Kapitel 1

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Yuvial war eine Stadt von Namen. Eine große, handelsrege Stadt im Zentrum eines kleinen Herrschaftsgebietes, das außerdem eine Handvoll geschäftiger Dörfer umfasste. Die Straßen waren gepflastert, Sand setzte sich in den Fugen ab und knirschte unter den Sohlen. Die Gebäude waren in Beigetönen sauber verputzt, auf ihren Dächern lasteten zentimeterdicke Staubschichten.

Yuvial war lebendig.

Eine starke Stadt inmitten einer toten Wüste.

Sie war das erste große Ziel ihrer Reise. Hier würde die Karawane einen ganzen Tag und eine Nacht verweilen. Obwohl es Zara auf den Nägeln brannte, so schnell wie möglich weiterzuziehen, um so viel Strecke wie möglich hinter sich zu lassen, freute sie sich auf ein warmes Bett, eine angenehme Mahlzeit und ein eigenes Zimmer. Sie hatte den Sand in den Kleidern und die eisige Kälte der Wüstennächte inzwischen ordentlich satt.

Die Karawane erreichte Yuvial zur Mittagszeit. Sie bestand aus Händlern in bestickten Thawb und Gelegenheitsarbeiter, gebildete Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit dem Reisen verdienten. Stämmige Männer, die sich auch gegen Plünderer und die Launen der Natur zur Wehr zu setzen wussten.

Zaras Eltern hatten eine stattliche Summe gezahlt, damit ihre Tochter sie begleiten durfte.

Am Stadttor wurden sie kontrolliert, jedoch konnten sie alle sich ausweisen und man ließ sie rasch passieren. Das Gasthaus, in dem sie nächtigen würden, war klein und bescheiden eingerichtet, jedoch war es sauber und es verfügte sogar über eine Waschstelle, die Zara sofort aufsuchte, um sich den gröbsten Teil von Schmutz und Schweiß von der Haut zu waschen. Hinterher fühlte sie sich wieder wie ein Mensch. Sie stieg in die Uniform der Fajzzeh – eine Kombination aus einer weiten Pluderhose und einem kurzen Oberteil, das ihren Bauch freiließ. Dann machte sie sich auf den Weg. Sicher schadete es nicht, sich ein wenig in der Stadt umzusehen.

Obwohl Zara sich noch nicht weit von ihrer Heimat entfernt hatte, sah die Gegend anders aus als ihre, wirkten die Menschen braungebrannter, abgehärteter und... bunter. Zara fühlte sich merkwürdig fremd, auch, wenn man sie wohl nicht auf den ersten Blick als Fremde hätte identifizieren können. Ihre Haut war dunkel gebrannt von der Sonne, die auch dem Rande der Wüste mit ihrer unerbittlichen Hitze zusetzte. Ihre langen Haare waren dunkel und glatt, die Figur schlank und ihre Gesichtszüge fein.

Bloß ihre Augen hoben sich von denen der anderen ab. Die Augen der Wüstenbewohner glänzten wie polierte Kastanien – Zaras Augen hingegen waren schlammig grün.

Bis zu diesem Moment hatte Zara nie eine so große Stadt wie Yuvial betreten. Ihr Leben hatte sich innerhalb weniger kleiner Ortschaften abgespielt, die ihr mehr und mehr das Gefühl gegeben hatten, sich im Kreis zu drehen. Um ihr etwas Ablenkung zu verschaffen, hatte ihre Mutter sie zur Schule gehen lassen. Die Schule der Fajzzeh war die einzige im Umkreis ihrer kleinen Welt gewesen, und sie hatte nicht lange über die Konsequenzen nachgedacht. Generell hatte ihre Mutter viel gedacht, wenn es um das Wohlergehen ihrer Tochter gegangen war, jedoch war das Ergebnis zumeist nicht zu Zaras Zufriedenheit ausgefallen. Ihr Aufenthalt in der Schule der Fajzzeh bildete eine Ausnahme.

In Vendery gab es eine Vielzahl unterschiedlichster Schulen. Nur solche, deren Lehrer studiert hatten und die sich stetig fortbildeten, durften sich einen Namen nach den längst vergessenen Helden aus der Historie geben. Heute wusste niemand mehr etwas über diese Helden, außer, dass sie Meister ihres Faches gewesen waren.

Über die Schulen jedoch wussten die Menschen Bescheid. Jede von ihnen war einzigartig und jede besaß Einfluss – auf die eine oder andere Art.

Die Bandshar etwa waren Händler, die Verhab Architekten und die Zékkra Magier. Jede Schule bildete Meister ihres Faches aus. Jede Schule vermittelte zudem Werte und Tugenden, die ihre ganz eigenen waren und die ihrer Natur entsprachen.

YuvialWhere stories live. Discover now