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Als ich die Augen aufschlug, raste mein Puls schneller als je zuvor, mein Atem ging hektisch, als hätte ich einen Marathon hinter mir. Das Gefühl, dass mein Herz jeden Moment durch meine Brust schlagen würde, ließ mich unwillkürlich eine Hand darauf pressen. Verängstigt, dass ich mich nicht erinnern konnte, warum ich ohnmächtig geworden war, fragte ich mich, was Stewart jetzt mit mir angestellt hatte. Doch in der gleichen Sekunde fiel mir etwas Entscheidendes auf: ich hatte keine Schmerzen. Ungläubig blieb ich weiterhin liegen, bewegte jedoch nacheinander Finger, Hände, Arme, Beine und Füße. Alles funktionierte problemlos, was eigentlich unmöglich war. Sie hatten mir gefühlt jeden Knochen meines Körpers gebrochen, ich müsste bei der kleinsten Bewegung, selbst beim Atmen unvorstellbare Schmerzen haben und mir die Seele aus dem Hals schreien.
Doch nichts davon trat ein. Verwirrt richtete ich mich langsam auf, untersuchte meinen Körper nach Verletzungen, nur um festzustellen, dass ich noch all meine Waffen besaß und abgesehen von ein paar Schrammen unversehrt war. Sollte das irgendein grausiger Scherz werden? Als mein Blick weiter wanderte, bemerkte ich erschrocken, dass ich nicht allein war. Im gesamten Raum lagen Menschen verteilt, ohnmächtig oder, was ich nicht hoffte, tot. Meine Verwirrung steigerte sich noch mehr, als ich erkannte, dass sie alle zu den Rebellen gehörten. Der Mann ein paar Meter neben mir hatte sogar verdächtige Ähnlichkeit mit Colin - nein, es war Colin!
Schwankend stand ich auf und überbrückte den Abstand zwischen uns. Auch wenn Stewart behauptet hatte, dass fast alle anderen tot waren, musste ich mich selbst davon überzeugen. Mit zitternden Fingern suchte ich seinen Puls und hätte beinahe aufgeschrien, als ich ihn tatsächlich fand. Schnell, aber regelmäßig. Colin war nicht tot, lediglich bewusstlos. Ich wusste nicht, wie ich es mir erklären sollte, aber er war am Leben. Ohne weiter zu zögern rüttelte ich ihn an der Schulter, betend, dass er aufwachen würde.
Gerade, als ich überlegte, ob es vielleicht irgendeine Möglichkeit gab, ihn zu wecken, wurde ich plötzlich selbst an den Schultern gepackt, zurückgeworfen und zu Boden gedrückt.
"Lola?" Colin sah mich ähnlich ungläubig an wie ich ihn und senkte langsam seine erhobene Hand. Eins musste ich ihm definitiv lassen: er war ein Meister darin, jemanden bewegungsunfähig auf dem Boden zu halten. "Das ist unmöglich, du bist tot."
"Das selbe dachte ich bis vor zwei Minuten auch von dir", antwortete ich und lächelte erleichtert.
Colin starrte mich noch einige Sekunden an, ehe er mich losließ, aufstand und den Rest des Raumes musterte. "Dann war das gar nicht real ..."
"Was?", fragte ich verblüfft und richtete mich ebenfalls auf. Sollte das etwa heißen, dass Stewart mich nicht foltern lassen hatte? Aber es hatte sich so echt angefühlt, ich meinte noch immer den Nachhall der Schmerzen zu spüren.
"Hast du schonmal eine von Claras Simulationen mitgemacht? So was Ähnliches dürften die auch hier auch gemacht haben. Wahrscheinlich ist irgendwie ein Gas eingeleitet geworden, was uns alle in solche Simulationen versetzt hat. Die Frage ist nur, warum du wieder aufgewacht bist, das war vermutlich nicht geplant", erklärte er und begann damit, die umliegenden Personen zu wecken.
Ich für meinen Teil war noch immer nicht in der Lage, die ganze Sache vollständig zu begreifen. Das alles war nicht echt gewesen. Ich war nie in einer sterilen Gefängniszelle gewesen, hatte nie mit Stewart gesprochen und war nie von seinen Handlangern halbtot geschlagen wurden. Gott, ich war mir sicher, sterben zu müssen, hatte geglaubt, dass all meine Freunde tot waren. Den Gedanken, dass Damon mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich nicht mehr am Leben war, schob ich energisch von mir. Noch bestand Hoffnung, auch wenn sie noch so gering war.
