Damian

Cole hatte seine Hände auf der Stange abgestützt und sah hinunter. Wir befanden uns auf dem Balkon in Nando's Zimmer. Er war zwar nicht sonderlich groß, doch welcher Patient verbrachte seine Zeit auch auf dem Balkon. Eigentlich hatte ich so gut wie aufgehört mit dem rauchen, doch ich hatte einfach eine Zigarette benötigt. Vielleicht hätte ich sie nicht wirklich benötigt, sondern wollte irgendwas zu mir nehmen von dem ich dachte es könne mir helfen. Es war mehr als schwachsinnig, wenn ich jetzt so darüber nachdachte. Ich schmiss die Kippe aus dem Balkon. Cole sah ihr hinterher, wie sie immer und immer kleiner wurde, bis sie schließlich ganz verschwand. Er wandte an mich und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Wir haben uns lange nicht mehr gesehen Mann."
"Das stimmt." erwiderte ich. Cole war mein bester Freund seit wir Kinder waren. Ich kannte ihn besser als jeder andere, weswegen ich auch ganz genau wusste was er dachte und wie schwer es ihm fiel mit mir zu reden.
"Wie läuft es so mit Ever?"
Ich lächelte schwach als er ihren Namen erwähnte.
"Gut, sehr gut sogar. Ich meine sie ist einfach perfekt. Wie läuft es mit deiner kleinen?" fragte ich grinsend da es noch immer ungewohnt war, dass Cole eine Freundin hatte. Eigentlich war es bei uns beiden ziemlich verrückt wenn man daran dachte, wie wir vor wenigen Monaten drauf waren und wie sehr wir uns verändert haben.
"Mit meiner kleinen läuft es gut und sie hat einen Namen du Arsch."
Er verdrehte die Augen, worauf meine Mundwinkel weiter nach oben zuckten. Lorenzo schob die Glastür vom Balkon auf und gesellte sich zu uns. Schweigend zündete er sich eine Zigarette an und starrte ins Leere.
"Damian da gibt es etwas worüber ich mit dir reden muss."
Schiss los sagte ich und wandte meine Augen von meinem Bruder zu Cole.
"Tea und ich wollen zusammen ziehen." sagte er und holte sein Handy aus seiner Hosentasche.
"Wow damit hätte ich nicht gerechnet, aber ich freue mich für dich."
Cole's Augen waren auf sein Handy gerichtet. Er hatte die Augenbrauen zusammen gezogen, was mir langsam Sorgen bereite.
"Ist alles in Ordnung?" fragte ich und trat näher. Er drehte sich zu mir und steckte sein Handy in die Hosentasche.
"Komm mit. Tea hat mir geschrieben, dass Ever verschwunden ist."
Tausend Gedanken schossen durch meinen Kopf, und allein daran zu denken machte mich verrückt vor sorge. Was wenn sie sich verletzt hatte und hilflos wartete, dass jemand kam. Was ist wenn ihr jemand was angetan hatte? Gott, ich flippte vor sorge beinahe aus. Ich drückte den Knopf vom Aufzug gefühlt hundert mal, weil die verdammtwn Türen sich einfach nicht schließen wollten.
"Jetzt beruhige dich mal, ihr wird es schon gut gehen. Tea hat nur geschrieben, dass sie eigentlich aufs Klo gehen wollte, aber nicht mehr zurück gekommen ist."
"Wie lang ist das her?"
"30 Minuten oder so."
"Und ich soll mir keine Sorgen machen!?" knurrte ich und stürmte aus dem Aufzug, sobald wir das Erdgeschoss erreicht hatten. Tea und Blake warteten neben einer Bank. Blake hielt sich sein Handy ans Telefon, sah auf den Bildschrim und fluchte.
"Sie geht nicht an ihr Telefon." seufzte Blake und fuhr sich durch sein blondes Haar.  Tea kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum, während ich vor Panik durchdrehte. Ich konnte nicht weiter rumstehen und nichts tun. Ich lief in irgendeine Richtung, ohne zu wissen wohin. Es war mir ganz egal, ich wollte nur noch Ever finden.
"Damian jetzt warte doch mal! Vielleicht hat sie einen Spaziergang gemacht und kommt gleich wieder." rief Blake und rannte mir hinter her.
"Ich habe dir doch gesagt du sollst ihm nichts sagen." flüsterte Tea, doch ich konnte es ganz genau hören.
