Eins

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„Is klar, Mom, natürlich freue ich mich über dieses Feriencamp! Es wird ein Heidenspaß sein, und nach den Ferien werde ich gar nicht wieder nach Hause wollen!" Missmutig stapfe ich über den Parkplatz, wo der Rest der Gruppe steht.

Es sind mehr Leute, als ich erwartet hätte. Und erstaunlicherweise sind sie alle ungefähr in meinem Alter, die jüngsten etwa fünfzehn und die ältesten vielleicht zweiundzwanzig. Die meisten stehen in kleinen Grüppchen zusammen, sie kennen sich alle.

Eine junge Frau kommt auf mich zu. „Hallo! Bist du Anastasia?", fragt sie mich. Ich antworte nur mit einem kurzen Nicken. Die Frau, offenbar die Leitung des Camps, grinst breit und zeigt ihre gebleachten Zähne. Für dieses Grinsen hätte ich sie am liebsten geschlagen, so schlecht ist meine Laune schon.

„Dann wünsche ich dir einen wunderschönen Aufenthalt im Sommercamp Grünwald!", schmettert der Mann neben ihr fröhlich. „Das ist Jessica, und ich bin Benjamin. Dort hinten", er deutet zu einem weiteren Mann, der sich mit ein paar Mädchen unterhält, „ist Matthias. Wir leiten dieses Zeltlager."

Die fröhliche Art der beiden steigt mir zu Kopf und ich knirsche mit den Zähnen. Generell würde ich mich nicht als aggressiv bezeichnen, aber ich will auch nicht vier Wochen meiner Sommerferien in diesem blöden Camp verbringen. Meine Freundin Laura ist jetzt auf den Malediven.

Matthias ruft alle zu sich. „Kinder! Kommt bitte alle einmal hierher!"

„Ich bin kein Kind mehr", knurre ich und stapfe zwischen den beiden anderen Betreuern in Richtung Matthias.

„So, noch einmal herzlich Willkommen im Sommercamp Grünwald! Ich bin Matthias, und dort hinten sind Jessica und Benjamin. Wir leiten dieses Zeltlager. Bitte seid einmal ruhig, ich möchte euch die Regeln erklären." Er wartet kurz, bis wir alle leise sind. Ich kann mein Zähneknirschen hören. „Also: Wir werden euch gleich in zufälligen Gruppen zuteilen, in denen ihr die ganze Zeit zusammenbleiben werdet. Jede Gruppe bekommt ein Rätsel, und dieses wird euch am Ende zum Ziel führen. Mehr wollen wir jetzt nicht verraten."

Jessica meldet sich zu Wort. „Wir teilen euch jetzt in Gruppen ein! Bitte merkt euch die Nummer, die wir euch geben." Sie und Benjamin gehen durch die Menschenmenge, zeigen auf jeden und geben ihm eine Nummer. Ich bekomme die sieben.

„Findet euch jetzt bitte in den Gruppen zusammen! Alle mit einer eins hierher, die mit einer zwei hierher!", ruft Matthias über den allgemeinen Lärm hinweg.

Ich gehe zu den anderen Leuten mit einer sieben. Zwei Mädchen und zwei Jungs. Die Mädchen sehen beide sehr unmotiviert aus, die Jungen lächeln immerhin. Benjamin kommt vorbei und drückt einem der Jungs eine Mappe in die Hand. „Habt ihr Handys oder andere elektronische Geräte dabei?", fragt er.

„Was geht dich das an?", giftet das dunkelhaarige Mädchen sofort, während die Blonde sofort bereitwillig ein Handy und einen MP3-Player rausrückt.

Ich zögere zuerst. Einerseits will ich mein Handy nicht abgeben. Dann wäre ich ja total von der Zivilisation abgeschnitten. Andererseits habe ich keine Lust auf Stress, deshalb drücke ich dem Aufseher widerwillig mein Handy in die Hand. Auch die Jungs geben ihre Handys ab.

Die Dunkelhaarige presst die pink geschminkten Lippen zusammen und schüttelt den Kopf. „Warum sollte ich es dir geben?" Ich muss beinahe lachen. Sie ist wie ein trotziges Kind.

„Weil es zu den Regeln im Camp gehört. Jetzt gib es bitte her."

Plötzlich greift die Blonde in die Handtasche des anderen Mädchens und zieht ein Handy und ein Tablet heraus. Augenblicklich kassiert sie einen Fausthieb in die Magengrube. „Bist du bescheuert?! Das gehört mir!", kreischt die Dunkelhaarige.

Benjamin nimmt das Handy und das Tablet an sich und steckt es in die Tasche, die er bei sich trägt. „Ihr bekommt es am Ende wieder. Und vertragt euch bitte, ihr seid keine Kleinkinder mehr."

Ich und die Jungs lachen über den Gesichtsausdruck des Mädchens. Einer von ihnen streckt mir die Hand entgegen. „Ich bin Sebastian", sagt er und grinst mich an. Seine grauen Augen blitzen schelmisch unter dem Pony, der ihm in die Augen fällt.

„Louis", stellt sich der andere vor.

„Ich bin Anastasia. Ihr könnt mich Anna nennen", sage ich. Wir blicken alle zu den anderen beiden unserer Gruppe.

„Zoe", knurrt die Blondine. Sie sieht wirklich jung aus, vielleicht zwölf oder dreizehn. „Und die da heißt Meggie. Aber ihr könnt sie auch Margarete nennen, wenn ihr sie nerven wollt."

Wir lachen alle kurz. Ich fühle mich schon ein wenig besser, mit drei von vier Leuten verstehe ich mich schon einmal gut. Louis meldet sich zu Wort. „Mein Bruder war hier schon einmal", sagt er. „Von den Gruppen hat jede einen anderen Weg zum Ziel. Wir gehen in Abständen von einer halben Stunde los, das heißt, wir sind erst in drei Stunden dran."

Er hat recht. Erst nach drei Stunden ruft Matthias unsere Gruppe auf. Ich schultere meinen schweren Rucksack und gehe zusammen mit Louis und Sebastian los, Zoe läuft ein paar Schritte hinter uns.

Ein Vogel fliegt über uns hinweg, als wir an der Schranke vorbei in den Wald gehen.

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