Zwei

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Heute war es wieder soweit. Ein Tag im Altersheim & ein neuer Teil der Geschichte.

Jedes Mal freue ich mich einen nächsten Teil zu hören. Meistens komme ich mit Theorien, wie die Geschichte des Mädchens weitergehen könnte.

Es war jedes Mal das gleiche, bevor ich zu der Rezeption ging, gehe ich erst zu den Rentnern, die mich mit großen Augen musterten & wieder zu rätselten wer ich sein könnte, denn deren Gedächtnisse waren nicht mehr so fantastisch, dass sie sich an irgendein Mädchen erinnern können, das ab & zu mal hereinspaziert. Also begrüßte ich sie alle herzlich & sagte dann bei der Rezeption bescheid wo ich jetzt bin, was der Frau aber immer schon im Voraus bewusst war.

Als ich den orange-gestrichenen Gang lang lief, hörte ich plötzlich fürchterliche Schreie aus dem Zimmer meiner Oma. Noch nie hatte ich sie so eingeschätzt. Ich hatte sie noch nie so erlebt.
Noch bevor ich es konnte, stürmten gleich fünf Altenpfleger in den Raum.

Nur ich, ich stand wie ein angewachsener Baumstamm in diesem gottverdammten Flur & dachte nach. Ich dachte darüber nach was jetzt geschehen wird. Wird sie sterben? & wenn sie tot ist was wird dann aus mir? Wie sollte ich das alles ohne sie schaffen?
In diesem Moment wurde mir einiges klar. Ohne sie, bin ich ein niemand. Ohne sie, bin ich ein stinknormales Mädchen, das ihr Leben lang gedemütigt wurde, von ihrem furchtbarem Schicksal.

Dann, war mein Kopf leer. Ich wusste nicht mehr was ich denken, oder gar tun sollte. Mein Kopf war leer, mein Herz war kalt & mein Körper zog sich zusammen. Funkstille. Obwohl ich nichts fühlte, spürte ich, wie kurzerhand eine kalte Träne über meine Wange lief. Heute, hier & jetzt, hatte ich das Bedürfnis zu weinen. Alles um mich herum zu vergessen & zu weinen. Tage lang. Wochen lang. Wenn nicht sogar Monate lang. Aber eins wusste ich. Das würde mir alles nichts bringen.

Da mir bewusst war, was geradewegs mit meiner Oma passiert war, wollte ich sie nicht das letzte mal noch einmal sehen, wie in diesen abertraurigen Oskarfilmen. Das einzige was ich jetzt noch wollte, war dieses scheiß Ende. Dieses Ende der Geschichte, was niemand erahnen konnte, weil es so kommt, wie es kommt.

Doch es war vorbei.

Ohne sich bei den Rentner zu verabschieden, ging ich geradewegs durch die Eingangstür, nach draußen.

Ist das wirklich wahr? Musste es passieren? Konnte es verhindert werden?

Plötzlich, hielt ich an. Mitten auf dem Gehweg, blieb ich stehen.
"Das war alles meine Schuld." Flüsterte ich. Ich ging den Ablauf im Altenheim noch einmal durch & stieß auf eine Uhr, auf die ich geguckt hatte. 11:7 zeigte sie an. "Sag ich doch. Wäre ich diese sieben Minuten nicht zu spät bei ihr gewesen, wäre das jetzt alles nicht passiert."

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