Gebt mir mal die Zwangsjacke!

Începe de la început
                                    

„Ich muss pissen", sagte Igor und setzte den Blinker zum nächsten Rasthof. Wir hielten an und ich stieg aus, um eine Zigarette zu rauchen. Benni verschwand direkt in den Laden und kam kurze Zeit später mit zwei Flaschen Vodka zurück. Igor erleichterte sich in einer Hecke und Stefan telefonierte ein Stück weiter entfernt. Nur Lukas war im Bus geblieben. Was hatte er denn nur?
Ich trat meine Zigarette auf dem ekelhaft vermüllten Boden aus und machte mich langsam auf den Weg zu den Toiletten.
Als ich so in der Kabine stand, schossen mir die heißen Bilder von unserem letzten Halt auf so einer Raststätte durch den Kopf. Ich hoffte natürlich direkt darauf, dass Lukas mir bis hierher gefolgt sein könnte und jeden Moment die Tür aufreißen würde, um über mich herzufallen.
Ich wusch mir die Hände und klatschte mir anschließend noch ein bisschen eiskaltes Wasser in mein erhitztes Gesicht. Ich richtete in aller Ruhe meine Haare und betrachtete ausgiebig meine beginnenden Augenringe. Doch Lukas kam nicht. Irgendwie hatte ich auch nichts anderes erwartet. Ein wenig enttäuscht machte ich die Tür auf und rannte ihm fast in die Arme.

„Oh. Hi", sagte er und grinste ein wenig.
„Hi", gab ich zurück.
„Ähm, also... ich geh dann mal da rein", sagte er und guckte auf den Boden.
„Lukas?"
„Ja?"
„Ist alles in Ordnung?", fragte ich vorsichtig.
„Ja. Klar", sagte er und klopfte mir auf die Schulter.
„Fühlt sich aber gerade nicht so an."
„Ich weiß nicht, was du meinst, Timi."
Ich ging einen Schritt auf ihn zu, während mein Blick immer wieder zwischen seinen wunderschönen Augen und seinen hübschen Lippen hin und her zuckte. Lukas lächelte mich an, streichelte mir einmal kurz über die Wange und ging dann einen Schritt zurück.
„Es ist... es ist alles in Ordnung", sagte er und verschwand dann ganz plötzlich in der Kabine, die er direkt hinter sich zuschloss.

Völlig perplex machte ich mich wieder auf den Weg zu den anderen. Von wegen, alles in Ordnung. Hier war doch wohl eindeutig gar nichts in Ordnung. Wir setzten uns wieder in den Bus und warteten auf Lukas, der ewig nicht wieder kam. Benni war schon völlig genervt und schiss ihn erst einmal ordentlich zusammen, als er sich dann irgendwann mal wieder zu uns gesellte. Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück und guckte in die andere Richtung. Lukas stammelte irgendwas, was ich hier im Bus nicht verstehen konnte und stieg dann auch wieder ein. Er verhielt sich total komisch und das gefiel mir überhaupt nicht.
Wir fuhren los und ich wünschte, ich könnte mich einfach wegbeamen, um nicht hier drin sein zu müssen. Mit ihm, der offenbar ein Problem mit mir hatte. Warum auch immer! Ich sah mir die vorbeirasende Landschaft an und traute mich nicht einmal, meinen Kopf auch nur ein bisschen in seine Richtung hin zu drehen. Viel zu groß war meine Angst, irgendetwas negatives in seinem Blick wiederzufinden.

Nach einem langen Blick aus dem Fenster sah ich mir Lukas dann doch an. Noch in der gleichen Sekunde wurde mir ganz warm ums Herz und ich konnte absolut nichts dagegen tun.
Ich betrachtete seine Haare, die ihm leicht zerzaust in die Stirn hingen. So gerne hätte ich sie ihm jetzt ganz sanft glatt gestrichen. Ich sah mir seine Augen an, die im Sonnenlicht gerade ein schönes grün hatten. Warum konnte er mich jetzt nicht einfach so liebevoll ansehen, wie heute Nachmittag?
Stefan sagte irgendetwas zu Lukas. Ich war jedoch zu abgelenkt, um zu hören, was er sagte. Es musste jedenfalls irgendetwas witziges gewesen sein, denn jetzt bildeten sich total süße Fältchen um Lukas Augen. Bisher hatte es sich immer ein wenig komisch angefühlt, wenn ich irgendetwas an ihm „süß" fand. Diesmal aber überhaupt nicht. Ich hatte überhaupt kein Problem damit. Ausgerechnet jetzt schien er aber ein Problem mit uns zu haben.
Mein Blick ging weiter runter zu seinen Lippen. Zu diesen Lippen, die so wunderschön geschwungen waren und genau so weich aussahen, wie sie tatsächlich auch waren, wenn man sie küsste. Wie gerne ich Stefans Kopf jetzt einfach nach unten gedrückt und Lukas geküsst hätte.
Ich sah mir jetzt seinen Hals an und stellte mir vor, wie ich ihm einfach so einen fetten Knutschfleck verpassen würde. Am liebsten würde ich dann sogar noch meinen Namen darunter schreiben, damit auch bloß jeder sah, von wem er diesen Knutschfleck bekommen hatte. Meine Augen rutschten noch ein wenig weiter nach unten und wanderten am leicht offenstehenden Stoff seines Hemdes entlang. Ich konnte fast an meinen Fingern spüren, wie weich und zart die Haut seiner Brust war.

