21 - Ein Schimmer

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Sie ließ die Kapuze auf ihren Kopf sinken.
Ringe glitzerten an ihrer Hand, als sie sich zum Gehen wandte.

"Donna!"

Sie musste im Türrahmen stehen, außerhalb von Cress Blickfeld.
Die Diebin konnte die Worte förmlich in ihm hochkochen spüren, fühlte, wie das Temperament gegen die Vernunft siegte.
Zumindest für einen Augenblick. Ein Schimmer von Rebellion.

„Ihr ladet eine unvorstellbare Schuld auf Euch. Jeder von uns wird vor den Höchsten für seine Sünden bezahlen, ich für meine, ihr für Eure. Die Götter mögen Eurer Seele gnädig sein, wenn ihr Erfolg habt. Befehlt Ihr mir, diese Änderung vorzunehmen?"

Ihre Schritte hallten zwischen den Regalen voller toter Worte wider, als sie ging.
Der Mann starrte ihr noch einen Moment hinterher, blass wie frisch gefallener Schnee, die Finger auf das polierte Holz seines Schreibtischs gepresst.

Dann, ganz langsam, hob er den Blick, ließ ihn Regal für Regal nach oben schweifen, bis er bei Cress hängen blieb. Er starrte ihr direkt in die Augen, zeigte jedoch keine Reaktion auf ihre Anwesenheit, während sie vor Angst fast durchdrehte.
Die Diebin bewegte sich nicht.

Der Wissenschaftler ließ sich in seinen Sessel fallen. Jemand klopfte leise und der schwere, luxuriöse Duft nach schwarzem Tee waberte zu ihr herauf, als eine gelbe Dienstbotin ein Tablett mit einer weißen Kanne, einer Tasse und einem Teller voller Kekse vor ihm abstellte.

"Das hat aber gedauert, Abbie", wandte er sich an die rundliche Frau. Sie senkte beschämt den Kopf, murmelte eine Entschuldigung und verschwand genauso schnell, wie sie gekommen war.

"Wer in mein Haus einbrechen kann, ohne den Adel auf den Plan zu rufen muss ein Geist sein", sagte er dann, scheinbar zu niemandem. Er wusste, dass sie hier war, vermutlich schon eine ganze Weile, wurde Cress siedend heiß klar.
Wieso hatte er sie nicht an die blaue Frau verraten? Hasste er die Adlige wirklich so sehr? Seufzend lehnte sich der Wissenschaftler zurück, goss sich eine Tasse Tee ein und sah zu den wuchernden Pflanzen hinauf, die die Diebin verbargen.

"Du willst die Formel, ja? Alle wollen nur die Formel."

Seine Stimme war leise geworden, zu ruhig.

"Die bekommst du nicht", stellte er düster klar und ließ glitzernden Zucker in seiner Tasse verschwinden wie schmelzender Schnee auf kahler Erde.

"Es ist unmöglich, sie zu stehlen."

Sein Blick wanderte noch einmal die Regalreihen hinauf, während der gespannten Stille.

"Wahrscheinlich weißt du nicht einmal, was du da gerade gehört hast, ja?"

Die Fältchen um seinen Mund schienen sein Gesicht in Teile zu schneiden, als er ein geschwungenes, melancholisches Lächeln zu mir hinaufwarf.

"Sie würde dich umbringen, wenn sie wüsste, dass du hier warst."

Seine Stimme wurde dumpf, als sein Blick auf den mit Papier übersäten Tisch fiel.
Langsam stand er auf, raffte die Notizen zusammen.
Fahrig, die Arme voller Papiere, warf er einen letzten Blick zu ihr hinauf, wie sie perplex und atemlos in seinem Regal kauerte.

"Du bist nicht hier, um mich umzubringen, sonst wäre ich längst tot. Nimm, was du willst. Ich brauche nichts davon. Nichts davon ist mir mehr etwas wert. Vielleicht poliert das ja meine verdammte Sternschuld auf."

In seinem Strickpullover verließ er das Zimmer, knallte die Tür zu und ließ sie mit silbernen Teelöffeln, hängenden Pflanzen und dem Duft nach Schwarztee vermischt mit dem teuren Damenparfum, das die Adlige getragen hatte, alleine.

Keuchend holte Cress Luft, löste schweißnasse Handflächen vom Holz des Bretts und wartete. Wartete, bis die Gelbe leise murmelnd das Tablett geholt hatte. Wartete, bis das schummrige Licht in der Bibliothek erlosch. Bis das Haus schlief wie ein großes, dunkles Tier. Es schabte leise, als Cress den Blumentopf zur Seite schob, die schmerzenden Gliedmaßen streckte und sich hinunter hangelte.

Unglauben, Schock und Wut ballten sich zu einem festgezurrten Knoten in ihr zusammen, den die geschicktesten Finger nicht lösen konnten.

Er hatte sie gesehen.
Er hatte gewusst, dass sie da war, oder besser: Jemand. Ein Dieb. Niemand, der ihm nach dem Leben trachtete, sondern nach etwas anderem suchte. Er hatte sie nicht verraten, hatte nicht geschrien.
Wahrscheinlich hatte der Wissenschaftler nicht gesehen, dass sie farblos war. Ansonsten wäre sie jetzt in Ketten gelegt in den Palast geschleift worden, exekutiert worden wie Owen.

Mit viel zu schnellem Atem griff Cress nach dem Türrahmen, zog sich daran hinauf und hielt an dem Punkt zwischen Ferse und Mittelfußknochen balancierend die Schwebe, während sie sich mit der einen Hand an der Wand abstützte und mit der anderen den Samtvorhang zur Seite zog.

Die Waffe war anders als die Plasmaprojektion, die ihr der Sternenprediger gegeben hatte. Weniger besonders.

Elegant, schlank aber einfach gearbeitet, scheinbar zerbrechlich wie ein Kinderspielzeug und stumpf im Mondlicht, das durch das große Fenster hereinfiel. Zwischen den beiden anderen Waffen, die schwer vor Gold und Edelsteinen waren, wirkte die Klinge ärmlich und bemitleidenswert. Fast als ob man Cress neben die Dame stellen würde, die sich mit dem Wissenschaftler gestritten hatte.

Sie war fast enttäuscht.

Langsam löste sie die Klinge aus der Halterung, schob den Samt zurück und sprang auf den mit Teppichen ausgelegten Boden. Kein Alarm schrillte. Mit ein paar Handgriffen umwickelte sie die Schneide mit schwarzem, festem Stoff und schnallte ich sie mir auf den Rücken.

Nimm, was du brauchst.

Leise, nur in Begleitung der stummen Stimmen auf den Seiten der Bücher um sie herum, huschte Cress durch die Bibliothek.

Was war gerade passiert?

Sterne, er hatte sie gesehen. Mit ihr gesprochen.

Die Panik flaute nicht ab, als sie schneller als zuvor die dunklen Korridore entlang schlich, jeden Moment darauf gefasst, in einen Hinterhalt zu laufen. Doch bis auf das Hämmern ihres Herzens blieb es ruhig in den düsteren Korridoren. Cress war so verwirrt, so wütend, dass sie erwischt worden war und angsterfüllt wie ein kleines Kind, als sie das Seil abbaute, ihre Sachen packte und floh.

Sie erwartete Scheinwerfer, von Megafonen verzerrte Stimmen.

Alles, nur nicht die Ruhe, die sich wie schwarzer Samt über die letzte Stadt breitete. Doch exakt diese Ruhe war es, die ihr bis hinein in den Geisterbezirk zusammen mit dem Gestank der Kanalisation anhaftete.

SkythiefWhere stories live. Discover now