minor magic

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In dem heruntergekommenen kleinen Café standen fünf verschiedene Automaten. Einer war ein Kaugummiautomat. Einer war ein Zigarettenautomat. Einer war gefüllt mit Flummibällen in allen vorstellbaren Farben, ein anderer mit Schlüsselanhängern, die Charaktere einer beliebten Zeichentrickserie darstellten.

Der letzte war gefüllt mit Wunderlampen.

Die Wunderlampen waren nichts Besonderes. Sie kosteten 1€ das Stück. Sie waren nur etwa daumenlang, bestanden aus Plastik mit einer deutlichen Naht in der Mitte, waren mit Goldfarbe bemalt und mit schief geklebten Plastikbrillanten dekoriert und das Loch vorne in der Tülle war in Wahrheit eine Mulde und reichte nur einige Millimeter tief. Wenn man die kleine Kapsel öffnete, in der sie aus dem Automaten kamen, schlug einem ein starker chemischer Geruch entgegen. An der Unterseite des oft nicht ganz ebenen Fußes konnte man lesen: „Made in China."

Aber jede dieser Wunderlampen enthielt einen Dschinn und jeder Dschinn konnte einen einzigen Wunsch erfüllen.

Natürlich waren es keine großen Wünsche. Niemand würde durch diese kleinen Plastikwunderlampen zum Millionär, Bundeskanzler oder fließenden Sprecher von Hokkien werden. Aber sie konnten nützlich sein.

Die nervöse Frau in der fleckigen Jeansjacke, die nur kurz mit der Intention in das Café gekommen war, Zigaretten zu kaufen, wünschte sich damit einen aggressiven Pickel auf ihrem Kinn fort. Es klappte einwandfrei. Der gelangweilte kleine Junge, den seine Mutter zum allwöchentlichen Kaffeeklatsch mit ihren Busenfreundinnen mitgeschleppt und der sich den einen Euro für den Automaten hartnäckig erbettelt hatte, wünschte sich, dass die Naht an seinem T-Shirt sich schloss, die er sich beim Herumtollen aufgerissen hatte. Auch das war kein Problem. Manche gingen mit diesen geringen Wünschen sogar besonders findig um, mogelten, fanden Hintertürchen. Eine gewitzte Schülerin wünschte sich, dass ihr Lehrer in ihrem Hassfach Mathematik beim Zusammenzählen der Punkte in ihrer Arbeit das Komma übersah, als er den Benotungsschlüssel zurate zog. Statt 3,5 Punkten las er 35. Sie schrieb eine 2.

Aber nicht alle wussten diese geringen Wünsche für sich zu nutzen oder auch nur zu schätzen.


Ein Dschinn musste einen Jungen enttäuschen, der sich neongrünes Haar wünschte, ein anderer musste einer sehr alten Dame mitteilen, dass auch er ihre wundervolle Singstimme aus jungen Jahren nicht mehr herstellen konnte. Einer sah sich gezwungen, einer Frau zu sagen, dass er nicht ihre Punkte in Flensburg entfernen konnte, ein anderer musste einem Demiboy antworten, dass es nicht in seiner Macht stand, seine Brüste zu entfernen. Einer hatte die unangenehme Aufgabe, einem todtraurigen Mädchen im Kindergartenalter zu erklären, dass ein Haustier-Einhorn auch dann keine gute Idee wäre, wenn er ihm eines beschaffen könnte, ein anderer hatte einen Streit mit einem wütenden Mann mittleren Alters darüber, ob er seine Erektionsprobleme behandeln konnte oder nicht. Er konnte nicht.

„Ehrlich?", fragte der unterarmlange Dschinn trocken, wenngleich fistelig, an dessen Lampe ein enthusiastisch grinsender junger Mann gerieben hatte, der, seine Handykamera auf ihn gerichtet, sich tausend Wünsche gewünscht hatte.
Jeder wusste, dass man sich nicht mehr Wünsche wünschen konnte. Jeder, außer offenbar diese Möchtegern-Internetberühmtheit.

„Du denkst, deine große Liebe liebt dich wegen etwas, was du aus einem Automaten in einem Laden wie diesem hast?", fragte ein anderer Dschinn ungläubig, von dem sich ein hoffnungsvolles Mädchen gewünscht hatte, dass ein gewisser Lennart aus der 9C sich unsterblich in es verliebte.

Eine Frau, die eindeutig nicht aus dieser Gegend kam, beäugte den Wunderlampenautomaten skeptisch, während sie sich Zigaretten zog. Sie trug das Haar in einem mondänen Bob. Ihr Körper war verhüllt von einem gut geschnittenen Tweedmantel. Sie hatte „Feuchtgebiete" in der Handtasche und Weißwein im Atem. Sie steckte sich die Zigarettenschachtel in die Manteltasche. Kurz zögerte sie noch, dann zog sie sich auch eine Wunderlampe.

Erst, als sie wieder auf dem abgewetzten Hocker saß und an ihrem Wein genippt hatte, öffnete sie die Kapsel. Mit spitzen Fingern, die in sorgsam manikürten, dunkelroten Nägeln endeten, drehte sie die unbeeindruckende kleine Wunderlampe hin und her und betrachtete sie mit fast angewidertem Blick. Sie rieb mit einem Finger daran, den sie sich daraufhin sofort unterbewusst an ihrer Bügelfaltenhose abwischte.

In einer voluminösen grünen Rauchwolke entstieg der Dschinn der Lampe, eine maskuline, halbnackte, muskulöse, bärtige, etwa dreißig Zentimeter hohe Erscheinung.

Die Frau war immer noch nicht begeisterter.

„Besitzer der Lampe", grüßte der Dschinn mit hoher Schlümpfestimme. „Was ist dein Wunsch?"

Die Frau seufzte, als stünde ihr eine besonders unangenehme Aufgabe bevor und nicht die magische Erfüllung eines sehr kleinen Wunsches.
„Morgen habe ich ein wichtiges Geschäftstreffen. Ich wünsche mir, dass Yannik mich während der Zeit dieses Treffens nicht anruft", sagte sie, das Handy in der Hand. Sie entschlüsselte es, klickte sich schnell durch die Bildschirme. Sie hielt dem Dschinn ein Foto von einem etwa zehnjährigen Jungen hin, der mit einem Gartenschlauch herumalberte. „Das ist Yannik, mein Sohn. Yannik Großlechner-Vogt. Er ist im Moment krank. Ruft ständig an. Allein jetzt habe ich drei verpasste Anrufe von ihm!"
Den Dschinn interessierten Yanniks Gesicht und Nachname nicht. Den Dschinn interessierte: „Wie lange soll dieses Geschäftstreffen dauern?"
„Ach, das weiß ich nicht genau", seufzte die Frau ungeduldig. „So zwei bis drei Stunden dauern die für gewöhnlich."
Sie wollte weitersprechen, aber der Dschinn schnaubte ungläubig. „Du hast einen Euro bezahlt, gute Frau! Einen Euro! Einen einzigen! Für einen Euro kriegst du drei Brötchen oder ein Reisefläschchen Shampoo oder einen dieser Schlüsselanhänger da drüben, nicht drei Stunden Ruhe! Weißt du, was weniger gekostet hätte? Einfach dein Handy stumm zu schalten, wie jetzt!"
Die Frau starrte auf den Bildschirm des Handys, auf dem sich Yannik lautlos gerade ein viertes Mal meldete.
„Der Unterschied ist", gab sie ungehalten zurück, „dass ich jetzt Feierabend habe und es mir leisten kann, für ein, zwei Stunden nicht erreichbar zusein!"
„Wenn dir so viel daran liegt, dass Yannik dich nicht anruft, bezahl einen Babysitter und keine Plastikwunderlampe, die in China von Kinderarbeitern gemacht worden ist", schlug der Dschinn vor.

Die Frau stöhnte. Sie stellte die kleine Wunderlampe ab, nahm einen Schluck von ihrem Weißwein und vergrub dann das Gesicht in den Händen.

Erschöpft antwortete sie: „Na schön. In dem Fall wünsche ich mir, dass Lara morgen Nachmittag verfügbar ist. Lara Günter? Die hat Yannik früher manchmal gebabysittet."

Der Dschinn lachte. Er verschwand in der Wunderlampe. Er hatte es längst aufgegeben, jenseits des ersten Wunsches zu diskutieren.

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⏰ Last updated: May 25, 2021 ⏰

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