Midnight - Tote lügen nicht

1: Eine verhängnisvolle Mutprobe

Der zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Irgendwas nach Mitternacht.«

Wow. Das war die Antwort des Jahrhunderts. Nur mit Mühe konnte sie sich die sarkastische Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag, verkneifen. Irgendwas nach Mitternacht. Das war wirklich total hilfreich.

»Du bist so still auf einmal. Sag bloß, du hast doch Angst. Wenn ja, kannst du ruhig meine Hand halten«, es klang gönnerhaft.

»Nein, geht schon«, sie schüttelte den Kopf, während sie sich gleichzeitig über sich selbst wunderte. Hätte er sie vorhin noch mit diesem Wahnsinns Lächeln danach gefragt, sie hätte es sofort getan aber jetzt... Jetzt wollte sie nicht. Und irgendwie war er ihr auch selbst nicht mehr ganz so wichtig. Vielleicht lag es an den wenig intelligenten Dingen, die er von sich gab.

Midnight... Midnight Darkwood... Verlass diesen Ort. Sonst wird er dich finden.

»Wie auch immer. Ich glaube nicht an Geister«, fügte sie noch einmal hinzu.

»Genau deshalb finde ich dich auch eigentlich ganz cool.«

Wahnsinn. Erst war sie bis vorhin noch eine »coole Socke« und nun schon »eigentlich ganz cool«. Das war ja nicht gerade so die perfekte Steigerung. Aber was sollte das schon?

»Ich weiß sowieso nicht, was alle an Halloween finden. Schlussendlich ist das doch eigentlich nur alles Vermarktung, um irgendwelchen Gruselkram zu verkaufen ...«

»Bist du dir sicher?«

»Natürlich«, sie nickte. Dann aber hielt sie einen Moment inne.

Die Gestalt die nun vor ihr stand war nicht Kilian. Sondern irgendein Wesen, sie weigerte sich es Geist zu nennen, das sie aus großen Augen anstarrte. Der Kopf dieses Wesen war schmal, die Wangenknochen kantig. Das Grinsen, zumindest nahm sie es an das es eines sein sollte, zeigte dass einige Zähne fehlten und ließen das Gesicht nicht wirklich vertrauenserweckender und schöner, sondern vielmehr gruselig, ja geradezu wie ein Totenschädel, wirken. Die schmale skellettartige Hand, die es zum Gruß erhoben hatte, und die Kleidung die in Fetzen an ihm herunter hingen machten es auch nicht wirklich besser.

»Du bist witzig«, merkte es schließlich an.

»Ich muss wirklich übermüdet sein«, murmelte sie schließlich vor sich hin. »Wenn meine Einbildung mir jetzt schon solche Streiche spielt ...«

Ein Rasseln war zu hören. Vermutlich sollte das ein Lachen sein. »Du glaubst also wirklich nicht an Geister?«

»Nein«, sie schüttelte den Kopf. »Die Toten sind tot. Und keiner kann mir erzählen, dass sie hier ohne Frieden zu finden umher wandern. Interessantes Kostüm übrigens. Was soll das darstellen? Einen Zombie? Ich kenne mich da nicht so gut aus.«

»Erst glaubst du, dass ich eine Einbildung, und jetzt dass ich jemand bin, der ein Kostüm trägt?«, es klang ungläubig. »Aber du hast Recht«, sinnierte das Wesen dann. »Die Toten sind tot. Was aber kein Grund ist, nicht auf ihre Warnungen zu hören.«

»Und wo ist eigentlich Kilian?«, fragte sie, ihn vorläufig ignorierend, als ihr nun auffiel, dass dieser tatsächlich nicht mehr da war.

»Er ist ...«, das Wesen machte eine kurze Pause »gegangen«. »Und nein, ich bin kein Zombie. Mit diesen widerwärtigen Kreaturen will ich nichts zu schaffen haben. Ich bin«, das Wesen machte eine Verbeugung »der Hüter der Toten.«

So langsam wusste sie wirklich nicht mehr. Was sie von all dem halten sollte, was gerade passierte und bisher passiert war. Kilian, der sie hierzu überredet hatte, und ihr inzwischen doch recht dümmlich erschien, war weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Stattdessen stand nun dieses Wesen vor ihr, das doch recht unheimlich aussah und obendrein behauptete, es wäre der Hüter der Toten. Was auch immer das sein sollte. Den Sensenmann, sofern es ihn denn gab, was sie sehr bezweifelte, stellte sie sich doch anders vor. Nicht so skellettartig. Sondern eher mit schwarzer Kutte und, na ja, eben einer Sense. Von einem Hüter der Toten, was auch immer das sein mochte, hatte sie jedenfalls noch nie gehört.