Das unverwechselbare Seezeichen der Insel Strand, der wuchtige, aus roten Backsteinen bestehende hohe Turm der Kirche St. Salvator, war weithin zu sehen. Nahe der Kirche befand sich auch ihr Ziel, der Hafen.

Während sie darauf zuhielten, musste Lorena unwillkürlich an eine allseits bekannte Geschichte denken ... vor ungefähr zweihundert Jahren hatte just in diesem Turm der Seeräuber Cord Widderich mit seinen Mannen gehaust, ein Dithmarscher, der gegen die Friesen Krieg führte, weil sie seinen Hof geplündert hatten. Von Turm aus hatte er nach Handelsschiffen ausgespäht, dann falsche Seefeuer gelegt, um sie an die Sandbänke stranden zu lassen. Einen Teil der Beute hatte er immerhin an arme Inselbewohner verschenkt; so war ihm der Dank gewiss, er konnte ungestört weitere Raubzüge begehen. Aber den Folgen seiner Untaten hatte er nicht entgehen können - später, nach dem Friedensschluss wieder ein ehrbarer Kaufmann, wurde er auf der Pilgerreise von den Gefolgsleuten des Grafen ohne Gerichtsverfahren erhängt. Bis heute stritten sich die Leute darüber, ob Cord Widderich ein Held oder Schurke gewesen war.

Er hatte Unrecht mit Unrecht vergolten, dachte Lorena. Mit dem Blut Unschuldiger. Ich muss meinen Freunden ins Gewissen reden. Dass die guten Leute während der Plünderung des Schiffes hilflos ertrinken, darf nicht wieder geschehen. Zuerst also helfen ... und dann ... das andere.

Mit leisem Schmatzen fuhr das Boot in den Schlick. Janko zog es soweit ans Ufer, dass es von der kommenden Flut nicht fortgespült werden konnte. Zusammen stiegen sie auf die Deichkrone und suchten mit ihren Blicken die Landschaft ab. Ein halbverfallenes Haus war spärlich erleuchtet.

„Das muss Hauke sein. Jetzt kann ich wohl für längere Zeit nicht mehr mit dir fahren", seufzte Lorena. „Wie schade ... aber gibt noch einiges zu tun, bevor der Winter kommt."

„Irgendeine Gelegenheit ergibt sich bestimmt wieder, schlage vor, wir treffen uns jeden dritten Tag. Und wenn der Polterkopf dir gegenüber gewalttätig werden sollte, dann werde ich ihm mal einen Besuch abstatten und ihm zeigen, wie sich Amrumer Fäuste anfühlen. Ich warte auf jeden Fall, bis du im Haus bist. Wenn Hauke gute Laune hat und keine Gefahr für dich besteht, dann stelle ein Kerzenlicht ins Fenster, damit ich weiß, dass alles in Ordnung ist. Erst dann werde ich gehen. Also los, ich warte."

Lorena stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „So sei es. Mach' dir keine Sorgen. Aber wo schläfst du heute?"

„Ich übernachte wieder in einer Arbeiterhütte. Weiß ja niemand, dass ich nicht mehr am Deich schufte."

„Und noch etwas ..."

„Ja?"

„Falls du mich zur verabredeten Zeit mal nicht antriffst ..."

„He – willst du dich jetzt schon aus dem Staub machen?" Er klang entgeistert.

Sie nickte. „Vielleicht. Wenn die dunkle Jahreszeit beginnt, ist Hauke oft bedrückt und scheint in einer düsteren Welt gefangen zu sein. Wenn er friedlich bleibt, ist alles gut ... wenn nicht ... dann fliehe ich nach Süderoog und bitte Iwe Mannis um Obdach. Er ist auf Hauke noch wütend genug, um ihm den Zutritt zu seinem Haus zu verweigern. Das verschafft mir Zeit, um nach einer neuen Bleibe zu suchen. Wie auch immer – ein zweites Mal lasse ich mich nicht schlagen!"

Zweifelnd sah Janko zum Haus, wo Lorenas Schicksal wartete. Er presste die schmalen Lippen zusammen. „Lass' dir nichts gefallen! Ich bin in jedem Fall pünktlich da. Bist du nicht am Strand, suche ich dich im Haus. Bist du nicht dort, komme ich nach Süderoog! – Soll ich nicht lieber doch mitgeh'n?"

Sie schüttelte den Kopf. „Lass' mal! Es wird nicht nötig sein; Hauke hat sich in letzter Zeit immer besonnen verhalten."

„Wenn du meinst ... und denk' an die Kerze!!"

🌊Der Stern des Meeres🌊*WattyWinner 2019*Unde poveștirile trăiesc. Descoperă acum