In Ordnung

15 2 7
                                    

– 8. April 1999 –

Es war wieder Abend. Sie saß wieder in der Bibliothek und sie hatte wieder, wie jeden Abend, alle ihre Hausaufgaben viel zu früh beendet.

Und sie war allein.

Wieder. Wie jeden Abend.

Hermine starrte aus dem Fenster, wobei es mittlerweile so dunkel draußen war, dass sie nur noch ihre eigene, einsame Spiegelung in der Fensterscheibe anstarrte. Sie blinzelte sich selbst an.

Es war Anfang April in ihrem siebten Jahr in Hogwarts und sie sollte die Zeit mit ihren Freunden genießen und die Abende im Gemeinschaftsraum verbringen und schöne Erinnerungen schaffen, die die alten, düsteren, angelaufenen Erinnerungen ablösten. Die Erinnerungen an Tod und Verfolgung und Angst. Aber sie saß alleine in der Bibliothek, weil ihre beiden besten Freunde nicht für das letzte Schuljahr nach Hogwarts zurückgekommen waren, sondern eine Ausbildung in der Abteilung für Magische Strafverfolgung angefangen hatten, wie es immer ihr Traum gewesen war.

Hermines Traum war es immer gewesen, einen hervorragenden Schulabschluss zu machen, aber irgendwie fühlte sich dieses letzte Jahr nicht traumhaft an. Ginny hatte ihr versichert, dass sie mit ihr und ihren Freundinnen lernen konnte, dass es niemanden störte, wenn sie an den Hogsmeade Wochenenden mit ihnen kam und dass sie sich immer zu ihnen an den Gryffindor-Tisch setzen konnte, wenn sie wollte. Aber Hermine hatte sich wie ein Anhängsel gefühlt, als sie in den ersten Wochen im September auf das Angebot eingegangen war.

Sie verstand die Witze nicht, die die Gruppe machte; sie kannte die Anekdoten nicht, über die sie lachten; sie interessierte sich nicht für die Jungs oder Mädchen, über die sie sich austauschten. Die siebte Klasse war ihr fremd. Aus ihrem Jahrgang hatten sich nur sehr wenige dazu entschieden, das letzte Jahr nachzuholen. Diejenigen, die im vorigen Jahr in Hogwarts gewesen waren, hatten das Angebot angenommen, einen außerordentlichen Abschluss zu erhalten; die anderen hatten andere Ausbildungsplätze bekommen. Aus Gryffindor war nur Neville wieder zurückgekehrt und er war mit Hannah Abbott aus Hufflepuff zusammen, die ebenfalls wiederholte. Einige Ravenclaws waren hier, mit denen Hermine nie zu tun gehabt hatte. Und Draco Malfoy.

Es war ein kleiner Schock gewesen, ihn am Bahnsteig zu sehen und später in der Großen Halle über die Haustische hinweg seinen Blick aufzufangen. Sie hatte nicht erwartet, dass er sich trauen würde, sein Gesicht hier zu zeigen. Sie hätte es sich nicht getraut.

Sie traute sich nicht viel, dieser Tage. Manchmal hatte sie das Gefühl, sie hatte all ihren Mut und Tatendrang in der Jagd nach den Horkruxen und dem Wiederaufbau nach dem Krieg aufgebraucht. Es war nichts mehr da. Sie konnte Harry nicht darum bitten, ihr öfter zu schreiben; sie konnte Ginny nicht fragen, ob sie etwas zu zweit unternehmen wollten; sie würde Ron nicht dazu zwingen, den Kontakt mit ihr zu halten, nachdem sie ihre Beziehung nach nicht einmal zwei Monaten wieder beendet hatten.

Sie würde es auch allein schaffen. Sie hatte früher immer alles alleine geschafft. Hatte alleine alles gelesen, was es über die magische Welt zu wissen gab; alleine jeden Zaubertrank erlernt, den sie für irgendeine von Harrys gefährlichen Unternehmungen gebrauchen konnten. Sie hatte alleine ihre Hausaufgaben gemacht und gelesen und sich in ihren Büchern verkrochen und es war in Ordnung gewesen.

Sie blinzelte wieder ihr Spiegelbild an und eine einzelne Träne löste sich von ihren Wimpern, fiel auf die Tischplatte unter ihr. Wieso war es nicht mehr in Ordnung?

Sie saß immer noch in der Bibliothek, wie jeden Abend. Draco war sich ziemlich sicher, dass nicht einmal Hermine Granger so ausführlich ihre Hausaufgaben recherchieren konnte, dass sie jeden Nachmittag hier verbringen musste.

In OrdnungWhere stories live. Discover now