Strauchelnd und mir eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht streichend verließ ich meinen fahrbaren Untersatz und stemmte erschöpft meine Arme in die Seiten. Erst als ich meinen Blick auf den kahlen Boden wandern ließ bemerkte ich seufzend meinen halben Hausrat, welcher bei meinem Klettervorgang wohl aus dem Auto gefallen war.

Das kann doch wohl nicht wahr sein, dachte ich verzweifelt und hob die zerfledderten Harry Potter- Bände wieder auf, die nun einiges mitgemacht hatten und mit Steinen und anderem Dreck überzogen waren.

Erneut fluchend schüttelte ich die flatternden Seiten aus und versuchte mithilfe eines Taschentuchs den gröbsten Schmutz zu beseitigen, jedoch ohne jeglichen Erfolg. Zu allem Übel fielen mir nun ebenfalls eine Hand voll Scherben auf, welche unmissverständlich nur von einem Gegenstand kommen konnten.

„Fuck, meine Brille!", stieß ich weinerlich aus und tastete mein Gesicht nach dem kantigen Gestell ab, dass ich schon so arg gewöhnt war, dass es mir kaum noch auffiel. Ohne Zweifel befand jene sich nicht mehr an ihrem vorgeschriebenen Platz, was mir ein paar Tränen entlockte.

Niedergeschlagen versuchte ich die gefährlichen Scherben aufzuheben, wobei ich mir immer wieder versehentlich die Fingerkuppen aufschnitt, was mich nur noch aggressiver zu machen schien. Langsam lehnte ich mich gegen die Motorhaube und glitt am Rücken entlang hinunter auf den harten Steinboden. Meine Stirn legte ich in Falten und erschöpft begann ich, meine schmerzenden Augenlider zu reiben.

Dieser Ort ging mir schon jetzt außerordentlich arg auf die Nerven. Innerlich verfluchte ich jene, welche mir eingeredet hatten, dass ein ländlicher Ort mit Ruhe und Abgeschiedenheit genau das Richtige für meinen quirligen Charakter waren (meine Mutter). Ebenfalls verfluchte ich meine Schwester, welche die Nase gekräuselt und schlicht geschwiegen hatte, als ich ihr meinen Traum vom Studium und den damit verbundenen Abschied von unserem Laden und meinen Verpflichtungen offengelegt hatte. Nicht, da sie ein Studium nicht befürwortete, sondern weil sie lieber geschwiegen hatte als mich aufzuhalten. Rückblickend war ich wohl wirklich nicht der Typ für einen alleinig organisierten Umzug und schon gar nicht fähig, ohne jegliche Hilfe zu überleben.

„Wurdest du von einem Waschbären überfallen oder spielst du das Vergewaltigungsopfer in einem neuen Tatort?", ertönte es höhnisch über mir.

Erschrocken öffnete ich meine halb geschlossenen Augen und hob bedeutend schnell meinen schweren Kopf, wobei ich diesen prompt gegen meinen Außenspiegel knallte.

Nicht schon wieder, Cassandra, verhöhnte ich mich innerlich und versengte meine Zähne in meiner Unterlippe, um den pochenden Schmerz meiner Schädeldecke zu ignorieren.

Als ein tiefes, belustigtes Lachen ein paar Meter über mir ertönte erinnerte ich mich wieder an jenen mysteriösen Typ, welcher wohl aus dem wortwörtlichen Nichts aufgetaucht war. Bereit ihm meine Meinung ins Gesicht zu schleudern, hob ich meinen malträtierten Kopf und starrte ihn mit funkelnden Augen herausfordernd an.

Nur um jenen, vor Angriffslust nur so triefenden Blick aus einem Paar heller, stahlgrau funkelnder Augen schier entgegen geschossen zu bekommen. Als meine Sicht zu seinen rötlichen Lippen wanderte, verzog der Fremde diese zu einem verschmitzten Lächeln und entblößte eine Reihe schneeweißer Zähne: „Du scheinst ja eine Gefahr für die Allgemeinheit zu sein, clumsy."

Den Unterton in seiner rauen Stimme, welcher vor Sarkasmus deutlich und ohne Zweifel triefte, nahm ich wutentbrannt schnaubend wahr. Was bildete sich dieses ... dieses Zahnpastawerbegesicht verdammt nochmal ein? Fragte ich mich unaufhaltsam mit zusammengekniffenen Zähnen. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und ich hätte meinen Mund gleich wie der Angst einflößende schwarze Pitbull unserer Nachbarin Miss McAllister verheißungsvoll gefletscht, als gäbe es keinerlei Zurückhaltung. Die pochende Beule meines Hinterkopfes reagierte zunehmend allergisch auf jenen eingebildeten Idioten vor meiner Erscheinung.

