Die Ernte

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Ich döse gerade auf einem himmelblauen Plüschsofa ( welches eines der einzigen Möbelstücke ist, die uns nach dem zerstörerischen Krieg noch geblieben sind ), als sich das bekannte Summen des Fernsehers in mein Ohr schleicht . Dann gesellt sich eine Frauenstimme hinzu, die ich glaube schon einmal gehört zu haben, sie aber nicht einordnen kann . Ich wage einen Blick auf den Fernseher und sehe Katniss Everdeen : live und vor dem Palast unseres ehemaligen Präsidenten Snow.

>> Guten Abend, Bürger von Panem . Wir haben eine Entscheidung getroffen, die im Interesse aller Bürger liegt. Um den Preis, der alljährigen Hungerspiele der Distrikte zurück zu zahlen, wird das Kapitol ein Opfer bringen müssen. Um so wenig Menschenleben wie möglich zu fordern, werden hiermit ein letztes Mal die Hungerspiele als eröffnet erklärt. Für die Ernte werden alle Kinder des Kapitols aufgefordert, sich am morgigen Mittag in ihrer besten Garderobe auf dem Marktplatz vor dem Präsidentenpalast einzufinden. <<.

Kein >> Aufwiedersehen <<, nur wieder das stetige Summen des Fernsehers ohne Signal. Ich schlucke den Kloß hinunter, der sich in meinem Hals gebildet hat und gehe ins Bett ohne mir weiter darüber Gedanken zu machen, was passieren würde, wenn mein Name eine Rolle in der Ernte spielen würde. Doch ich mache mir Gedanken, Gedanken darüber, wie ich von einem Speer durchbohrt oder von einem Stein zertrümmert werde. Und als ich endlich in einen unruhigen Schlaf falle, führen meine Träume die grausamen Gedanken weiter...

 

Unsanft werde ich aus meinem tiefen Schlaf gerissen, worüber ich sehr dankbar bin, da die Träume von schmerzverzerrten Schreien und zerfleischten Körpern kein Ende nehmen. Ich setze mich auf und reibe mir den Schlaf aus den Augen. Neben meinem Bett steht mein großer Bruder und zieht mir die Decke weg : >> Beeile dich, wir sind eh schon spät dran.<< Wer möchte denn nicht so geweckt werden? Ich überwinde mich dazu aufzustehen, wasche mich (so gut es in unserem, nur noch spärrlich eingerichteten Bad, welches bei dem Krieg um das Kapitol teilweise zerbombt wurde, noch geht) und suche mir etwas zum anziehen heraus, was mir angemessen erscheint. Als ich dann endlich fertig bin, stelle ich mich vor einen scmutzigen, großen Spiegel und betrachte kritisch und mit gerunzelter Stirn meine langen, blonden die auf dem grauen Kleid liegen, welches schlaff an meinem abgemagerten Körper herunterhängt . Ich habe Angst. Was ist, wenn ich gezogen werde? Was ist wenn Benett gezogen wird? Und in diesem Moment bricht Benett durch die Tür hinein und erklärt hektisch, dass wir schnellstens losmüssen, während er mich an meinem Arm aus der Tür zieht. >>Sonst ,üssen wir vielleicht als Strafe für Zuspät-kommen in die Arena.<<, scherzt er. Ich kann darüber nicht lachen.

Der ganze Marktplatz ist voll von Menschen, welche nacheinander in verschiedene Abteile geschoben werden. Auch wir reihen uns in die lange Schlange ein und warten, warten, warten und warten. Nach einer gefühlten Ewigkeit komme ich dann an die Reihe, woraufhin eine in weiß gekleidete Frau meine Hand nimmt und mir mit einer Nadel in den Finger sticht. Ein Tropfen Blut löst sich langsam von der Fingerkuppe meines Mittelfingers und die Frau presst diesen auf ein Stück Papier und hält ihren Scanner darüber >> ROSE ELAINE SNOW, 14 << . Na toll, denke ich mir als die Frau mich mit hochgezogenen Augenbrauen skeptisch mustert. Tja aber als Enkelin des kaltherzigsten und blutrünstigsten Präsidenten, den Panem je gesehen hatte, hat man es halt nicht leicht.

Sie tippt meinen Namen in einen kleines Gerät ein, welches eine Art Sofortdrucker ist. Kaum ist die Bestätigungstaste gedrückt, löst sich ein kleiner Zettel, auf den mein Name gedruckt ist aus der Maschine. Die Frau faltet das Papier säuberlich zusammen und versiegelt es mit einem rotem Klebeband. Moment mal...rotes Klebeband? Alle anderen wurden mit einem schwarzen versiegelt! >>Aber warum,...<<, versuche ich meinen Satz zu beginnen, doch die Frau unterbricht mich. >>Ich habe keine Zeit für deine Fragen. Abteil 13.<<, fällt sie mir ins Wort und schiebt mich aus ihrer Sichtweite. >>Der Nächste.<< Ich will mich noch schnell von Benett verabschieden, doch mit der Hand in meinem Rücken, schiebt sie mich wieder zurück in Richtung Abschnitt 13. Ich stelle mich in den mir zugeteilten Abteil und warte. Sehr lang. und länger.

Ungefähr eine halbe Stunde später geht es los. Ich werde immer nervöser, meine Hände zittern. Dann ertönt eine klare, hohe Frauenstimme und erfüllt den ganzen Marktplatz mit ihrem dünnen, hohen Klang. Sofort erkene ich sie : Leylahnie Bloomes, Botschafterin unserer Regierung. Während sie im Laufe der Ernte die Namen aus den großen Glaßkugeln zieht, behält sie stets ihr Lächeln bei und ihre gute Laune scheint sich währendessen sogar noch zu steigern. Zwölf Namen. Zwölf Kinder, die sogut wie tot sind. Jetzt kommt Nummer 13.

>>So meine Lieben, kommen wir nun zum 13. in unserem Bunde. Das Strahlen ihres aufgesetzten lächelns, mit den falschen Zähnen und dem leicht schadenfrohen Mitschwungs ist bis in die letzte Reihe zu sehen und ihre klar sichtbare, sadistische Art, lässt mich die Augen verdrehen. Leylahnie trippelt derweil auf ihren mörderisch hohen Pennyabsätzen zu dem Halbkreis aus Glaßkugeln, welcher auf der Bühne aufgebaut ist. Jede ist mit einer Zahl versehen, die für den jeweiligen Abteil steht, wobei sie nur die 13. im Visier hat. Vor ihr angekommen, dreht sie - wahrscheinlich um es noch >>spannender<< zu machen - eine kleine Runde um die Kugel, bevor sie ihren langen, dünnen Arm durch das Loch an der Oberseite schießen lässt und mit ihren fliederfarben lackierten Fingernägeln zwischen den Zetteln herumrührt und es fast so scheint, als würde sie nach etwas suchen. Dann, endlich zieht sie ihre Hand aus der Kugel und hält den auserkorenen Zettel hoch in die Luft, so als wäre sie erpicht darauf, ihn der ganzen Welt zu zeigen. In diesem Moment stockt mir der Atem und eine düstere Vorahnung macht sich in mir breit. Und plötzlich weiß ich, was sie gesucht hat. Genau diesen Zettel. Diesen Zettel, sorgfältig versiegelt mit einem roten Klebeband...

Die Tribute von Panem - Das Ende war erst der AnfangTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon