Überraschungsüberraschung

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Ein Gefühl der Enttäuschung durchflutete mich so stark, dass ich glaubte, ich könnte nicht mehr atmen. Schon wieder hatten meine Eltern mich übergangen, einfach über mich hinweg entschieden. Verloren. Magic nicht mehr reiten. Neues Pferd.

Mit vor Schreck weit geöffneten Augen beobachtete ich das, was nun geschah. Der Speditionsmann atmete tief durch, schließlich öffnete er, sich sichtlich überwindend, die Hängerklappe. Das erste, was ich von meinem neuen Pferd sah, waren Transportgamaschen, Schweifschoner und Decke. Es wieherte und versuchte gegen die Trennwand anzukommen. Zaudernd ging der Mann hinein und holte es raus.

Schritt für Schritt trat das Pferd in sein neues Leben. Es wieherte erneut und tänzelte unruhig umher. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter und bemerkte Levi und meine Klassenkameraden hinter mir. Levi bedachte mich mit einem mitleidsvollen Blick.

Der Mann nahm Stück für Stück die schützende Ausrüstung ab. Halsteil, Decke und Gamaschen verschwanden nach und nach. Stumm beobachtete ich ihn, ohne zu helfen.

Zum Vorschein kam ein atemberaubend bildhübscher Palominowallach. Er strahlte eine solche Kraft und Eleganz aus, seine Ausstrahlung war überwältigend. Er sah so unglaublich graziös aus, dass allen der Atem stockte. Perplex ging ich auf mein neues Pferd zu und legte meine Hand auf sein samtig weiches Fell.

Ich wusste jetzt schon, dass ich ihn hassen würde.

•••• ♥ ••••

Wenig später stand ich vor der Box meines neuen Pferdes und versuchte zu verstehen, was meine Eltern getan hatten. Währenddessen randalierte der schöne Palominowallach und sprang in der Box umher. Verloren. Magic nicht mehr reiten. Neues Pferd.

„Laura, willst du nichts tun? Dein Pferd spielt hier verrückt und du stehst da wie eine Salzsäure und unternimmst nichts."

„Was soll ich denn tun? Der bringt mich um, wenn ich da jetzt hinein gehe."

„Trotzdem kannst du es versuchen." Fassungslos sah sie mich an. In dem Moment kam Herr Meyer alias der Speditionsmann an die Box getreten, mit einer Packung Stallbandagen bewaffnet.

„Ihr Pferd soll in der Box immer bandagiert werden, im Auftrag Ihrer Mutter."

Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Na klar, und auf die Koppel darf er bestimmt auch nicht." Überrascht sah der Braunhaarige mich an. „Ja, genauso ist es. Woher wissen Sie das? Ihre Mutter meinte, dass seine Beine ausreichend geschützt werden müssen, die Paddocktür darf auch nicht geöffnet werden." Kopfschüttelnd wechselte ich einen Blick mit Levi.

Todesmutig betrat Herr Meyer derweilen die Box und versuchte den Verrückten zu beruhigen. Dieser hätte ihn fast umgerannt und versuchte immer wieder Sprünge zu machen. Mit schnellen Bewegungen schaffte es der Speditionsmann jedoch, ihm das Halfter überzuwerfen und ihn grob aus der Box zu ziehen, dann band er ihn an. Die Bandagen befestigte er mit geübten Handgriffen, während der Palomino noch unruhiger wurde. Das beengende Gefühl der Bandagen schien ihn so aufzuregen, dass er sich mit aufgerissenen Augen gegen das Halfter stemmte.

Das erste Mal zeigte ich Aktion.

„Brr, ganz ruhig, alles wird gut. Gaaanz ruhig." Er beachtete mich nicht und wurde noch hektischer. Langsam bekam ich Panik, wenn er so weiter machte, würde er die ganze Boxenwand heraus ziehen.

„BRR!", rief ich panisch. Das laute Geräusch tat sein übriges, mit einem starken Ruck zog er am Strick, sodass der Panikhaken seinen Dienst tat und aufging. Mit klappernden Hufen sprintete er aus der Stallgasse auf das Hofgelände hinaus.

