Kapitel 1.

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Das große, weiße Haus lag im Schatten der vielen Buchen, die in kleinen Gruppen, symmetrisch angeordnet auf dem großen Grundstück standen. Ein Pfad aus hellen Steinplatten führte zu dem eindrucksvollen Gebäude.
Die Buchsbäume am Rande waren perfekt auf Kante gestutzt und flankierten wie kleine Wachen den Weg.
Das war es also nun, Callingham Manor, Melindas neue Heimat. Schon jetzt machte sich ein beklemmendes und melancholisches Gefühl in ihr breit. Heimweh.
Melinda hatte Heimweh nach ihrer alten Heimat Irland. Allein die strenge Erziehung, die sie durch ihre Mutter erfahren hatte, hielt sie letztendlich davon ab in ihrer Trauer zu versinken und so bewahrte sie Haltung.
Eine zierliche Hand legte sich auf ihre Schulter und drückte sie sanft, aber bestimmt in Richtung des Manors. Der Weg erschien ihr wie der Gang zum Galgen, mit jedem neuen Schritt den sie wagte, entfernte sie sich Meter um Meter von der Heimat ihres Herzens und den Menschen denen sie nah gewesen war. Für die Schönheit, die dieser Ort wahrscheinlich sonst barg, hatte sie keinen Blick, im Gegenteil, eher kam es ihr so vor, als läge ein Fluch auf dem Gebäude, oder als würden hier Dementoren brüten. Ein kalter Luftzug streifte ihre Schulter, ihre Mutter hatte die Hand also weggezogen.
Nur noch ein paar Treppenstufen trennten sie noch von dem Portal in ihr neues Leben. Die Tür öffnete sich und dahinter konnte man eine große Eingangshalle erahnen.
Wie vom Donner gerührt stand sie da, dass passierte wirklich, sie war heute tatsächlich nach England in das bereits von Hauselfen vorbereitete Anwesen gezogen. In zwei Tagen würde sie nach Hogwarts fahren. Smiecallin, schon vor fünf Jahren hätten ihre Eltern sie auf das Internat in Schottland schicken sollen! Aber ihre Familie bestand aus stolzen Reinblütern und die Verhältnisse in Hogwarts waren ihrer scheinbar unwürdig. Die Nachricht des Umzugs war schon ein furchtbarer Schock gewesen, aber als ihr Vater vor einigen Wochen verkündet hatte, dass das britische Zaubereiministerium, in dem er selbst wohl ein Stellenangebot als Leiter der Aurorenzentrale bekommen hatte, sich wohl der Zustände in Hogwarts annehmen wollte. Bis zu diesem Zeitpunkt war sie zu Hause unterrichtet worden, von ihren Großeltern, der Tante und manchmal auch von ihrem Cousin.
"Melinda, steh nicht so in der Gegend herum, stell dich gerade hin und komme herein" rügte ihre Mutter sie. Niedergeschlagen trat sie also in das große Foyer des Herrenhauses.
Drinnen hingen prächtige Kronleuchter von der Decke und der Kerzenschein spiegelte sich in den polierten Mamorfliesen auf dem Boden wieder. Obwohl der Raum nur spartanisch eingerichtet war, strahlte er eine beinahe einschüchternde Erhabenheit aus.
In die Wand waren mehrere silbern schimmernde Garderobenhaken eingelassen, gleich daneben stand eine Kommode über welcher ein großer Spiegel hing. Sonst wurde der weiß tapezierte Raum von einigen Gemälden, vermutlich Melindas Ahnen, geschmückt.
Ein leiser Knall ließ sie zusammenzucken, eine kleine Hauselfe war direkt neben ihnen aufgetaucht. Sie war klein, ihre Haut runzlig und ihre tennisballgroßen Augen starrten angsterfüllt zu Mrs. Callingham, während ihre fledermausartigen Ohren unruhig zu zucken begannen.
"Darf Josie der Herrin ihren Umhang abnehmen?" fragte das kleine Wesen mit piepsiger Stimme. Ihre Mutter nickte bloß und mit einem Fingerschnippen schwebte der schwarze Reiseumhang zu einem der Garderobenhaken. Melinda entledigte sich ihres eigenen Umhanges selbst und erntete dafür sofort einen missbilligenden Blick seitens ihrer Mutter. "Melinda, muss ich es dir immer wieder aufs Neue erklären? Erstens wir haben Personal für soetwas und zweitens, du beleidigst die Hauselfen indem du ihre Dienste abweist." Und die alte Grundsatzdiskussion ging wieder los, ihre Eltern wollten ihr die Möglichkeit geben selbst zu entscheiden, ob sie die nichtmagische Welt verabscheute, was für eine reinblütige Familie mehr als fortschrittlich war. Und dennoch, laut den Grundsätzen ihrer Eltern blieben Diener eben Diener und man sollte mit eiserner Hand über sie herrschen.
Melinda war der Meinung, man sollte diese freundlich und mit Respekt behandeln. Natürlich, man musste Regelverstöße bestrafen, aber ein kleines Danke sollte schonmal drin sein.
Ergeben nickte Melinda also und dachte sich ihren Teil dazu.
