KAPITEL DREIZEHN ㅡ into that good night

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Das kleine Modehaus am Rande von Queens war schon seit eineinhalb Stunden für die Öffentlichkeit geschlossen, seit Areum mit zwei griesgrämig dreinblickenden jungen Männern und mehreren schweren Kleidersäcken im Gepäck über die Türschwelle getreten war. Offensichtlich war die Betreiberin der Boutique eine gute Freundin ihrerseits; denn die vierzigjährige Britin hatte sich sofort bemüht, die hysterische Areum in ihrer größten Umkleide unterzubringen, ehe sie den Laden für die wenigen Kunden, die sich um neunzehn Uhr noch in diesem menschenleeren Viertel herumtrieben, geschlossen hatte.

Im Augenblick stand sie hinter der Kasse und machte die Tagesabrechnungen; und als Seokjin und Jeongguk sie passierten, hob sie kurz den Kopf und nickte ihnen zu, ehe sie sich wieder in ihre Arbeit vertiefte. Vor den Fenstern des Modegeschäfts war die winterliche Nacht über die Backsteingebäude Queens hereingebrochen – die längste Nacht des Jahres, die sich zusätzlich mit einer klirrenden Kälte assoziiert hatte. Die gegenüberliegenden Häuser trugen Weihnachtsbeleuchtung und Jeongguk wurde wieder einmal bewusst, dass es nur noch drei Tage bis Heiligabend waren.

Er war ohnehin niemand, der Weihnachten eine allzu große Bedeutung beimaß, aber dieses Jahr hatte sich der Feiertag so überraschend an ihn angeschlichen, dass er von seinen Vorboten, namentlich der Weihnachtsbeleuchtung, jedes Mal aufs Neue überrascht war.

Seokjin war hinter der Tür der ersten Ankleide verschwunden, noch ehe Jeongguk seinen Blick von den blinkenden Lichtern auf der anderen Seite der Straße gelöst hatte und Jeongguk öffnete die Tür zur zweiten Garderobe. Er hängte den bauschigen Kleidersack auf einen Haken und machte sich dann daran, den Reißverschluss bis auf den Boden aufzuziehen, sodass die zwei Plastikhälften zur Seite klappten und den Anzug offenbarten, den Areum für ihn ausgesucht hatte. Es war irgendein zweifelsfrei unbezahlbares Ding eines Modehauses, das vermutlich auch fürs Ansehen Gebühren erhob – aber Jeongguk fand, dass sie keine schlechte Arbeit darin geleistet hatte, seinen Stil zu treffen.

Der Anzug war beinahe vollkommen schwarz, bis auf einige weiße Aufsätze, die die Form von knospenden Ästchen annahmen, sich die Hosenbeine hinaufzogen und dort langsam ausdünnten. Auch seine Anzugjacke war mit denselben Knospen bestickt, die von Ärmeln und Torso in unterschiedlicher Variation aufgegriffen wurden. Er hatte erwartet, ein paar grauenhafter Lackschuhe vorzufinden, aber als er den Stoff noch weiter zurückschlug, bemerkte er, dass ein paar schwarzer Schnürstiefel um den Kleiderhaken hingen und ein glückliches Lächeln grub sich in seine Lippen ein.

Areum schien genau gewusst zu haben, was sie tat, als sie ihm versichert hatte, dass er sich nicht den Kopf über Galakleidung zerbrechen solle – und dass sie diese Muße vor ihn übernehmen würde. Er war überrascht davon, wie sehr sie seinem Geschmack gerecht geworden war.

Er musste nicht einmal ein Hemd tragen, denn als er den Anzug vom Haken nahm, fiel ihm ein schwarzes Shirt entgegen, dass offensichtlich zusätzlich mit einer Thermofunktion ausgestattet war.

Alles in allem kostete es ihn nicht einmal zwei Minuten, bis er aus seiner schwarzen Jeans und Lederjacke geschlüpft war und den Anzug mehr oder weniger formgerecht um seine Schultern angebracht hatte. Er war gerade dabei, die Stiefel zuzuschnüren, als er Seokjins Stimme aus der anliegenden Ankleide hörte.

„Jeongguk, altes Haus. Du hast nicht zufälligerweise eine Hand frei?"

„Warte", antwortete er, während er einen Doppelknoten in seine Schnürsenkel machte. „Bin gleich bei dir."

Als er seine eigene Ankleide verließ und die Tür zur benachbarten Kabine öffnete, wurde er mit einem Anblick konfrontiert, der ihn unter anderen Umständen in heiseres Lachen ausbrechen hätte lassen. Offensichtlich war Areums Extravaganz, die sie sich bei Jeongguk eingespart hatte, zu hundert Prozent in Seokjins Aufzug geflossen. Sein älterer Freund war in einen Anzug gekleidet, der eine geschmackvolle Schattierung von Rosa zur Schau stellte und um einiges komplizierter konzipiert war als Jeongguks. Ein Schimmer ging von dem Stoff aus, der durch das hochgeschlossene Hemd aufgegriffen wurde, das Seokjin darunter trug.

SLOWTOWNWhere stories live. Discover now