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"Würden Sie mir freundlicherweise erklären was das sollte, Shepherd?! Sie können doch nicht einfach mit Essen rumwerfen, aus diesem Alter sollten Sie wirklich raus sein!", schnauzte mich der Direktor dieser Einrichtung an. Ich hätte mir wohl denken können, dass das Konsequenzen haben würde. "Es ist mir einfach aus der Hand gefallen", murmelte ich gespielt zerknirscht. Der sollte mich nur in Frieden lassen.
"Natürlich! Es ist Ihnen aus der Hand gefallen, warum bin ich da nicht selbst drauf gekommen. Für wie blöd halten Sie mich eigentlich?"
"Für ziemlich blöd", rutschte es mir heraus. Ich sollte wirklich lernen erst zu denken und dann zu reden.
Ängstlich wartete ich auf einen Wutanfall, der sehr zu meiner Überraschung ausblieb.
"Ich gebe Ihnen einen Rat, den Sie lieber beherzigen sollten, wenn Sie in der Welt da draußen am Leben bleiben wollen: Tun Sie nur das, was man Ihnen sagt und schalten Sie Ihr Gehirn ein, bevor Sie irgendetwas machen oder sagen." Er deutete mit einer knappen Kopfbewegung auf die Tür. "Raus."
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und verschwand schnell. Nachdenklich machte ich mich auf den Weg zum Unterricht; die Hälfte der Stunde hatte ich eh schon verpasst, da konnte ich auch noch so lange rumtrödeln, dass ich erst zur zweiten ankam. Aber was meinte der Direktor bitte damit, dass ich mit meinem momentanen Verhalten nicht am Leben bleiben würde? Ich wusste, dass man sich lieber nicht gegen die Regierung auflehnen sollte, aber ich würde doch nie mit dieser zu tun haben. Keine Ahnung, was daran so schlimm sein sollte, selbst zu denken. Andererseits waren solche Gedanken vermutlich schon eine Rebellion gegen die Regierung. Wenn es nach denen ginge, wären wir wahrscheinlich alle solche Zombies wie die kleinen Kinder.
Wütend trat ich gegen einen Stein, den wohl jemand versehentlich von draußen mit herein gebracht hatte. Was gab denen das Recht mein Leben zu kontrollieren? Ich wollte selbst entscheiden wen ich heiraten würde und wann, oder ob ich mal Kinder bekommen würde; ob ich mal studieren oder eine Ausbildung machen könnte wusste ich auch nicht. Irgendwie konnte ich all jene, die bei diesem System nicht mitmachen wollten, ziemlich gut verstehen.
Ich seufzte, gab es überhaupt jemanden, der glücklich mit seinem Leben war, wenn er es sich nicht selbst ausgesucht hatte? Ein kleiner Teil in mir hoffte noch immer, dass ich zu diesen wenigen wirklich Glücklichen gehören würde, aber irgendwie bezweifelte ich das allmählich.
Mittlerweile war ich vor meinem Klassenzimmer angekommen. Offenbar hatte ich zu lange getrödelt, denn die zweite Stunde hatte bereits begonnen. Unschlüssig stand ich vor der grauen Tür und überlegte, was ich jetzt tun sollte. Letztendlich entschied ich mich wieder zu gehen. Das war immerhin mein letzter Tag hier, da lohnte sich der Unterricht auch nicht mehr. Ziellos schlenderte ich durch die grauen Gänge. Alles hier war so trostlos, man sollte meinen, dass ein Ort an dem Kinder leben viel bunter wäre. Ich hatte mal in einem Buch gelesen, wie die Welt früher war. Überall spielten Kinder, man hörte Lachen oder Weinen, sah Menschen, die sich unterhielten, umarmten oder stritten. Es war vielleicht nicht perfekt, aber zumindest konnte jeder selbst über seine Zukunft entscheiden.
Wie gerne würde ich jetzt wieder ein Buch lesen, doch die kleine Bibliothek die es hier gab, wurde vor 3 Jahren aufgelöst. Seitdem war nur noch der Wintergarten als mein Lieblingsort geblieben. Erstaunt bemerkte ich, dass meine Schritte mich genau hierher geführt hatten. Vorsichtig öffnete ich die Tür; normalerweise durften wir nur zu bestimmten Zeiten hier sein, doch das war mir gerade herzlich egal. Genießerisch atmete ich tief ein, auch wenn das kein richtiger Garten war, gab es hier viele echte Blumen, die zu jeder Jahreszeit einen unverwechselbaren Duft verbreiteten. Am liebsten würde ich mein ganzes Leben hier verbringen. Nun ja, vielleicht nicht das ganze, aber auf jeden Fall einen Großteil.
