Das war es etwas, das ich schon früh gemerkt hatte. Es hatte mich noch seltsamer fühlen lassen. Fehl am Platz. Unverstanden.

Ich hatte das Team wegen ihrem Umgang mit Finn verlassen, doch wusste, dass es auch das richtige für mich gewesen war. Auf so vielen verschiedenen Ebenen.

Aber, und das machte mir die Entscheidung verdammt schwer, ich konnte mich nicht vollständig aus der Verantwortung ziehen. Ich hatte Ricos Ausfall verursacht.

Wäre es nicht das einzig richtige zu versuchen, mich den Konsequenzen meiner Taten zur stellen?

„Ich lasse es mir durch den Kopf gehen", meinte ich, tief in Gedanken versunken.

Wieder im Basketballteam zu sein war das letzte, was ich wollte. Abgesehen davon, dass ich die meisten Mitglieder nicht leiden konnte und sie mich nicht leiden konnten, hatte ich keinen Kopf dafür.

Und welches Signal würde ich an Finn senden, wenn ich wieder beitrat, obwohl ich aus Loyalität zu ihm ausgetreten war?

Wir wollten Frieden mit Rico, aber das machte alles, was er bis dahin getan hatte, nicht ungeschehen. Finn hatte eine wirklich beschissene Zeit hinter sich und das Team hatte diese maßgeblich beeinflusst.

Dieses Drama war nichts, das ich mir zusätzlich zu meiner Beziehungskrise und Familiensorgen, freiwillig antun wollte.

Mein Lehrer hatte keine Ahnung von meinem inneren Konflikt. Er wirkte erleichtert, so als sei die Entscheidung zu seinen Gunsten gefällt. „Mehr will ich gar nicht."

Nach dem Gespräch folgten wir dem Kurs nach draußen. Dass ich heute eine Note machen sollte, erzählte er mir ganz nebensächlich. Wenigstens durfte ich mir die Disziplin aussuchen.

Der Kurz lief zwei Runden über den Sportplatz, um sich warmzumachen. Ich merkte, wie gut es mir tat, mich zu bewegen. Je länger ich lief, desto besser kam ich mit meinem Körper in Einklang. Davon, dass ich fast drei Wochen nur rumgelegen war, merkte ich wenig. Vor allem, da ich nach ein paar Minuten anfangen musste, Finn zu ziehen.

Ich glaubte ihm nicht, dass er tatsächlich bereits erschöpft war. Er hatte nach wie vor die Kondition eines Basketballers und erhielt diese durch sein regelmäßiges Motocross-fahren aufrecht. Dabei wurden nicht unbedingt die gleichen Muskeln beansprucht, aber der Körper kam an seine Grenzen.

Ich liebte das Gefühl nach Stunden auf der Bahn mit zitternden Beinen in die Bar zu gehen. Es war fast wie guter Sex. Nur ohne das Gefühl, dabei intimen Zweisamkeit.

Nach dem Warmmachen und Dehnen sollten wir uns auf die verschiedenen Stationen aufteilen. Ich zog Finn sofort mit mir in die Richtung, in die Damian ging. Sprint. Nicht gerade mein Favorit, aber früher oder später wäre ich ohnehin hier gelandet.

Als Damian merkte, dass ich in seiner Gruppe war, warf er mir einen finsteren Blick zu.

Ich hatte mich an seine Abweisung gewöhnt und konnte nur noch zu grinsen. Mir war klar, dass das wie eine Provokation rüberkam. Um ehrlich zu sein, war es das auch.

Ich hatte genug von Damians Ignoranz. Wenn er mir schon keine Zuneigung geben konnte, dann wollte ich seine Wut. Wenn er mich böse anschaute, schenkte er mir immerhin Aufmerksamkeit.

Das gute an der Sprint-Gruppe war, dass immer maximal vier Leute gleichzeitig laufen konnten. Durch die Größe unseres Kurses konnten Finn und ich den Großteil der Stunde unbemerkt am Rand sitzen und den anderen beim Laufen zusehen.

Damian stand neben der Bahn und schaute sich die Starts der Läufer an, tat so als wäre er schwer beschäftigt, sich auf seinen Sprint vorzubereiten, während er der Aufgabe eigentlich auch nur aus dem Weg ging.

