Die ersten Eindrücke

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Jetzt waren sie unterwegs in den Westen Deutschlands. Unser Hauptdarsteller genoss den netten Umgang unter den Menschen, die allgemeine Sauberkeit und Ordnung auf den Straßen. Aber am meisten beeindruckten ihn die Toiletten auf den Tankstellen. Das waren die saubersten und am besten ausgestatteten öffentlichen Toiletten, die er je gesehen hatte. Es gab dort Toilettenpapier, Seife und sogar warmes Wasser. Er dachte, dass er gerne politisches Asyl bei den Toiletten beantragen würde, wenn es möglich wäre. Auch nach so vielen Jahren kommt dieses Gefühl in ihm immer wieder hoch, wenn er nach einem Auslandsbesuch zurückkommt.

Die Auswanderungsreise dauerte insgesamt 28 Stunden. Er sammelte eine Menge an ersten Eindrücken. Diese Menge sollte sich in den ersten Tagen seines Aufenthalts in Deutschland vergrößern. In den nächsten Tagen erkundigte er die Umgebung um seine Wohnstätte. Er wollte essen, so ging er in einen Supermarkt. An der Kasse ließ ihn eine Dame vorgehen, weil er nur wenige Lebensmittel in den Händen hatte und sie eine volle Schubkarre. Später beim Verlassen des Supermarktgeländes registrierte er, dass die besagte Dame einen Mercedes E-Klasse bestieg. Damals wie öfters auch heute noch ist so eine nette Geste in der Ukraine fast unmöglich. Wenn er eine Straße am Zebrastreifen überqueren wollte, bremsten die Autofahrer und ließen ihn durch. Es war eine andere Welt. Obwohl die Autofahrer in der Ukraine häufig schuldig gesprochen wurden, wenn sie einen Passanten anfuhren und die Schuld offensichtlich bei dem Passanten lag, drängten sich die Autofahrer auch auf den Zebrastreifen. Als Fußgänger musste man in der Ukraine stets auf der Hut sein, sobald man einen Fuß auf die Fahrbahn gesetzt hatte.

Einige Tage nach seiner Ankunft in Deutschland musste er morgens früh aufs Amt kommen, wozu er die Hilfe der Straßenbahn beanspruchte. Verschlafen stand er an der Haltestelle. Da kam ein älterer Herr und wollte ein Gespräch beginnen. Unser Protagonist konnte nur ein paar Brocken Deutsch. Dies versuchte er, dem älteren Mann beizubringen. Aber der Mann gab sich nicht geschlagen. Er wollte wissen, wo der Neuankömmling hergekommen war. Das Wort „Ukraine" wird auf Deutsch und Ukrainisch fast gleich ausgesprochen. Nun wusste der ältere Herr den Namen des Heimatlandes seines Gegenübers. Offenbar löste dieser Name eine Masse an Erinnerungen im älteren Mann aus. Er sagte, dass er dort zu seiner Zeit gedient habe. Der ältere Herr zog ein in die Jahre gekommenes Foto aus seinem Portemonnaie. Darauf war ein junger Mann in der Wehrmachtsuniform mit einem Pferd abgebildet, die unser Protagonist nur von Filmen über den Zweiten Weltkrieg kannte. Man sollte wissen, dass seit dem Zweiten Weltkrieg eine Propaganda in der Sowjet Union herrschte, in der die Deutschen allein für den Krieg verantwortlich gemacht wurden. Die Propaganda wurde in Form von Filmen, Fernsehsendungen, Literatur und anderem verbreitet. Es wurde eine große Abneigung gegen die Deutschen in den Köpfen der Menschen gezüchtet, besonders gegen die, die Soldatenuniformen des Zweiten Weltkrieges trugen. Zur Erinnerung: Unser Hauptdarsteller war verschlafen. Dementsprechend verliefen die Denkprozesse in seinem Kopf sehr schleppend. Aber langsam fang er an, einige Tatsachen zusammen zu stellen:

· Erstens diente der Mann in einer Wehrmachtsuniform

· Zweitens diente er in der Ukraine. Ein Deutscher diente in der Ukraine! Wie war das denn möglich, dass ein ausländischer Soldat in der Sowjet Union gedient hatte?

· Drittens sollte der Mann dem Aussehen nach zu den Zeiten des Zweiten Weltkrieges gedient haben

Blitzartig kam die Erkenntnis – er war ein deutscher Eroberer, der am Angriff auf die Sowjets beteiligt war. Es hätte sein können, dass er mit den Großvätern des Protagonisten gekämpft hatte, dass er am Leid des ukrainischen Volkes mitverantwortlich gewesen war, dass er derjenige gewesen sein könnte, der Verwandte des Protagonisten getötet hatte. Der Blick auf den älteren Mann wurde auf einmal von Hass durchtränkt, den die Propaganda ausgelöst hatte. Gleichzeitig kam die Straßenbahn. Der ältere Herr steckte das Foto in die Hosentasche. Dann lief er schnell auf die letzte Tür des langen Zuges zu. Unsere Hauptfigur musste sich ein Ticket für die Fahrt bei dem Fahrer besorgen. Aus diesem Grund blieb er vorne stehen. In der Straßenbahn trafen sie sich nicht mehr.

Was war das für eine Begegnung! Sie löste eine Reihe von Gedanken im Kopf des Protagonisten aus. Er musste über das Thema klarwerden, um in Deutschland bleiben und leben zu können. Ehemalige Soldaten der Wehrmacht durften keine Feinde mehr sein. Heute, nach 19 Jahren in Deutschland, erinnert er sich an die Geschichte mit einem breiten Lächeln.

Die Ausreise und die ersten EindrückeDove le storie prendono vita. Scoprilo ora