landet, ein Land von dem Nogar nie erfahren hatte. Das Dunkle Volk ist seither nie mehr in der Lage gewesen, Minenia zu betreten, doch außerhalb der Grenzen des Schutzzaubers der unser Land umgibt herrscht einmal jährlich weiterhin Gefahr...

Die Geschichte des Dunklen Volks - Geschichten aus MineniaWhere stories live. Discover now