Betrübt setzte ich mich unter einen kleinen Apfelbaum, an dem seltsamerweise nie Äpfel hingen. Ab morgen würde ich wohl nie wieder hierher kommen. Wie es wohl in der richtigen Welt aussah? Ich hoffte, dass es nicht alles so schrecklich grau sein würde. Das wäre wirklich ein Albtraum, aber noch viel schlimmer wäre es, wenn ich meine neue Familie, die ich auf jeden Fall, sei es als Ehemann oder Adoptiveltern, bekommen würde, hassen würde. Oder, wenn sie mich hassen würden.

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Ich schlug die Augen auf, als mich jemand an der Schulter rüttelte, und sah in die blauen Augen von Kim. "Ich habe dich überall gesucht, hast du eine Ahnung, welche Sorgen ich mir um dich gemacht habe? Und du liegst hier und machst ein Nickerchen." Vorwurfsvoll hatte sie die Hände in die Hüfte gestemmt und starrte mich an.
"Sorry, ich bin unabsichtlich eingeschlafen", murmelte ich und zupfte mir ein paar Blätter aus meinen rotbraunen Haaren. "Aber ich hatte im Traum eine geniale Idee, komm mit." Ich sprang auf und rannte zu den großen Blumenbeeten. Schnell zog ich meine Jacke aus, legte sie auf den Boden und begann vorsichtig die Blumen abzurupfen.
"Was zur Hölle soll das werden, Lola? Willst du noch mehr Ärger bekommen?" Kim schien nicht sonderlich begeistert von meiner Aktion zu sein.
"Ja will ich", antwortete ich grinsend, "also, hilfst du mir oder nicht?" Sie zögerte nur einen Moment und grinste dann auch. "Ach was soll's ist ja sowieso viel zu langweilig hier."
Nach ein paar Minuten hatten wir alle Blumen in meiner Jacke gesammelt und schlichen uns vorsichtig aus dem Garten. Es war inzwischen kurz vor 13 Uhr, was bedeutete, dass bald alle zum Mittagessen strömen würden. Ich lugte um die nächste Ecke; weit und breit war niemand zu sehen. Dann konnte es ja losgehen.
"Verrätst du mir jetzt endlich, was wir hier eigentlich machen?" Kim sah ständig über ihre Schulter, offenbar befürchtete sie jeden Moment entdeckt zu werden. "Ganz einfach, wir verteilen die Blumen überall auf den Gängen. Dann wird alles hier mal ein bisschen Farbe haben." Ich war total begeistert von meiner Idee. Am liebsten würde ich einfach alle Wände anmalen, aber das ging ohne Farbe leider nicht. Kim sah immer noch skeptisch aus, ließ aber zu, dass ich ihr einen Haufen der Blüten in die Arme drückte. "Bereit?", fragte ich.
"Bereit für wa..", setzte sie an, doch in diesem Moment ließ ich sie schon quer durch den Gang schweben. Es war eine Prämiere, denn ich hatte meine Fähigkeiten noch nie so offensichtlich eingesetzt, doch heute war sowieso alles anders. Kim hatte sich inzwischen von dem Schrecken erholt und warf lachend die Blumen herum. Ich fing auch an zu lachen und ließ einen Teil meines Haufens ebenfalls auf den Korridor regnen.
Diesen Vorgang wiederholten wir etwa vier mal, bis ich die Klingel hörte und kurz darauf sah, wie sich alle Türen öffneten. Schnell ließen wir die restlichen Blumen fallen und taten so, als hätten wir diese gerade erst bemerkt, schließlich sollte niemand denken, dass wir etwas damit zu tun hatten. Zufrieden beobachtete ich, wie die Kinder alle lachend die bunten Blüten durch die Gegend warfen. Die Lehrerinnen und Aufseher versuchten verzweifelt Ordnung in das Chaos zu bringen, was ihnen aber gründlich misslang.
Kim strahlte mich an. "Das war eine tolle Idee, ich weiß nicht, wann ich sie zuletzt alle so glücklich gesehen habe." Ich musste lächeln, ja sie schienen wirklich glücklich zu sein, auf diese Idee hätte ich schon viel eher kommen sollen.
"Lassen Sie mich mal raten, wer dafür verantwortlich ist, Miss Shepherd."
Uhh, das gab Ärger.

Caeth-Die Rebellen || #Wattys2015Where stories live. Discover now