Ohne weiter zu Zögern, half ich Colin dabei, die anderen aufzuwecken. Einige wachten auch wie ich von alleine auf, doch allen war gemeinsam, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes das beklemmende Gefühl eines schrecklichen Albtraums abschütteln mussten. Viel Zeit hatten wir dafür nicht. Dank dem Gas waren wir ohne Ausnahme bewusstlos geworden und es waren hundertprozentig schon Soldaten unterwegs, um uns in diesem scheinbar hilflosen Zustand anzutreffen.
Ein warnender Ausruf ließ mich herumfahren und meinen vorigen Gedanken korrigieren - sie waren nicht nur unterwegs, sie waren bereits hier. Reflexartig zog ich meine Pistole aus der Halterung, zielte und schoss keine Sekunde später auf die Soldaten, die bei unserem Anblick überrascht stehen geblieben waren. Ähnlich schnell reagierte mehr als die Hälfte der Rebellen, umso mehr erschreckte mich das Ergebnis. Es passierte ... nichts. Kein einziger Schuss war zu hören, lediglich das Klicken, mit dem der Abzug betätigt wurde. Keiner der gegnerischen Soldaten sank getroffen zu Boden. Sie beobachteten hämisch unsere Versuche, sie zu töten, ehe sie wie auf ein geheimes Zeichen selbst angriffen. Im selben Moment, als sie losstürmten, bemerkte ich entsetzt, dass sie selbst keine Schusswaffen, sondern lediglich Messer, Dolche oder gar Degen und Schwerter trugen. Aus welchem Grund auch immer schien jegliche mechanische Waffe in diesem Raum nicht zu funktionieren.
"Ihr seid doch tatsächlich dumm genug zu glauben, eine Rebellion durchsetzen zu können." Keinen Augenblick zu früh sprang ich zurück als das Schwert eines dunkelhaarigen Mannes mit unzähligen Tatoos auf mich zukam. Sein raues Lachen verfolgte mich, während ich mit jedem Schritt, den er vollführte, zwei zurück machte und verzweifelt überlegte, was ich dieser Waffe entgegensetzen konnte. Wenn ich mich in seine Nähe wagte, würde er mich mit einem einzigen Hieb töten, ließe ich ihn mittels Telekinese durch die Luft fliegen, bestand die Gefahr, dass er bei der Landung jemanden von unserer Seite verletzte.
"Was ist daran so dumm? Immerhin haben wir es bis hierher geschafft", konterte ich. Vielleicht würde es ihn reizen, damit zu prahlen, wie perfekt unser Tod schon geplant war, was ihn wiederum zumindest kurz ablenken sollte.
Tatsächlich schien meine Taktik aufzugehen. Siegessicher ließ mein Gegenüber seine Waffe kreisen und grinste. "Und du glaubst echt, dass ihr hier ohne das Einverständnis des Präsidenten reingekommen wäret? Das war alles beabsichtigt. Ihr seid nur hier, damit wir euch töten können. Was ich jetzt übrigens mit Vergnügen tun werde, viel Spaß in der Hölle."
Er hob lachend sein Schwert, um es mir in die Brust zu rammen, als sich sein Gesichtsausdruck plötzlich massiv änderte und er mit einem leisen Stöhnen zusammenbrach.
"Den wünsche ich dir", murmelte ich ihm noch zu, dankte im Stillen Damon, dass er darauf bestanden hatte, so lange mit mir das Messerwerfen zu trainieren, bis ich treffsicher war, und ergriff nach einem winzigen Zögern den Degen einer toten Frau neben mir. Das schmale Schwert wog ungewohnt schwer in meiner Hand, doch es war besser, als die wenigen Messer, die ich noch bei mir trug.