Ehe ich einen längeren Denkvorgang unternehmen konnte (was bestimmt von Vorteil gewesen wäre), formte mein unzurechnungsfähiger Mund eine halbwegs akzeptable Antwort: „Clumsy? Eine Sequenz im Englischunterricht aufgepasst und dann für immer das Hirn ausgeschaltet, oder was?"

Das Bleaching-Strahlen auf seinen Lippen formte sich entgegnend zu einem neckenden Grinsen, als er mit seinen Fingerspitzen durch die Enden seines kurzen, aschblonden Haares fuhr und mich schulterzuckend, jedoch weitaus vertrauenserweckender von oben bis unten musterte: „Nicht schlecht, Kleine. Brauchst du noch einen Kindersitz oder siehst du schon zur Windschutzscheibe raus?"

Mir verschlug es in jenem Moment die Sprache, jegliche Spucke in meinem Mund verschwand. Auf einmal fühlte ich mich entblößt, ja sogar fast nackt unter dem wachsamen, scannenden Blick seiner hypnotisierenden Augen. Die Absurdität meiner Situation wurde mir auf einen Schlag in ihrem vollständigen Ausmaß bewusst, angefangen bei der nicht gerade zuverlässigen Tankstelle irgendwo im nirgendwo.

Ich befand mich nicht nur abgeschieden von jeglicher Zivilisation irgendwo am Rande eines Waldstückes, was auch schon relativ Bedrängnis erregend gewesen wäre. Nein, vor mir befand sich ein circa 1,85 Meter großes menschliches (zudem ebenfalls männliches) Wesen, welches mich nicht nur vollständig ausrauben konnte, sondern meinen verletzten Zustand derart ausnutzen konnte, dass es mir schier den Atem raubte.

Gemächlich aber dennoch mit hastigen Bewegungsabläufen hievte ich meinen leidenden Körper zurück in den aufrechten Zustand, was trotz meines starken Willens nicht ohne ein leichtes Schwanken funktionierte. Ein Hauch von Schimpfwörtern ging mir durch den Kopf als ich realisierte, wie der Fremde vor mir nun hämisch grinsend Anstalten machte mir zu helfen, Anstalten machte mich sogar zu berühren.

„Wage es ja nicht mich anzufassen!", zischte ich mit zusammengebissenen Zähnen, als seine schmalen Fingerspitzen nur noch Millimeter von meinem Oberarm entfernt waren.

Als hätte er einen fatalen Stromschlag erhalten zuckte seine scheinbar helfende Hand zurück, während ich ihn feindselig anstarrte und konzentriert seinen Gesichtsausdruck studierte. Seine Lippen presste er zu einem schmalen, ernsten Strich zusammen, ebenso seinen Kiefer, dessen harte Knochen sichtbar zum Vorschein traten und mir einen Laut der Angst entlockten.

Mit der rechten Hand ertastete ich flux den Außenspiegel meines Wagens, als ich rückwärts und immer bedacht den Fremden nicht aus den Augen zu lassen, schleunigst machte, dass ich erneut auf meinen schützenden Sitz kam. Im Zustand der Panik, fühlend wie das Adrenalin durch meinen schlanken Körper pumpte, knallte ich die Beifahrertür hinter mir zu und startete den quietschenden Ford.

Als ich wie gelähmt das Weite suchte und ohne Hast rückwärts aus der Einfahrt fuhr, ließ ich sowohl einen Teil meiner heißgeliebten Lektüren, als auch den Jungen mit den unergründlichen metallischen Augen zurück.

Als ich wie gelähmt das Weite suchte und ohne Hast rückwärts aus der Einfahrt fuhr, ließ ich sowohl einen Teil meiner heißgeliebten Lektüren, als auch den Jungen mit den unergründlichen metallischen Augen zurück

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author's note

Ich hoffe, das erste Kapitel hat euch zunächst schonmal gut gefallen, für Kritik und andere Anregungen ist hier natürlich Platz (:

Was haltet ihr von dem plötzlich erschienenen Jungen mit den unverwechselbar grauen Augen?
Viel Spaß mit den nächsten Kapiteln, ihr Lieben!

- eure n.

unspokenWhere stories live. Discover now