Nach Atem ringend blieb sie an einem Geländer stehen, wo sie sonst immer die Pferde angebunden hatten. Sie lehnte sich dagegen und wartete ab, bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Sie drehte sich um und sah grinsend auf ihr Lager hinab. Vereinzelt flackerten Lichter zwischen den Zelten auf. Wahrscheinlich die Lichter der Wachen, vermutete sie. Ihr Herz schlug ihr noch immer gegen die Brust, aber das störte sie nicht. Denn das erste Mal seit Tagen, fühlte sie den Schmerz in ihrem Auge nicht. Sie konnte nicht anders als ununterbrochen zu Lächeln. Endlich war er weg. Und bald würde sie ihr Kampftraining beginnen. Vielleicht war doch nicht alles so schlecht.

Sie sah erschrocken zur Seite, als sie einen Lichtblitz von dort wahrnahm. Entdeckte jedoch niemanden. Verwundet sah sie sich um. Ein einzelner Lichtpunkt tanzte durch ihr Gesichtsfeld. Bald gesellte sich auch ein zweiter dazu. Und ein dritter.

Sie streckte die Hand aus und versuchte einen von ihnen zu berühren. Doch bevor sie ihn erreichen konnte, verschwand das kleine Licht. Aikos Hand zuckte zurück, doch schon bald erschien ein anderes Licht, nur wenige Zentimeter neben ihrer Hand, das das alte ersetzte. Immer mehr Lichtpunkte erschienen in der Nacht und bald schien es, als stünde sie inmitten der Sterne. Sie breitete die Arme aus und entfernte sich vom Geländer. Sie atmete tief durch und begann sich langsam zu drehen.

Unter ihren Füßen spürte sie das Taunasse Gras, bis zu ihren Knöcheln. Sowohl ihr Nachthemd, als auch ihre Haare wirbelten ein wenig in der Luft. Auf ihrem Gesicht hatte sich ein Strahlen abgezeichnet. Sie war umgeben von unzähligen Glühwürmchen, die immer wieder auf blinkten und wieder verschwanden. Wie das Flackern der Sterne selbst. Sie konnte keinen Unterschied mehr zwischen Erde und Himmel machen. Sie atmete die frische Nachtluft ein und lachte. Der Wind zerzause ihr Haar noch weiter und verschaffte ihr eine Gänsehaut. Sie ließ sich auf den Boden fallen und landete weich im Gras. Ihr ganzer Rücken wurde nass, doch das machte ihr nichts. Sie starrte nach Oben und betrachtete die Sterne. Sie funkelten wie tausend Seelen auf einem Fleck.

Ob da die Götter wohnen? , fragte sie sich unwillkürlich. Das funkeln der Sterne fand sich in ihrem Auge wieder, das in der Dunkelheit fast schwarz wirkte. Sie sah das riesige Silberflies vor sich, die unzähligen Sternzeichen, die sich in ihm verbargen. Der Mond strahlte unendlich hell auf die Erde und blendete sie beinahe. In diesem Moment hätte die Welt nicht schöner für sie sein können. All das Schlechte war vergessen. All die Dämonen auf der Welt, all das Böse. In diesem Moment gab es nur Aiko und die Sterne. Einer von ihnen schien plötzlich zu Boden zu fallen. Er war nur noch als weißer Strich zu erkennen, der unglaublich schnell verglühte. Eine Sternschnuppe. Aiko schloss die Augen und wünschte sich etwas. Etwas, das sie sich mehr wünschte, als alles andere. Ihre Augen hielt sie dabei geschlossen und lauschte den Grillen und dem Wind, der die Blätter der Bäume sanft im Wind schaukelte.

Sie merkte erst wie lange sie auf der Erde gelegen hatte, als sie die ersten Vögel zwitschern hörte. Sie erhob sich mühselig auf die steifen Beine. Sie streckte sich ausgiebig und sah in den Himmel. Er war deutlich heller geworden. Die Sterne waren nur noch vereinzelt zu sehen. Auch das Leuchten des Mondes hatte abgenommen. Sie musste eingeschlafen sein.

Als sie sich umdrehte, kehrte das strahlen noch einmal auf ihre Züge zurück. Der Himmel hatte sich rot verfärbt. Er schien zu brennen, in seinen rot, gelb, orange und Blautönen.

Sie setzte sich in Bewegung und lehnte sich an das Geländer.

Die Sonne hatte noch nicht die Kraft sie zu blenden. Sie war ein wunderschöner, kirschroter Feuerball am Horizont. Sie färbte die Wolken um sie herum in tiefes Rot und Orange. Der Rest des Himmels war in ein sanftes helles Blau getunkt.

Die Sonne stieg langsam den Himmel hinauf, wurde dabei immer heller und verdrängte das Rot aus dem Horizont.

Die Glühwürmchen waren inzwischen verschwunden und auch die Sterne waren nirgends mehr zu erkennen.

Aiko stand noch immer am Geländer gelehnt da und ließ die Seele baumeln. Sie wollte sich über keine schrecklichen Dinge Gedanken machen. Wollte sich nicht an all die Dinge erinnern, die geschehen waren.

Die Strahlen der Sonne wärmten ihr Gesicht und brachten es zum Leuchten. Der Wind hatte aufgefrischt und fuhr sanft durch ihr Haar. Sie strich es sich hinters Ohr und schloss die Augen.

„Was machst du da?" erklang eine vertraute Stimme hinter ihr. Sie drehte sich nicht um, öffnete jedoch das Auge und sah weiter geradeaus.

„Ich sehe mir den Sonnenaufgang an." Ihre Stimme war fast ein Flüstern. Es war so lange still um sie herum gewesen, dass ihr die lauten Stimmen unpassend vorkamen.

„Mehr nicht?" Sie schmunzelte, als sie Narakus verwunderte Frage hörte.

„Nein. Mehr nicht."

       

Das Gift in ihrer SeeleKde žijí příběhy. Začni objevovat