Ein kurzer Blick durch die Halle zeigte mir, dass ich mich ganz am Rand des Kampfes befand. Der Großteil der Soldaten beider Seiten befand sich am anderen Ende und focht erbitterte Einzelkämpfe. Hier und da waren kleinere Gruppen zu erkennen, die gemeinsam auf ihre Gegner losgingen. Unwillkürlich hielt ich nach Colin Ausschau, als eine dieser Gruppen mich bemerkte und als ihr neues Opfer auserkor.
"Ihr seid wirklich unglaublich mutig, zu fünft eine Frau anzugreifen. Sehe ich so furchterregend aus?" Gespielt unsicher sah ich von einem zum anderem, hoffte einen Überraschungseffekt erzielen zu können. Den Degen locker in der einen Hand, als wüsste ich nichts damit anzufangen, schloss ich unauffällig die Finger der anderen um eines meiner restlichen Messer.
"Und wie, ich erzittere schon vor Angst", erwiderte einer der fünf spöttisch. "Die Kleine gehört mir Jungs, wenn ich mich nicht täusche, sollen wir die eh am Leben lassen, aber gegen ein bisschen Spaß wird Stewart wohl nichts einzuwenden haben." Seine Freunde reagierten mit einigen anzüglichen Kommentaren und machten keinen Hehl daraus, dass sie weder Lust hatten, sich wieder in das Kampfgetümmel zu stürzen noch mich als ernsthafte Gefahr wahrnahmen. Als ihr Anführer einen Schritt auf mich zu machte, ließ ich meine Hand mit dem Messer vorschnellen, doch anstatt sich in seine Kehle zu bohren, traf die Klinge einen der anderen, der hinter ihm stand.
Verwirrt taumelte ich zurück, stieß gegen jemanden, wurde grob an der Hüfte gepackt, quer durch die Halle geschleudert, kam unsanft auf und rutschte auf dem glatten Boden weiter. Den Degen trotz der schmerzhaften Landung weiterhin fest umklammernd stand ich so schnell wie möglich wieder auf. Der leichte Schwindel, der mich erfasst hatte, ließ mich kurzzeitig die Orientierung verlieren, und noch während ich versuchte, mein Gleichgewicht wiederzufinden, rammte mich jemand brutal gegen die Wand. Schwarzen Punkte tanzten vor meinen Augen, verdeckten jedoch nicht vollständig das Gesicht des Mannes von vorhin. Im selben Moment, als ich hinter ihm einen der Rebellen auf uns zukommen sah, ließ er mich los, wirbelte herum und brach seinem Angreifer, der noch mehrere Meter entfernt war, in Sekundenschnelle das Genick. Verdammt war der schnell.
Viel zu schnell für einen normalen Menschen. Noch während mir mit Schrecken klar wurde, mit welch gefährlichen Gegner ich es hier zu tun hatte, war er wieder bei mir, hob mich mit Leichtigkeit hoch, presste mich lediglich mit einer Hand an meiner Kehle gegen die Wand. Reflexartig fuhren meine Hände zu seiner, versuchten sie hektisch von meinem Hals zu lösen, um wieder atmen zu können. Doch er lachte nur, seine Finger bewegten sich keinen Millimeter.
"Eigentlich sollte ich dich ja nicht töten, aber du machst es mir so furchtbar schwer. Wenn du einfach vor mir gekniet und um dein Leben gebettelt hättest, hätte ich über deine Respektlosigkeit hinweg gesehen, aber so ...", er machte eine bedeutungsvolle Pause, beobachtete wie ich mich wehrte, " ... lässt du mir keine Wahl. Und vielleicht bist du ja gar nicht das Telekinese-Mädchen, also wird das für mich auch keine Konsequenzen haben. Du kannst übrigens aufhören, so rumzuzappeln, gegen mich hast du sowieso keine Chance. Übernatürliche Kraft und Schnelligkeit hat schon was, schade eigentlich, dass ich sie erst seit ein paar Wochen benutzen kann." Wie um seine Worte zu unterstreichen, schlossen sich seine Finger noch fester um meine Kehle, raubten mir auch die letzte Möglichkeit, irgendwie an ein wenig Luft zu kommen.
Ich spürte, wie meine Kraft mich mit jeder Sekunde weiter verließ, wie die Dunkelheit immer stärker an mir zog. Meine Bewegungen wurden langsamer, schwächer, würden nicht einmal annähernd Schmerzen bei meinem Gegenüber verursachen, wenn ich ihn treffen würde, bis sie schließlich ganz erschlafften. Zum zweiten Mal an diesem Tag spürte ich die kalten Finger des Todes auf mir, doch diesmal war es real.
