„Na klar kann ich das", sagte ich mit einem Lächeln und nahm das Buch an, als sie es mir in die Hand drückte.

„Ist das dein Lieblingsbuch?", fragte ich sie und sie nickte eifrig. Ihre Augen wurden groß und man sah, dass sie es liebte. Auch der kleine Junge kuschelte sich an meinen Arm. Anscheinend hatte ich die Testphase bestanden. Die zwei waren aber auch zuckersüß.

„Okey, dann les ich mal", begann ich und schlug die erste Seite auf. Es war ein Kinderbuch mit großen Bildern und nicht viel Text. Mit ruhiger Stimme fing ich an zu lesen und imitierte die Stimme des großen Bären, in dem ich sie tiefer stellte. Damit brachte ich die kleinen zum Lachen und auch ich musste grinsen, da meine Stimme so, ein wenig wie Noan klang.

Die Freundin des Bären war ein kleiner Hase, der immer auf Trab war und ich versuchte seine Sprechart nachzuahmen, in dem ich relativ hastig und aufgedreht sprach.

Irgendwann kletterte das kleine Mädchen in meinen Schoß und kuschelte sich an meinen Bauch. Mir wurde warm ums Herz und ich legte einen Arm um sie, damit sie ein wenig gewärmt war. Oft mussten wir ganz plötzlich in der Mitte der Seite aufhören, weil die Kleine mir zeigen wollte, was auf dem Bild alles drauf war und wer, wer war. Ich ließ das mit Gelassenheit zu und tat immer überrascht, wenn sie mir etwas vermeintlich neues zeigte.

Als ich nun endlich fertig mit dem Buch war, klappte ich es zu und schaute nach dem Jungen, welcher an meinem Arm eingeschlafen war und ruhig atmete.

„Du kannst super lesen", meinte das kleine Mädchen und strahlte mich von unten an. Ich lächelte breit und legte mit meiner freien Hand das Buch weg.

„Danke", bedankte ich mich und fragte dann, wie die zwei denn jetzt eigentlich heißen würden.

„Ich bin Annie und mein Bruder heißt Anton", erklärt sie und grinste dann stolz: „er ist zwar älter, aber ich bin größer!"

„Woow", machte ich und sie strahlte mich noch breiter an. „Ich bin schon riesig groß", erklärte sie mir und ihre großen Augen starrten mich fasziniert an.

„Aber noch lange nicht so groß wie ich", behauptete Noan, der gerade mit einem breiten Lächeln und einem Tablett voller Essen und trinken hereingekommen war.

„Stimmt", lenkte Annie ein und krabbelte dann von meinem Schoß, um zu Noan zu laufen, welcher es sich auf dem Teppichboden gemütlich gemacht hatte.

Er packte alles was auf dem Tablett stand aus und er hatte Pfannkuchen gemacht. Total begeistert wollte ich aufspringen, als ich mich an Anton erinnerte, welcher ja an meinem Arm hang.

Vorsichtig stupste ich ihn an, um ihn aufzuwecken, doch das funktionierte nicht. Also musste ich zu härteren Maßnahmen greifen. Mit meiner warmen Hand griff ich an seinen Fuß und kitzelte die Fußsohle. Sofort riss der kleine die Augen auf und kicherte leise.

Zufrieden sprang ich vom Bett auf und machte es mir auf dem Boden neben Noan bequem.

„Du hast Pfannkuchen gemacht", sagte ich leise, doch die Begeisterung aus meiner Stimme war nicht zu vertreiben.

Er nickte mir freudig zu und ich griff nach einem Teller. Den anderen legte ich auch jedem einen Teller hin, Anton hatte sich müde neben seine Schwester auf den Boden plumpsen lassen und rieb sich mit seinen kleinen Fingerspitzen den Schlaf aus den Augen.

Noan verteilte Messer und Gabeln, und wir fingen an unsere Pfannkuchen zu beschmieren und zu essen.

Unterdessen schob mir Noan ein Glas Orangensaft und eine Tablette zu. Hastig schluckte ich die Tablette und schüttete den Orangensaft hinterher.

Langsam klärte sich in meinem Kopf alles auf, doch ich erinnerte mich nur noch an Bruchstücke vom gestrigen Abend. Und gerade in dem Moment, in welchem ich Noan fragen wollte, was passiert wäre, fragte er mich.

„An was erinnerst du dich noch?", ich grinste leicht verlegen und schüttelte den Kopf, wobei ich ihn ein wenig senkte.

„An gar nichts mehr?", fragte Noan und schien irgendwie ein wenig traurig. Was war passiert fragte ich mich. doch anscheinend wollte er es mir nicht erklären.

„Du hattest einfach zu viel getrunken und ich habe dich lieber hier auskatern lassen, als bei deiner Mum. Ich weiß ja nicht, wie die so tickt", erklärte er in einem monotonen Tonfall und ich nickte nachdrücklich. „Okey", murmelte ich, bevor ich weiter aß und mich darauf konzentrierte.

Annie und Anton alberten viel herum, doch wir beide schwiegen vor uns hin und dies mal war es wirklich eine peinliche Stille.

Als wir fertig waren, räumten wir auf und brachten die Sachen nach unten in die Küche. Der Anblick dieses Waisenheims bedrückte mich. Es schien alles ein wenig herunter gekommen und ohne liebe eingerichtet.

Noan räumte alles zurück und ich schaute mich ein wenig um. Es liefen viele Kinder herum und sie schienen immer laut zu sein. Eine Aufsichtsperson war unauffindbar. Zusammen gingen wir zurück in Noans Zimmer und nun fiel mir auf, wie klein das Zimmer war.

„Du hast auf der Couch geschlafen?", fragte ich verwirrt und blickte ihn mit einem Stirnrunzeln an. Er lächelte sanft und setzte sich auf sein Bett.

„Ich dachte, mein Bett wäre nicht breit genug für uns beide, also hab ich auf der Couch gepennt", erklärte er mir und ich nickte abwesend.

„Mich hätte es nicht gestört, wenn du neben mir gelegen hättest", murmelte ich relativ leise, doch hatte er es trotzdem gehört und als ich zu ihm sah, war das breite Grinsen in seinem Gesicht unübersehbar.

Ich wandte meinen Blick an die Wand, die von Büchern überfüllt war. „Von wegen du magst keine Bücher", behauptete ich schmunzelnd und er stand auf, um hinter mich zu treten.
Annie und Anton waren spielen gegangen und das war auch gut so, denn die Spannung, die in diesem Raum herrschte, war besser denn je zu spüren.

Ganz dicht stand er hinter mir und hatte seine Arme um mich gelegt. Seine Wärme und sein Geruch umgaben mich, und meine Beine fühlten sich an, als wollten sie mich nicht mehr halten. Mein Herz raste und ich konnte ein schüchternes Lächeln nicht unterdrücken.

Doch seine Nähe beruhigte mich genauso, wie sie mich aufwühlte. Ich fühlte mich wohl und geborgen, sodass ich mich entspannt an ihn lehnte.

„Du weißt doch schon seit langem, dass ich Bücher liebe, genauso sehr wie du", raunte er mit seiner tiefen, ruhigen Stimme an mein Ohr und ich spürte wohlige Gänsehaut und erschauderte kurz.

„Soll ich dich noch mit nach Hause begleiten?", fragte Noan mich und ich nickte, wie in Trance. Ich hörte sein Grinsen förmlich und er drehte mich zu sich um.

You're gay- that's the problem #platinawards2018Where stories live. Discover now