"Josie, bitte geleite meine Tochter auf ihr Zimmer und sorge dafür, dass sie pünktlich zum Dinner erscheint" ordnete ihre Mutter an und die kleine Hauselfe neigte demütig ihren Blick. Die Hauselfe führte sie auf eine weitere ausschwingende Mamortreppe und öffnete eine Flügeltüren mit großen Glasscheiben. Von einem langen Korridor zweigten drei Türen ab, bevor er eine Biegung machte und in einen großen lichtdurchfluteten Salon führte. Das kleine Wesen öffnete die zweite Tür auf der rechten Seite und verabschiedete sich mit einer Verbeugung und den Worten: "Josie wird die Mistress holen, sobald das Dinner angerichtet wird", "Danke Josie, dass ist sehr freundlich von dir" antwortete Melinda und Josie quiekte freudig auf. Danach war sie wieder allein und besah sich in Ruhe, aber doch mit Trauer im Herzen ihr Zimmer. Es unterschied sich deutlich von dem Alten, dieses hier war größer, der Boden war mit hellen Dielen bedeckt und durch ein Erkerfenster fiel Licht in den Raum. Ein Himmelbett, welches in den Farben des Hauswappens, nämlich silber und blau, bezogen war und in der rechten Ecke des Zimmers stand.
Seufzend ließ sie sich auf der gepolsterten Fensterbank nieder und schaute nach draußen.
Ein großer parkähnlicher Garten erstreckte sich weit, bis das Ganze von einem Wald abgegrenzt wurde. Ein wenig fröstelte sie und ihr Blick glitt zu dem Kamin gegenüber ihres Bettes. Sie zückte ihren Zauberstab. Geschmeidig lag er in ihrer Hand und sie richtete ihn auf den Kamin und flüsterte: "Lacarnum Inflamari" sofort züngelten Flammen aus dem Holzscheit und verbreiteten ein sanftes goldenes Licht. Wieder schwebten Melindas Gedanken zurück nach Irland. Die grüne Wiese vor ihrem alten Anwesen, die zerklüfteten Steilklippen und natürlich das kleine gemütliche Cottage für Ferientage waren ihr mittlerweile sosehr ans Herz gewachsen wie nichts zuvor. Aber es waren nicht nur die Orte die ihr fehlten, sondern auch die Menschen. Ihr Cousin Lee, Tante Callidora, ebenso wie ihre Großeltern Cedrella und Lycoris, auch wenn Cedrella unheimlich launisch war.
Lee war fünf Jahre älter als sie, aber der Altersunterschied störte die beiden nicht im geringsten. Sie waren aufgewachsen wie Geschwister, geistig immer auf einer Wellenlänge und auch sonst eng verbunden.
Er hatte bereits mit elf Jahren nach Hogwarts gedurft, so wie es eigentlich auch vorgesehen war. Das hatte ihr das Herz gebrochen, aber ihr Cousin hatte jeden zweiten Tag geschrieben und ihr, wann immer er nach Hause kam Geschenke mitgebracht. Dann hatte er begonnen Quidditch zu spielen und gab all sein Wissen an seine kleine Cousine weiter.
Melinda war stolz auf ihn, er spielte in der obersten Liga, nämlich der irischen Nationalmannschaft mit. Das Team war nett und so ziemlich alle kamen gut miteinander aus.
Dann eines Tages hatte Lee sie früh am Morgen geweckt und ihr gesagt sie solle sich ihren Besen schnappen und mitkommen. An diesem Tag hatte sie mit dem gesamten Team trainiert und jeder einzelne von ihnen hatte ihr die nötigen Voraussetzungen für die Position erklärt. Nach und nach hatte sie dann begonnen regelmäßig mit ihnen zu trainieren und war imstande auf jeder erdenklichen Position eingesetzt zu werden.
Lächelnd hing sie ihren Gedanken nach und das nächste Bild kam ihr in den Sinn. Die erste Tanzstunde gemeinsam mit ihrem Cousin. Obwohl dieser schon drei Jahre länger Unterricht hatte konnte er nichtmal den einfachsten Walzer tanzen. Tanzen gehörte einfach zu ihren fünf großen Talenten. Die weiteren vier waren Wahrsagen, Verteidigung gegen die dunklen Künste, Zauberkunst und Quidditch. Natürlich, ihre Familie sorgte schon dafür, dass sie nirgendwo schlechter stand als Annehmbar, aber mal ernsthaft, was nützte es einen blöden Zahnstocher in eine verdammte Nadel zu verwandeln? Ihre Tante hatte sie immer in Verwandlung unterrichtet und ihr war einmal dermaßen der Kragen geplatzt, dass sie Melinda in einen Igel verwandelt hatte. Dieser Tag war nicht gut für sie verlaufen,irgendwann jedoch hatte Lee seine Mutter angefleht Melinda doch endlich zurück zu verwandeln und diese hatte letztendlich auch nachgegeben.
Irgendwann hatte Melinda genug von dem nutzlosen herumsitzen und sie ging zu dem großen Schreibtisch aus Ulmenholz, welcher in einem warmen Goldton erstrahlte. Es war der Schreibtisch den sie bereits in Irland gehabt hatte. Traurig lächelnd strich sie über die mit Schnitzereien verzierten Schubladen und öffnete eine ganz bestimmte. Darin lagen mehrere Bögen Pergament, ein Rabenfederkiel und ein Tintenfass. Kurz entschlossen zog sie eine der Rollen hervor, tauchte ihre Feder in das Tintenfass und begann zu schreiben.

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⏰ Last updated: Dec 24, 2019 ⏰

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