Ich wurde ziemlich hibbelig von meinen Gedanken und riss meinen Blick wieder von seinem Körper los. Ich sah nochmal in sein hübsches Gesicht und stellte fest, dass auch Lukas mich gerade ansah. Neutral. Warum lächelte er nicht? Warum sah er jetzt wieder weg, ohne mich anzulächeln oder zu zwinkern oder mir auf sonst irgendeine andere Art und Weise zu zeigen, dass alles okay war?
Warum wohl – weil eben nicht alles okay war! Hatte er Stefan wirklich von uns erzählt und der hatte es ihm ausgeredet? Hatte er ihm etwa geraten, Abstand zu halten? Schon alleine bei dieser Vorstellung hätte ich Stefan augenblicklich den Hals umdrehen können. Ich bekam einen regelrechten Hass auf ihn, obwohl ich überhaupt keine Ahnung hatte, was und ob er überhaupt etwas gesagt hatte. Ich wusste doch nicht mal, ob es in dem Gespräch überhaupt um mich gegangen war!

Ich seufzte laut und fand mich selbst gerade einfach nur schrecklich. Ich hatte vor rund zwei Monaten, an einem trägen und ereignislosen Sommertag, ein Gespräch zwischen meiner Schwester Rita und einer ihrer Freundinnen mitgehört. Im Garten meiner Mutter hatten die Mädels breit grinsend im Gras gelegen und sich über einen Jungen unterhalten, während ich breit vom Gras neben ihnen auf der Hollywoodschaukel gelegen hatte.
Sie war zur Zeit zum allerersten Mal in ihrem Leben so richtig verknallt. Mit gemischten Gefühlen zwischen völlig entsetzt und total amüsiert hatte ich mir das Gespräch gegeben.
„Oh mein Gott, was hat er gesagt? Wie hat er dabei geguckt? Wer war noch dabei? Was haben die anderen gesagt? Wie haben die anderen geguckt? Hat er sich neben dich gesetzt? Ist er in deiner Nähe gelaufen?" Und so weiter und so weiter.
Ich fand das damals so absolut überzogen, was für unnötige Gedanken sich die Mädels gemacht hatten. Eben darum, weil es bei uns Männern kaum versteckte Botschaften in unseren Worten und Taten gibt. Die meisten meinen auch tatsächlich das, was sie sagen. Es ist kein Wörterbuch nötig, um uns zu übersetzen.
Männer und Zwischentöne... das ist bei den meisten von uns so eine Sache für sich. Während Frauen es gewohnt sind, zwischen den Zeilen zu lesen und sich ständig mit subtilen Andeutungen und versteckten Botschaften auszudrücken, verstehen wir Männer das einfach nicht. Naja, ein paar Ausnahmen gibt es da sicherlich, aber es trifft auf jeden Fall auf alle meine männlichen Bekannten und auch auf mich selbst zu. Eigentlich.

Und jetzt? Jetzt war ich derjenige, der wie ein kleines verknalltes Mädchen das Unsichtbare in jedem Wort und jeder Tat von Lukas suchte. Ich hätte am liebsten laut geschrien und mich dann lachend über den Boden gerollt, als mir auffiel, wie bescheuert ich mich gerade verhielt.
Ich verhielt mich genauso, wie meine kleine Schwester. Noch vor ein paar Wochen hatte ich dieses Verhalten so übertrieben gefunden und überhaupt kein Verständnis dafür aufbringen können. Jetzt tat ich es selbst. Vielleicht wurde ich ja gerade verrückt. Verrückt. Genau das war es doch, was sich zur Zeit hier abspielte. Ich hatte ziemlich heiße Stunden mit einem meiner besten Freunde gehabt. Ich wollte und konnte unter keinen Umständen wieder damit aufhören, Lukas zu küssen oder anzufassen. Das konnte man doch einfach nur als verrückt bezeichnen. Hätte man mir das vor ein paar Tagen vorausgesagt, hätte ich mich einfach nur gekugelt vor lachen. Was hatte mich bloß dazu getrieben? Ja, ich wurde gerade irre, durchgeknallt, wahnsinnig, verrückt. Das war doch die einzig plausible Erklärung für die ganze Sache. Ich war verrückt. Verrückt nach Lukas.
Hey Leute, gebt mir mal die Zwangsjacke! Ich ziehe sie sogar freiwillig an und trage sie mit Stolz!

Zehn SekundenUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum