*(62) Vergangenheit*

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Erwachsene. Das klang so als wäre er noch ein Kind.

Vielleicht fühlte er sich gerade so. Vielleicht fühlte er sich so wie er sich gefühlt hatte, als er tatsächlich noch ein Kind gewesen war. Weil ihn das nie wirklich losgelassen hatte.

Ich strich behutsam über seinen Kopf. „Hattest du Angst?"

„Man weiß nie was passiert", flüsterte er.

„Es ist vorbei", wiederholte ich. „Bernd beruhigt sich. Später gehen wir runter und sagen ihm, dass er in Zukunft nicht so rumbrüllen soll. Dazu hat er kein Recht. Auch, wenn er aufgebracht war und wahrscheinlich selbst Angst hatte. Er soll lernen, das angemessen rauszulassen."

Damian nickte. Ich spürte, wie sein Körper sich nach und nach entspannte und er gegen mich sank.

Ich wusste, es war ein beschissener Zeitpunkt. Irgendetwas aus Damians Vergangenheit suchte ihn gerade heim. Aber das betraf nicht nur die Schreie.

„Wie kamen die Drogen in deine Jacke?", fragte ich ihn leise.

Damian schmiegte seine Wange an meinen Hals. „Nick hatte sie an."

„Warum hast du das nicht gesagt?"

Damian hatte wirklich so ausgesehen als wäre er erwischt worden. Ich hätte ihn mit nichts Anderem verteidigen können als meinem Gefühl, dass er sowas nicht tun würde. Dass er keine Drogen nehmen würde. Dass er sie nicht vor mir verstecken würde. Wir waren doch ehrlich zueinander. Wir waren ein Team. Ein Paar. Wir waren zusammen.

Damian schüttelte leicht den Kopf, gehe er ihn an meine Schulter drückte. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass jeder in solchen Situationen nur glaubt, was er glauben will. Dagegen anzureden lässt einen nur schuldiger aussehen."

„Ich hätte dir geglaubt", hauchte ich.

Er brummte einen Ton, den ich weder als Zustimmung noch Ablehnung interpretieren konnte.

„Stimmt es, dass du schon mal Drogen genommen hast?"

„Mhm", machte er.

Ich ließ mir Zeit, die Information zu verarbeiten. Nicht nur die Information an sich, sondern auch, was sie bedeutete. Es gab etwas in Damians Vergangenheit, mit dem ich absolut nichts gerechnet hatte. Der Optimist in mir brüllte, dass das bloß ein Beispiel dafür war, dass es vieles von ihm gab, das ich noch kennenlernen durfte. Der Pessimist behauptete, es zeigte, dass ich Damian nicht halb so gut kannte wie ich glaubte.

„Spence und ich haben damit rumexperimentiert. Zuerst mit den Schmerzmitteln für seine Verbrennungen. Dann Benzos. Es hat mir mit den Verwandlungen geholfen. Sie weniger schmerzhaft gemacht. Die erste zumindest. Aber je schmerzloser die war, desto schlimmer war die zweite. Spence meinte, wir müssen vielleicht nur das richtige finden und irgendwie hat es damals Sinn gemacht..."

„War das auch Teil seiner Versuche?"

Ich klang abgefuckt. Dabei fand ich es eher erschreckend wie viel Macht dieser Typ über Damian gehabt hatte. Er hatte es für eine gute Idee gehalten, Damian Drogen zu geben und Damian hatte sie geschluckt, obwohl er bereits schlechte Erfahrungen mit Pillen gemacht hatte. Dass er als Kind so zugepumpt worden war, trug doch erst dazu bei, dass er seine Verwandlungen kaum kontrollieren konnte.

Wie sollte etwas, das ein Problem verschlimmert hatte, plötzlich dafür sorgen, dass es besser wurde?

Vielleicht hatte es auch har nicht an Macht gelegen. Mit Macht war Zwang verbunden. Er war verzweifelt gewesen. Er hätte alles getan, das ihm ein klein wenig helfen konnte.

Falls es Spence dabei nur um eine Versuche gegangen war, hatte er nichts Anderes getan als Damians Verzweiflung auszunutzen. Das hatte nichts mit Macht zu tun, sondern mit purer Boshaftigkeit.

„Keine Ahnung. Ich meine, klar fand er meine Verwandlungen interessant und so, aber ich glaube schon, dass er es für mich irgendwie erträglich machen wollte. Soweit das für einen Soziopathen nun mal möglich ist."

„Woher wissen Bernd und Angelina von den Drogen?"

„In meiner Akte steht, dass ich abhängig bin." Damian lachte und löste sich so weit von mir, dass er mich ansehen konnte. „Meine Betreuer haben mich mit genug Drogen gefunden, eine ganze Herde Stiere zu betäuben und gedacht, ich hänge voll drin. Dabei haben kleine Dosen bei mir einfach nichts gebracht. Und, wenn ich mich verwandelt habe, bin ich nüchtern wieder rausgekommen. Ich hätte gar nicht die Chance gehabt, eine Toleranz aufzubauen."

„Als ob."

„Ist leider wahr", beteuerte er, mit einem Hauch Verbitterung. „Nicht mal ein Junkie zu werden, ist mir vergönnt."

Ich schaute ihn streng an. „Dass du drogenresistent bist, ist etwas Gutes, Damian. Du lässt in Zukunft deine Finger von so einem Scheiß."

Damian hatte die Tatsache, dass er aufgrund von zu viel Medikation keine Impulskontrolle mit Drogen bekämpft. Jetzt stand in seiner Akte, dass er abhängig war. Und nach wie vor übernahm keiner Verantwortung dafür, wie es soweit hatte kommen können. Das war alles so ungerecht. Und ich hasste es, nichts daran ändern zu können

„Du musst dir keine Sorgen machen." Damian drückte mir einen Kuss auf die Wange. Erst dadurch merkte ich, dass ich noch immer in unveränderter Pose neben ihm saß: zu ihm gelehnt und mit meinen Armen um seine Schultern. „Du bist die einzige Droge, die in mich kommt... oder in mir."

„Damian." Ich versuchte, weiterhin streng zu klingen, merkte aber, dass ich den Kampf gegen mein aufkommendes Grinsen verlor.

„Ich liebe dich", sagte er ernst. „Ich würde nichts tun, das aufs Spiel setzt, was wir haben."

„Ich liebe dich auch", gab ich leise zurück. „Ich will dich niemals verlieren. Ich kann dich nicht verlieren. Bleib bei mir, okay?"

Er nickte sofort. „Immer."

Unsere Lippen versiegelten den Schwur. Damian würde mich nicht verlassen. Nicht freiwillig.

wild (bxb)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt