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"Damon?" Mein erstes Klopfen blieb unbeantwortet, doch so schnell ließ ich mich nicht abwimmeln. Nicht diesmal. "Damon, ich bin's, Lola." Wieder wartete ich. Und wieder reagierte er nicht.
"Ich werde ernsthaft versuchen, die Tür irgendwie aufzukriegen. Notfalls versuche ich, sie einzutreten oder hole mir gleich etwas, um das Schloss aufzubrechen." Warum hatte konnte er eigentlich seine Tür abschließen und ich nicht?
"Gut, dann eben auf die harte Tour", murmelte ich leise und sah mich nach irgendetwas um, womit ich die Tür attackieren konnte. Das mit dem Eintreten war dann doch eher Damons Ding, ich würde dabei vermutlich ein paar Knochen anstatt der Tür zerbrechen. Zu blöd nur, dass nichts annähernd Hilfreiches in der Nähe war. Dann würde ich wohl hoffen müssen, dass das Material nicht sonderlich stabil war.
Ich holte tief Luft, um mir selbst Mut zuzusprechen, als die Tür wie von Zauberhand plötzlich doch aufging und einen ziemlich schlecht gelaunten Damon offenbarte.
Er musterte mich eine Sekunde lang und hob spöttisch eine Augenbraue. "Als ob du das schaffen würdest. Sei froh, dass ich keine Lust habe, dass du jammernd vor meiner Tür liegst, weil du dir den Fuß verstaucht hast. Wenn du dann die Güte hättest, zu verschwinden." Autsch. Wenn auch widerwillig musste ich Colin Recht geben. In diesem Zustand wollte ich nicht zwingend mit Damon sprechen, normalerweise jedenfalls. Kurz erwägte ich, doch noch zu verschwinden und ihn in Ruhe zu lassen. Gleichzeitig erinnerte ich mich daran, dass ich an seiner Stelle wahrscheinlich ähnlich unfreundlich reagiert hätte. Bei all den Gedanken über meine Wünsche hatte ich nie daran gedacht, dass mein kontinuierliches Ignorieren von Damon ihn verletzt haben könnte und er mich nach meiner Abfuhr genauso wenig sehen wollte, wie ich ihn in den letzten Wochen.
"Ich wiederhole mich nur ungern, aber da du es offensichtlich nicht verstanden hast: Hau ab. Such dir irgendjemand anderen, den du belästigen kannst", grollte Damon und machte Anstalten, die Tür wieder zu zuknallen, als ich etwas tat, was uns beide überraschte - ich umarmte ihn. Wenn mich jemand gefragt hätte, warum ich das tat, so hätte ich ihm keine Antwort geben können.
Ungeachtet der Tatsache, dass Damon sich versteifte und versuchte, mich von sich zu schieben, erschien es mir richtig.
"Was wird das mal, wenn's fertig ist?", murmelte er angespannt.

Ich antwortete nicht. Wie auch, wenn ich es selbst nicht wusste.
"

