Prolog

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Als ich die Glocken höre, weiß ich dass wir zu spät sind. Der letzte Sommertag bricht, untermalt von Vogelgezwitscher über der schlammigen Straße heran und es ist klar, dass wir es nicht mehr rechtzeitig nach Hause schaffen. Mein ganzer Körper ist verkrampft und meine Kleidung klamm. Bei jedem Atmen sticht es kalt in den Lungen und meine Füße spüre ich schon seit ein paar Meilen nicht mehr. Gus ist in einen ungemütlichen Halbschlaf auf meinem Rücken gefallen und mit jedem Schritt spüre ich sein Gewicht immer mehr. Schließlich halte ich an. Neben mir laufen die Wickards oder das, was von Ihnen übrig ist und vor mir sind die Futterkarren. Ich warte ein paar Minuten bis Jesca auf unserer Höhe ist, sie läuft neben den Seiltänzerinnen bei den Musikwägen, ein Kind an der Hand, obwohl sie selbst noch eins ist und dunkle Ringe unter den Augen. ''Wir schaffen es nicht mehr'', verkünde ich leise, während ich den protestierenden Gus von meinem Rücken runtergleiten lasse. Jescas Augen sind gerötet, müde. ''Ich weiß. Letzte Nacht...wurde viel geredet, wie es ausssieht gehen wir nach Kyrm, das sollten wir bis Nachmittag schaffen.'' ''Das ist eine Scheiß Idee'', antworte ich, ''Wo sollen wir in Kyrm unterkommen? Wir sind mehr Leute, als es dort Einwohner gibt. Ich rede nochmal mit den Alten, hier...'' ich reiche Jesca Gus Hand und strecke mich dann erst. Mein Rücken knackt, ein langes, unbefriedigendes Gähnen kommt aus meinem Mund und ich taumele Richtung Ende der Karawane.
Die Alten sitzen fast am Ende des Zuges auf gutmütg trottenden Kühen in weichen Sätteln. Ich laufe neben der ersten Kuh her, auf der, der Blinde sitzt, zusammengesunken mit krummen Rücken und filzigem grauen Bart. ''Kyrm ist eine schlechte Idee'', begrüße ich ihn und er antwortet mit einem Stirnrunzeln. ''Dir auch einen strahlenden Yyrtedwein Sohn''. Zynischer Bastard. ''Strahlenden Yyrtedwein Vater'', knurre ich und wartete ein paar Höflichkeitssekunden ab. ''Mir ist zu Ohren gekommen, dass wir unterwegs ins Fischerdorf sind, weil wir es nicht mehr rechtzeitig schaffen. Wir werden dort nirgendwo unterkommen können. Die Menschen sind misstraurisch und haben kleine Häuser. Wir sind zu viele.''  Der Blinde sagt eine Weile nichts,  dreht dann den Kopf zu mir und ich habe das Gefühl er schaut mir direkt auf den Grund meiner schmutzien, schmutzigen Seele ''Hast du eine bessere Idee, Sohn?''.
Ich werfe einen Blick auf die Stolze, die auf der Kuh daneben sitzt. Sie hat zugehört und nickt mir nun zu. ''Wir schlagen unser Lager auf'', sage ich. ''Wir halten an und bauen es auf, nur das nötigste für die Nacht. Es ist genug Platz für alle, wir haben ein Dach über dem Kopf und noch genügend Vorräte. Morgen sind wir zuhause.'' Die Sekunden ziehen sich, ich widerstehe dem kindischen Impuls beschämt den Kopf zu senken und starre den Blinden an. Dieser schüttelt den Kopf. ''Törrichte Idee. Wir brauchen mehr als ein Dach über dem Kopf, wie du sehr wohl weißt.'' ''Wir haben die Tierkäfige'', raune ich. ''Die Kinder passen problemos hinein, vielleicht sogar ein paar der älteren Söhne und Töchter. ''Ein paar...schon jemand bestimmtes im Kopf? Wie sollen wir so etwas entscheiden? Oder willst du diese Aufgabe übernehmen?'' Bevor ich antworten kann, redet er weiter ''Nein. Jeder bekommt den gleichen Schutz, die gleichen Möglichkeiten'' ''Wenn wir in Kyrm Unterschlupf suchen bedeutet das gar keinen Schutz für alle. Aber immerhin für jederman gleich, da habt ihr Recht'' Meine Stimme hat sich gehoben. ''Ruhig Sohn'', die Stolze spricht ''Der Blinde hat Recht. Wir können nicht alle Tiere freilassen, um ein paar der Kinder zu schützen und alle anderen ohne Schutz lassen. In Kyrm werden viele in Sicherheit sein. ''Ihr kennt die Leute aus Kyrm doch gar nicht. Sie werden uns nicht helfen.'' ''Wir haben keine andere Wahl'', spricht die jüngste der Alten, Rha, ohne Titel. ''Du aber hast sie.'' Dann lächeln mich alle Alten sanft an und reiten an mir vorbei. Obwohl sie nicht schneller werden, kann ich nicht mehr mithalten. Lästige Aura.