„Stopp, bleib stehen!", rief Herr Meyer ihm nach. Statt irgendwelche sinnlosen Dinge zu rufen rannte ich dem goldenen Pferd hinterher. Panik kam in mir auf während ich versuchte ihn einzuholen, was bei seiner affenartigen Geschwindigkeit so gut wie unmöglich war.

Als ich um die Ecke bog, war der Wallach wie vom Erdboden verschluckt. Ich ließ meinen Blick über das weite Gelände schweifen, konnte ihn jedoch nirgendwo entdecken. Auch das Hufgeklapper war mittlerweile verstummt. Das konnte nicht wahr sein, nicht noch ein Pferd konnte einfach so verschwinden. Fat Queen hatte mir schon gereicht. Von Angst ergriffen lief ich durch das Gelände.

Auf einmal hörte ich ein schrilles Wiehern, es klang wie das des Palominos. Ich ging schnellen Schrittes in die Richtung, in der ich das Geräusch vernommen hatte.

Einer der umzäunten Dressurplätze kam in Sicht. Ein Stein fiel mir vom Herzen, als ich den Palomino dort Runde um Runde galoppieren sah.

Stutzend bemerkte ich, dass ein Junge sich in der Mitte des Platzes befand. Das Merkwürdige daran war, dass er ein weites, weißes Hemd trug, das tief ausgeschnitten und fast bis nach unten aufgeknöpft war. Lange ,braune Haare wehten hinter ihm her, während er das Pferd scheuchte.

„Was zum Teufel machst du da?", rief ich und ging an die Umzäunung. Der Junge blieb stehen und sah mich verwundert an, dann legte er seinen Finger auf die Lippen. Ich tat wie mir geheißen und war still. Allein damit, dass er es geschafft hatte, dass der Palominowallach nicht weggelaufen war, hatte er sich meinen Respekt verdient.

Sand stob in meine Augen, als der Palomino an mir vorbeipreschte. Ich rieb mir die Augen, dann kletterte ich flugs unter dem Zaun hindurch.

Schweigend trat ich in die Mitte und sah fasziniert dem Jungen zu. Er war bestimmt ein bis zwei Jahre älter als ich und strahlte Selbstsicherheit und Gelassenheit aus.

Er bedachte mich keinen Blickes, sondern konzentrierte sich nur auf das galoppierende Pferd.

Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde er langsamer und blieb schließlich stehen. Erstaunlicherweise wurde auch der Palomino ruhiger und stoppte schließlich vorsichtig.

Der Junge ignorierte ihn und kam zu mir in die Mitte. Der Palomino folgte ihm zögernd und blieb schließlich hinter ihm stehen. Schnell drehte sich der Junge um und hielt ihn am Halfter fest, dann klopfte er seinen Hals.

Noch immer war der Wallach unruhig, aber er war schon sehr viel mehr gelassener als wenige Minuten zuvor.

„Dein Pferd?" Ich nickte stumm. „Wie heißt denn dein Schöner?" Ratlos zuckte ich mit den Schultern. „Ich weiß es selbst noch nicht. Er gehört erst seit heute mir."

Erstaunt sah er mich an, fragte aber auch nicht weiter nach. „Laura.", stellte ich mich kurz vor und wagte es, den schnaubenden Wallach am Hals zu berühren.

„René." Der Junge schenkte mir ein Lächeln mit schönen, aber nicht ganz perfekten Zähnen.

„Sag mir wo dein Pferd steht, ich habe das Gefühl, dass du ein wenig durch den Wind bist. Nicht das dein Palomino noch mal verloren geht." Wieder lächelte er.

„Dritter Privatpferdestall, zweite Box links."

„Gut. Ich denke, wir sehen uns." René fasste den Palomino am Halfter und verließ den Platz, nachdem er das Tor öffnete.

Kurz bevor er hinter einer Ecke verschwand, rief ich noch:„Danke!", doch René drehte sich nicht mehr um.

Schließlich setzte ich mich in Bewegung, Richtung Magics Box. Ich brauchte jetzt seine ruhige Art.

Doch auch René hatte auf mich beruhigend gewirkt, in meinem Bauch war aus irgendeinem Grund ein Gefühl von Geborgenheit zurück geblieben.

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Bild: Der Junge ist René mit Lauras Pferd!
(Das Bild sollte sich eigentlich bewegen!!!)

Reitinternat StollenbergWhere stories live. Discover now