Ich fixierte sie unsicher.

„Sag bloß... Ohhhh!", sie klatschte in die Hände und sah aus als wäre sie gerade erleuchtet worden. „Du warst bei Chico, hab ich recht?"

Ich verzog das Gesicht und starrte die Bettdecke an.

„Nein."

„Was?", sie setzte sich ruckartig auf. „Scheiße, ist mir schlecht!"

„Ich hab richtig großen Mist gebaut, Lucia."

Sie rückte ein Stück auf die Seite, sodass ich mich neben sie aufs Bett setzen konnte.

„Was ist passiert?", einen mitfühlenderen Blick hatte ich bei einem Menschen noch niemals gesehen. Gleich würde sie mich hassen, weil ich mich wie eine Schlampe aufgeführt hatte.

„Ich... ich hab mit Tito geschlafen!", sagte ich schnell und leise. Sie verstand es trotzdem.

„Oha!", hauchte sie. Ich traute mich nicht, sie anzusehen.

„Wieso hast du das getan?"

„Ich weiß es nicht, ich war so betrunken und dann hat Chico mich so geärgert und dann kam eins zum anderen..."

„Wieso hat er dich geärgert?"

Ich erklärte Lucia die ganze Geschichte, zumindest soweit ich mich erinnern konnte.

„Ist doch nicht schlimm.", meinte sie dann schulterzuckend.

„Was? Natürlich ist das schlimm!", keifte ich während ich hektisch aufstand und mir die Haare raufte.

„Hey, er hat dich eine Bitch genannt und dann eine Chica abgeschleppt! Glaub mir Jamie, was du getan hast ist nicht schlimm!", Lucia schüttelte ihren Kopf. „Chico ist hier der Arsch!"

„Aber ich habe ihn auch beleidigt."

„Naja... Bitch ist schon ein... schlimmes Wort. Ich meine okay, Bella ist eine Bitch, aber du doch nicht!"

Ich erinnerte mich an die braunhaarige Schönheit, die sich an meinem ersten Abend in Mexiko mit Chico angelegt hatte.

„Ich fühle mich so schrecklich!", jammerte ich und ließ mich wieder aufs Bett fallen.

„Ich mich auch, aber das hat andere Gründe!", schimpfte Lucia und setzte einen wehleidigen Blick auf. „Wieso geht es dir nicht schlecht?"

„Oh glaub mir, mir geht es richtig schlecht, ich hab nur andere Probleme gerade. Chico darf das niemals erfahren, Lucia!"

Sie nickte ernst. „Nein, darf er wirklich nicht."

***

Die Stimmung in Haus war mehr als geladen als Lucia und ich frühstücken wollten. Maria war sauer, weil wir verschlafen hatten und sie das Frühstück allein hatte machen müssen. Mano und Fernando schrien sich im Wohnzimmer an, Chico war zum Glück überhaupt nicht da und Tito telefonierte wild gestikulierend auf der Terrasse. Ich warf Lucia einen fragenden Blick zu den sie nur mit einem Schulterzucken quittierte.

„Morgen wecke ich euch wieder auf, Mädchen! Die Männer führen sich auf wie eine Horde wild gewordene Affen!", Maria fluchte weiter vor sich hin während sie die Kaffeemaschine reinigte. Schuldbewusst glotzte ich meine Tasse an und versuchte den enorm hohen Geräuschpegel um mich herum auszublenden. Kurz darauf war Gepolter zu hören, dann knallte die Haustüre zweimal und schon war es ruhig. Sie waren einfach alle gegangen.

„Ist was passiert?", Lucia sah Maria neugierig an. Diese nickte betroffen. Sie schaute mich kurz an, beschloss dann aber, dass ich es ebenfalls wissen konnte.

„Raul wurde heute Nacht erschossen."

Lucia ließ ihren Löffel fallen, der klatschend in ihrem Müsli landete.

„Was?", sie riss ihre Augen auf und wischte geistesabwesend über die Milchspritzer, die sie über die Tischplatte verteilt hatten. Auch ich schluckte. Es wurde jemand ermordet?

„Chico ist schon sehr früh hin gefahren, Juan ist bei ihm. Die anderen La Morenas sind auf dem Weg ins Gebiet der La Trez."

Was faselten sie denn jetzt schon wieder? Jetzt schnallte ich überhaupt nichts mehr.

„Oh Gott! Das ist schrecklich. Raul hatte Familie – und Kinder!", Lucia stiegen die Tränen in die Augen. In diesem Moment fand ich sie irgendwie tapfer. Sie selbst hatte ihre Eltern verloren und hatte mir noch erklärt, dass das normal war. Für die Kinder von Raul weinte sie. Das hatte irgendwie etwas... keine Ahnung... aufopferungsvolles?

„Was meinst du mit La Mantas oder was auch immer?", fragte ich.

„La Morenas, unsere Familia. Die La Trez ist die Familia, die das Raul angetan hat!", erklärte Lucia.

„Und wer war dieser Raul?", fragte ich. Ich musste die Redefreudigkeit der beiden ausnutzen!

„Er besaß die Metzgerei in der Innenstadt. Es ist eine Schande, jeden Tag hat er an Chico Schutzgeld bezahlt und doch haben sie ihn nicht beschützt!", Maria sah plötzlich wütend aus.

„Was? Chico nimmt Schutzgeld von seinen eigenen Leuten?", ich war geschockt. Was für ein Arsch!

„Das ist ganz normal, Schatz. Die Leute möchten sicher sein.", erklärte Maria.

Ich schnaubte abwertend. „Raul ist ja wohl erschossen worden obwohl er an Chico bezahlt hat!"

Maria und Lucia schwiegen – weil ich Recht hatte!



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