Das mit Clara tut mir Leid", flüsterte ich stattdessen.
Ich spürte, wie seine Hände erneut zu meiner Hüfte wanderten, doch anstatt mich nun endgültig von sich zu lösen, verharrten sie dort. Unsicher, weil er schwieg, war ich es nun, die einen Schritt zurücktreten wollte. Plötzlich kam mir meine Reaktion unangemessen vor. Vermutlich wäre es besser gewesen, wenn ich höflich mein Beileid ausgesprochen hätte und dann verschwunden wäre.
Bevor ich mein Vorhaben jedoch in die Tat umzusetzen konnte, schien Damon aus seiner Starre zu erwachen. Seine Arme umschlangen mich wie ein Schraubstock, zogen mich fest an sich, als wolle er mich nicht nie wieder loslassen. Seufzend erwiderte ich die Umarmung, schloss die Augen und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Ich genoss das Gefühl der Nähe, schob die Stimme, die feststellte, dass Damon nur ein wenig fester zu drücken müsste, um mir vollständig die Luft abzuschnüren, beiseite.
Er würde mir nicht weh tun - jedenfalls nicht absichtlich.
Meine nächste Erkenntnis überraschte und beunruhigte mich im gleichen Maße. Früher war ich diejenige gewesen, die Hilfe oder Trost brauchte, doch gerade schienen die Rollen vertauscht zu sein. Diesmal würde ich stark sein müssen, um Damon irgendwie aus dem Strudel aus Trauer und Wut, in den er immer tiefer einzutauchen schien, herauszuholen.
Und so war ich auch die erste, die das minutenlange Schweigen brach. "Soll ich gehen?", murmelte ich, ohne mich aus der Umarmung zu lösen. Auch wenn ich vom Gegenteil ausging, war es immer noch möglich, dass er allein sein wollte. Ob ich das akzeptieren würde, war eine andere Sache.
"Nein", antwortete er mit rauer Stimme. "Bleib bitte hier. Wenn es dir nichts ausmacht, meine ich."
"Okay", erwiderte ich leise. Nach kurzem Zögern befreite ich mich vorsichtig aus seiner Umklammerung. "Ich mache nur kurz die Tür zu." Viel weiter wäre ich wohl auch nicht gekommen. Damon beobachtete mich mit einem verzweifelten Blick, als würde er fürchten, dass ich doch wieder verschwinden könnte.
Erst als ich wieder vor ihm stand, erhellte ein winziges Lächeln sein Gesicht, bevor es Sekunden später erstarb.
"Du bist nur wegen Clara gekommen, nicht wahr?"
"Nicht nur deswegen, nein. Ehrlich gesagt habe ich erst davon erfahren, als ich schon auf dem Weg zu dir war", sagte ich, unsicher, was ich als nächstes tun sollte. "Willst du ... darüber reden?"
"Keine Ahnung", antwortete er hilflos und seufzte. "Ich ... im Moment nicht, aber wenn du vielleicht einfach ...", er brach ab und starrte wieder auf den Boden. "Immer wenn ich versuche, zu schlafen, tauchen die Bilder wieder auf. Jedes Mal sehe ich wieder, wie Clara von dieser Bombe zerfetzt wird, ich ..."
"Vielleicht würde es helfen, wenn ich heute hier schlafen würde. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass Albträume seltener sind, wenn man nicht allein ist", bot ich an und verschränkte meine Hand mit seiner. Wir wussten beide, dass er mich darum bitten wollte und es aus Rücksicht auf mich nicht getan hatte. Schon allein deswegen wollte ich ihm diesen Gefallen tun.
"Das würdest du tun?", fragte er zweifelnd und sah mich erstaunt an.
"Ja", antwortete ich schlicht und lächelte. "Vorausgesetzt es stört dich nicht, dein Bett teilen zu müssen."
Wenn ich gedacht hatte, dass er nicht noch verblüffter werden könnte, hatte ich mich getäuscht. Offenbar hatte er lediglich angenommen, dass ich bereit war, im selben Raum, nicht aber im selben Bett, wie er zu schlafen.
"Ob...? Nein, natürlich nicht, aber ... Du musst das nicht tun, Lola. Ich meine, es ist wirklich nett, dass du etwas für mich tun willst-"
"Ich mache das nicht, weil ich muss, sondern weil ich es möchte, Damon", unterbrach ich ihn sanft. "Wenn es mir nicht gut ging, warst du immer für mich da und jetzt ist es eben anders herum. Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, musst du es mir nur sagen."
Einen Moment lang schien Damon ernsthaft zu erwägen, ob ich vollkommen den Verstand verloren oder Drogen genommen hätte, ehe er diese Gedanken offenbar verdrängte und mich erneut umarmte. "Danke."