"Wie wäre es, wenn du dich mit jemandem deiner Größe anlegst?" Die Stimme kam mir bekannt vor, drang zähflüssig durch den Nebel, der sich um meine Sinne gelegt hatte. Tatsächlich ließ mein potenzieller Mörder urplötzlich von mir ab, um sich dem anderen Mann zuzuwenden. Ich spürte kaum, wie ich zu Boden glitt, begriff aber noch, dass ich dringend bei Bewusstsein bleiben musste, wenn ich leben wollte. Mit letzter Kraft atmete ich tief ein, als wollte ich den vorigen Sauerstoffmangel rückgängig machen, und genoss das Gefühl als die Luft in meine Lungen strömte. Mit jedem Atemzug entfernte ich mich weiter von der Dunkelheit, schaffte es meine Aufmerksamkeit auf das Geschehen vor mir zu richten.
Erst nach mehreren Versuchen erkannte ich in dem dunkelhaarigen Mann, der mir gerade das Leben rettete, Alaric. Ich hatte nicht gewusst, dass sich mein Mentor für die Ausbildung zur Offizierin ebenfalls in dieser Gruppe befand, doch in diesem Moment war ich unendlich erleichtert darüber. Er kämpfte ausgezeichnet, schien seinem Gegner trotz dessen übernatürlichen Fähigkeiten ebenbürtig zu sein. Die Frage, wie lange er dafür mit Damon trainieren musste, stellte ich mir lieber nicht.
Beinahe widerwillig löste ich meinen Blick von den Kämpfenden, um stattdessen den Degen, den ich verloren hatte, wieder an mich zu nehmen und schwankend auf die Beine zu kommen. In der gleichen Sekunde, als ich meinen Körper wieder unter Kontrolle hatte, bohrte sich Alarics Schwert in das Herz seines Gegners. Mit einer fließenden Bewegung zog er die Klinge aus dem leblosen Körper und drehte sich fragend zu mir um. Mein dankbares Lächeln wich einem bestürzten Ausdruck, als ich eine schwarzhaarige Frau scheinbar lautlos hinter ihm auftauchen sah. Verzweifelt versuchte ich Alaric eine Warnung zuzurufen, doch das Einzige, was meine Kehle verließ war ein leises Krächzen. Er runzelte irritiert die Stirn und ging einen Schritt auf mich zu. Gleichzeitig schien er plötzlich meine Gesten zu verstehen und fuhr herum - doch es war zu spät. Noch in der Bewegung schnitt ihm die Schwarzhaarige die Kehle durch.
Ein stummer Schrei stieg in mir auf als ich meinen Mentor zu Boden gehen sah. Verzweiflung und Trauer breiteten sich in mir aus, ehe sie plötzlich von unbändiger Wut ersetzt wurden. Ich wusste nicht, was sie ausgelöst hatte, aber es war mir auch verdammt egal. Sie gab mir neue Kraft, ließ mich Hoffnungslosigkeit, Panik und Angst vergessen. In mir tobte ein Sturm und ich wollte nichts sehnlicher als ihn an irgendjemandem auszulassen. Die Mörderin von Alaric bekam meinen Zorn als Erste zu spüren. In der Annahme, ein leichtes Spiel mit mir zu haben, kam sie sorglos auf mich zu, doch noch bevor sie mich erreichte, schleuderte ich sie mit einer Handbewegung zur Seite. Aus den Augenwinkeln nahm ich war, dass sie mit einem unschönen Knacken gegen die Wand am anderen Ende der Halle prallte, achtete jedoch nicht weiter darauf.

Wow, das Kapitel ist tatsächlich doppelt so lang wie sonst geworden :O.
Aber irgendwie bin ich mir nicht ganz sicher; war irgendetwas zu brutal? Gibt es eine Szene, die ich vielleicht lieber rausnehmen sollte oder ist alles gut so? Sagt mir bitte Bescheid, ich habe nämlich echt keine Ahnung ._.

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Where stories live. Discover now