Als der Lehrer ankündigte, dass wir demnächst mit den Noten beginnen würde, überredete Finn mich dazu, einen Probesprint zu machen. Er selbst hatte seine Note bereits gemacht, lief zur Probe aber trotzdem nochmal mit mir mit.

Bereits nach wenigen Metern hatte ich ihn und auch die zwei anderen, die mit uns gelaufen waren, abgehängt. Dass ich schnell war, war nichts Neues. Heute kam mir die Strecke aber besonders kurz vor.

Ich lief meine Geschwindigkeit aus, drehte mich um und merkte, dass Finn und die anderen gerade mal in der zweiten Hälfte der Strecke waren. Damian rannte neben ihnen her, überholte sie und kam direkt auf mich zu.

Ich verlor alles andere aus dem Blick und konnte nur noch ihn beachten. Er schaute sich in alle Richtungen um, während er mir näherkam, legte, als er mich erreichte, seine Hand auf meinen Arm.

Für alle anderen musste es so aussehen als würde er mich loben, während in Wahrheit nichts darauf schließen ließ, dass er stolz auf mich war. Im Gegenteil. Er sah bedrückt aus.

„Was ist los?", fragte ich besorgt.

Dass er nach all der Zeit so plötzlich auf mich zugekommen war, machte mir Angst. Irgendetwas hatte ihn sicherlich dazu veranlasst so plötzlich auf mich zuzukommen.

„Du läufst zu schnell"

„Was?"

„Du läufst zu schnell", wiederholte er leise. Ich liebte den rauen Klang seiner Stimme, wenn er flüsterte.

Obwohl ich ihn sehr gut verstand, stellte ich mich etwas näher zu ihm und beugte mich zu ihm runter. „Was meinst du?"

Ihm fiel auf, dass ich ihm unnötig nahekam, doch er schob mich nicht von sich. Im Gegenteil. Sein Griff an meinem Arm verstärkte sich.

„Kein Mensch kann so schnell laufen."

Zuerst klang seine Aussage wie eine bloße Aneinanderreihung von bedeutungslosen Wörtern. Doch die Erkenntnis sickerte zu mir durch. Damian orientierte sich im Sportunterricht am besten Mitschüler und versuchte, etwa auf seinem Level zu sein. Dabei achtete er immer darauf, nicht zu sehr rauszustechen. Er wollte nicht auffallen. Er durfte nicht auffallen, wenn sein Geheimnis ein Geheimnis bleiben sollte.

Mein Sprint war so ziemlich das Gegenteil von unauffällig gewesen. Da niemand mitgemessen hatte, konnten wir nicht wissen, wie schnell ich tatsächlich gewesen war, doch, wenn Damian sagte, es war zu schnell gewesen, dann glaubte ich ihm.

„Shit."

Ich schaute zur Ziellinie, neben der Finn auf dem Boden saß, versuchte zu Atem zu kommen und Gänseblümchen pflückte.

Ein paar unserer Mitschüler unterhielten sich und schauten dabei zu mir.

„Du musst keine Angst haben." Damians Daumen streichelte über meinen Oberarm. „Die, die es gesehen haben, können es keinem erzählen ohne dass es so klingt als würden sie übertreiben. Es gibt keine Beweise. Wenn du jetzt langsamer läufst, sollte alles okay sein. Wir bringen die Stunde hinter uns, bei der Note laufen wir zusammen und du orientierst dich an mir. Ich weiß, wie schnell ich laufen kann ohne aufzufallen. Nach der Schule rufen wir Spence an. Er kann bestimmt erklären, was los ist."

Ich nickte, obwohl ich ihm nicht wirklich zugehört hatte.

Es war verdammt schwer, seinen Worten Beachtung zu schenken, wenn er so nah vor mir stand und seine Lippen so schön aussahen, wenn sie sich bewegten.

Ich wollte ihn küssen. Ich wollte mich nackt an ihnpressen, spüren, wie er mir entgegenkam, wie wir eins wurden und eins blieben,weil keiner von uns akzeptieren wollte, dass diese besonderen Momente endenmussten. Sowie alles andere auch.


wild (bxb)Where stories live. Discover now