***

Sorgsam darauf bedacht, Damon nicht zu wecken, lag ich neben ihm und beobachtete ihn beim Schlafen. Es war beinahe erstaunlich, wie friedlich und verletzbar er wirkte. Wenn ich es nicht genau wüsste, würde ich wohl nicht glauben, dass der Mann, der mich im Schlaf zärtlich festgehalten hatte und es noch immer tat, auch brutal und kaltherzig sein konnte.
Und dennoch war ich froh über meine Entscheidung. Ich wusste nicht, ob Damon sie akzeptieren würde, doch ich hoffte es. Nicht zuletzt der gestrige Tag hatte mir gezeigt, wie viel er mir noch bedeutete. Ich war dumm genug gewesen, diese Gefühle zu verdrängen und hatte damit nicht nur Damon, sondern auch mich selbst verletzt.
"Träume ich noch oder bist du tatsächlich hier?", murmelte Damon verschlafen und lächelte.
"Soweit ich weiß, bin ich kein Traum", erwiderte ich schmunzelnd.
"Gut, dann muss ich mir ja keine Sorgen machen, dass ich aufwachen könnte. Obwohl ich schon darüber nachgedacht habe, noch eine Weile so zu tun, als würde ich schlafen. Es war schön, mal wieder mit dir im Arm einzuschlafen und aufzuwachen." Sein Lächeln wurde traurig. "Danke, dass du hier geblieben bist. Das war das erste Mal seit Claras Tod, dass ich einigermaßen von den Albträumen verschont geblieben bin."
In Ermangelung einer originelleren Antwort als 'habe ich gerne gemacht' lächelte ich nur. "Ich habe nachgedacht. Ziemlich lange sogar."
"Tust du das nicht immer?", neckte er mich und lachte, als ich ihm gegen die Brust schlug.
"Das ist nicht witzig", bemerkte ich stirnrunzelnd. "Und nein, darüber habe ich vorher nicht nachgedacht, das Thema hatte ich erfolgreich verdrängt. Jedenfalls - ich wollte mich entschuldigen. Ich hätte dir nicht die ganze Zeit aus dem Weg gehen sollen. Ich glaube, dadurch habe ich versucht, den Kampf, der in mir tobte, unnötig zu machen. Ziemlich blöd, jetzt im Nachhinein gesehen, weswegen ich ihn in den letzten Tagen zugelassen habe. Und das eigentlich auch nur, weil ich begriffen habe, das du Recht hast. Ich wollte wirklich nicht leben, weil ich den Tod gefürchtet habe. Und das ist ein ziemlich bescheuerter Grund."
Damon betrachtete mich schweigend, als wollte er keine voreiligen Schlüsse ziehen. "Wer hat in dir gekämpft?"
"Mein Verstand auf der einen und mein Herz auf der anderen Seite", antwortete ich leise.
"Und wer hat gewonnen?", fragte er. In seiner Stimme schwang Furcht mit - ebenso wie Hoffnung.
"Kannst du dir das nicht denken?" Ich versuchte vergeblich, die aufkommende Unsicherheit zu unterdrücken. Es war verständlich, wenn er trotzdem nichts mehr mit mir zu tun haben wollte.
"Dein Herz, wie ich hoffe", antwortete er zögerlich. "Auch wenn ich es nicht zu glauben wage."
Ich lächelte schüchtern. Warum musste sich diese ganze Situation auch so anfühlen, als würden wir uns zum ersten Mal sagen, was wir für einander empfanden? "Richtig geraten."
"Wirklich?", erkundigte er sich noch immer ungläubig. Als ich nickte, zog er mich blitzschnell an sich und ehe ich es verhindern konnte, rollten wir quer über das Bett, nur um glücklich lachend auf dem Boden zu landen und von unserem Schwung weitergetragen zu werden.
"Aber wir gehen's langsam an, okay?", sagte ich atemlos, nachdem wir es endlich geschafft hatten, einigermaßen mit dem Lachen aufzuhören.
"So viel Zeit, wie du brauchst, Prinzessin", erwiderte Damon mit einem warmen Lächeln und hauchte einen Kuss auf meine Stirn.


Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Where stories live. Discover now