Ich laufe ein paar Meter neben dem Weg, richte dann meinen Blick nach Vorne, bis ich das weiche, warme, verschwommene Gefühl der Drei verliere und mobilisere dann meine letzten Kräfte, um los zu laufen. Ich renne fast den halben Zug nach vorne, bis ich den Papierkarren entdecke und schlängele mich durch die müden, taumelnden Menschen. Ein einziges langsames Schlurfen und Füße scharren, ein Keuchen, Gähnen und zwischendurch das Quengeln eines Kindes. Ich hangele mich den Karren hoch und weckte den Schreiber mit einem leichten Fußtritt. Er schreckte auf und verdrehte die Augen, als er mich sieht. ''Neldon, was verschafft mir die Ehre'', fragt er spöttisch, während er es sich auf dem Rücken gemütlich machte. ''Obwohl vergiss es, ich will es ehrlich gesagt gar nicht wissen''.  Der Schreiber hasst Bücher und seine Aufgaben, aber da er nach einem Unfall vor einigen Jahren eine neue Stellung brauchte, hockt er nun täglich über Pergamente und Tintenfässern. Und er bekam diesen Posten auch nur, weil er einer der wenigen war, die überhaupt lesen konnten. Die meiste Zeit trinkt er, spielt Karten oder vergnügte sich mit den jüngsten Witwen und ältesten Jungfrauen, er ist nur ein paar Jahre älter, als ich.  ''Wieviele Kinder haben wir''?, frage ich ihn. ''46...43 unter 10 und nochmal 29 unter 15'', antwortet er mit geschlossenen Augen.   ''Also 72 zu beschützen'', murmele ich. ''Wenn du es ganz genau nimmst dann 86'', antwortet der Schreiber. ''Wir haben noch 14 Söhne und Töchter unter 17.'' ''Aber...die, die ältesten Töchter werden doch nicht mehr in dieser Art von Gefahr schweben'', gebe ich zurück ''Die Jungs vielleicht ja, viele von Ihnen sind noch lange keine Männer, aber... '' ''Nein nicht diese Art von Gefahr'', sagte der Schreiber gedehnt, dann setzte er sich auf und schaute mir in die Augen. ''Aber eine Andere durchaus, sie sind in einem sehr gefährlichen Zwischenstadium, ein wenig jünger und sie würden als Kinder mitgenommen werden, ein wenig älter und sie sind außer Gefahr oder tot. Aber in diesem Alter...da werden sie als Ehefrauen oder Ehemänner mitgenommen.'' Mein Magen drehte sich um. Daran hatte ich noch nie gedacht. In meinem Kopf waren die Mädchen und Jungen, die nach Yyrtedwein nicht mehr in ihren Betten lagen einfach fort, aber nicht noch mit so einem Schicksal geschlagen. ''Hör zu, die Alten wollen nach Kyrm, weil wir es nicht mehr bis nachhause schaffen, aber ich denke das ist eine schlechte Idee. Ich war letztes Jahr erst in diesem elendigen Fischerdorf, dort wird es keine Hilfe für uns geben.'' Ich knirsche mit den Zähnen und stütze meinen Kopf in die Hand, er fühlt sich an, als wäre er mit Blei gefüllt.  ''Und wessen schuld ist das Ganze, Nel? Wieso sind wir so weit hinter dem Zeitplan?'' Der Schreiber schaut mich an, seine gespielte Arroganz ist verflogen und in seinen Augen lodert nur noch blanke Abneigung. Ich versuche seinem Blick standzuhalten, aber es funktioniert nicht. Ich lasse meinen Blick über die vielen Karren, Wagen, laufenden und reitenden Menschen schweifen. ''Wir werden nicht alle retten können''.

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⏰ Last updated: Sep 09, 2019 ⏰

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SchattentanzWhere stories live. Discover now