"Er hätte mich umgebracht, wenn ich ihm nichts gesagt hätte und stell dir vor Ever ist wirklich etwas zugestoßen und..."
Weiter hörte ich Cole nicht zu. Ich wollte nichtmal an die Sachen denken, die ihr passiert sein könnten.
"Habt ihr eigentlich schon auf dem Klo nachgesehen?" fragte ich und bleib abrupt stehen. Blake lief stattdessen weiter und bemerkte erst einige Meter später, dass ich stehen geblieben war.
"Um Himmels Willen, ja Damian! Als wären wir so bescheuert." fauchte Blake und lief weiter. Also suchten wir alle weiter nach ihr. In den Gängen, in allen möglichen Stockwerken, doch wir konnten sie nirgends finden. Mein Herz hämmerte wie wild gegen meine Brust und würde ich sie nicht in den nächsten fünf Minuten finden, würde ich dieses ganzes verfluchte Krankenhaus auf den Kopf stellen. Ich tratt gegen einen Beistellwagen mit Verbandsmaterial drauf. Er flog um und das Zeug darauf mit ihm. Ich fuhr mit den Händen über mein Gesicht und stürmte an allen vorbei. Tea, Cole und Blake sahen mir verzweifelt hinterher. Sie war seit einer Stunde verschwunden. Ihr könnte sonst was passiert sein. Man weiß nie was für Perverslinge herum laufen. Ich beschloss meinen Wagen zu nehmen und die Gegend ab zu fahren, auch wenn ich den ganzen Tag dafür benötigen würde. Gerade als ich zum Parkplatz lief, kam mir eine kleine Gestalt entgegen. Ich musste zweimal hinsehen, um mich zu vergewissern, dass es sich um Ever handelte. Und eigentlich wollte ich sie anschreien, aber andererseits konnte ich das nicht, egal wie sauer ich aus sie war. Je näher sie kam desto erleichterter fühlte ich mich, doch dann sah ich ihre großen, blutunterlaufenen, glasigen Augen.
"Wieso hast du geweint? Ist dir was passiert? Hat dir jemand was angetan?"
Erneuert ergriff mich die Panik, doch dann schüttelte sie den Kopf.
"Nein, mir geht es gut."
Selbst ein tauber Mensch, hätte erkannt, dass sie log.
"Wieso hast du dann geweint?" fragte ich sie und nahm ihre sanften Hände in meine. Sie antwortete nichts und schluckte stattdessen, ehe sie letzten Endes auf den Boden blickte.
"Hey Süße."
Ich legte meinen Finger unter ihr Kinn und hob es sanft, so dass ihr nichts anderes übrig blieb als mich anzusehen. Sie hatte noch nie so traurig gewirkt und in denn Moment wurde mir etwas klar. Ever hatte schon so viel leiden müssen, meinetwegen. Erst als ich mich von ihr getrennt hatte und dann auch noch das. Wären wir uns nie begegnet, wäre ihr so viel Kummer erspart gelieben. Sie verdiente es nicht und Vorallem war ich das alles garnicht Wert. Ever sollte glücklich sein und jemanden haben, der sie zum Lachen und nicht zum weinen bringt. Aber ich konnte ja nicht wissen, dass ich mich so in sie verlieben würde. Gott, nie im Leben hätte ich auch nur daran gedacht, ein Mädchen so lieben zu können. Jetzt aber hatte ich das Disaster. Ich ging leicht in die Hocke und umfasste ihr Gesicht mit meinen Händen. Sie schluckte kommende Tränen herunter und presste die Lippen aufeinander. Ohne was zu sagen zog ich sie an meinen Oberkörper und schlang meine Arme um sie. Sie vergrub ihr Gesicht an meiner Brust und atmete zittrig ein. Ich drückte ihr einen Kuss aufs Haar und ignorierte den Schmerz in meinem Herzen.
Wir standen noch eine Weile da, und ich konnte nicht genug von ihrer nähe bekommen. Jedoch wurde mir etwas klar. Entweder ich lebte mit dem Schmerz, dass sie wegen mir unglücklich ist. Oder ich lebe mit dem Schmerz, dass ich sie gehen lasse aber dafür sicher weiß, dass sie glücklich werden wird. Nachdem das alles vorbei sein wird, werde ich mich für das zweite entscheiden.

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