Ich hätte damit Leben können. Da war ich mir sicher. Damian und ich hätten damit leben können. Ja, es hätte sogar viele unserer Probleme gelöst. Was die Verletzungsgefahr anging, zum Beispiel. Oder, dass ich nie zu hundert Prozent nachvollziehen konnte, wie es war, in seiner Lage zu sein. Empathie half, Grenzen zu überwinden, aber Gestaltwandler zu sein und all die Sorgen und Ängste, die damit kamen, waren mit kaum etwas, das ich kannte, vergleichbar.

Wenn ich auch einer war, könnte ich ganz anders für Damian da sein. Besser. Mein Trost wäre so viel mehr wert.

Natürlich hätte das auch bedeutet, selbst neue Probleme zu haben. Selbstkontrolle, zum Beispiel. Die Schmerzen einer Verwandlung. Die Umstellung meines Lebensstils, um den Bedürfnissen meines veränderten Körpers gerecht zu werden.

Aber all das hätte ich leisten können, solange Damian an meiner Seite war.

Weil das Gute, das er mir gab und das er in mir auslöste, alles Schlechte, das passieren konnte, überwiegen würde.

Wenn ich ihm das nicht sage, konnte er allerdings das nicht wissen. Sein Kopf erlaubte ihm nur die pessimistischsten Gedanken. Die hatten mit der Realität oft nur wenig zu tun.

Ich hatte also fest vor, mit Damian zu reden, auch, wenn er nicht von sich aus auf mich zukommen würde.

Die Person, die mich aus dem Bett geklingelt hatte und nun bei uns im Foyer stand, war Markus. Meine Tante stand vor ihm und fragte ihn leise, was er hier wollte. Sie klang aufgebracht, deshalb hörte ich es, obwohl ich oben an der Treppe stand.

Keiner von den beiden konnte mich sehen und irgendetwas hielt mich davon ab, mich erkenntlich zu machen.

„Mit dir reden. Und Marlon."

„Vergiss es", schnaubte meine Tante. „Du redest nicht mit ihm. Darüber waren wir uns einig, Markus."

Sie klang ganz anders, wenn sie mit ihm sprach. So kaltherzig. Nicht unbedingt unfreundlich, aber auch nicht einladend. Sie wollte nichts mit ihm zu tun haben. Und sie wollte nicht, dass ich etwas mit ihm zu tun hatte.

Markus war die letzten beiden Tage jeden Abend zu Spence gekommen, um mir zu erzählen, was Damian und meine Freunde trieben. Mir war aufgefallen, dass meine Tante mich keine Sekunde mit ihm alleine gelassen hatte. Sie war immer da gewesen, wenn er dagewesen war.

Dass meine Tante mehr wusste als sie bereit war zu zeigen, war mittlerweile kein Geheimnis mehr. Jedes Mal, wenn ich sie drauf ansprach, warf sie mir kleine Krümelchen hin, die mir für den Moment genug gaben, um mir den Kopf zu zerbrechen, aber nie wirklich einen ganzen Kuchen ergaben.

Meistens waren ihre Antworten allgemein gehalten, obwohl ich spezifische persönliche Fragen stellte.

Manchmal tauschten sie und Markus vielsagende Blicke aus, doch sie weihten mich nie ein, was sie damit meinten.

Ich machte meiner Tante bei jeder Gelegenheit deutlich, dass ich mich mit dem Wissen,d as sie mir anvertraute, nicht zufriedengab, und sie tat so als würde sie es nicht verstehen oder wieder vergessen. Sie war verdammt gut darin, Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Ein Talent, das mich so langsam in den Wahnsinn trieb.

Spence wäre eine Möglichkeit gewesen, unabhängig von meiner Tante etwas über Gestaltwandler zu erfahren. Allerdings hatte er sich meistens in sein Labor zurückgezogen, zu dem er keinem anderen Zugang gewährte.

Mir blieben also nur meine Tante und Markus. Vielleicht war es genau das, was meine Tante an Markus so störte. Er war ein Leck in ihrem perfekten Schiff aus Unwahrheiten. Sie konnte versuchen, es zuzuhalten, aber die Gefahr, dass es Wasser rein ließ und schließlich zum Untergang führte, war immer da.

wild (bxb)Where stories live. Discover now