„Absichtlich?"
Das Messer zuckte etwas nach rechts.

Ophelia biss sich auf die Lippe: „Nein."

„Hm.", machte die Spielleiterin. „Du kannst die Augenbinde jetzt abnehmen. Wir sind angekommen."

Ophelia zog sich den schwarzen Stoff von den Augen, zweifelte, ob sie das, was die Spielleiterin ihr zeigen würde, wirklich sehen wollte.

Sie hörte, wie hinter ihr die Tür zufiel, als die Spielleiterin ihren Teil des Raumes verließ und auf die andere Seite, hinter die Glasscheibe, trat.

Zuerst erkannte Ophelia überhaupt nichts – dann klickte es leise und die Glühbirnen flackerten hell auf.

Ihr gegenüber, hinter der Glasscheibe, stand Manare. Ihre Augen waren gerötet, ihre Stirn dreckig.
Das gelbliche Licht ließ ihre Haut fahl erscheinen.

„Ophelia.", sagte Manare. Es klang seltsam dumpf durch die Glasscheibe.

„Du bist zu der Spielleiterin gegangen.", stellte Ophelia fest.

Manare nickte: „Ich konnte einfach ni -"

Die Spielleiterin trat hinter Manare und legte ihre langen Finger an Manares Hals.

„Sie hat euch verraten, Ophelia. Deine Freundin hat dich, hat euch, verraten.", sagte die Spielleiterin.

„Ich weiß.", erwiderte Ophelia.

Manare suchte ihren Blick, aber Ophelia bemerkte es kaum.

„Dachtest du wirklich, es wären Leute auf deiner Seite?", spottete die Spielleiterin. „Ist es nicht peinlich? Die Person, der du vertraut hast ... steht jetzt hier."

„Was hast du getan?", wisperte Ophelia und wandte den Blick von der Spielleiterin ab. In Manares Augen glitzerten Tränen: „Ich ... ich habe ihr von Ariane erzählt."

„Du wusstest schon, wo das Kleidungsstück war.", stellte Ophelia fest. „Du hattest nie vor, sie zu warnen."

„Und du hast mir nicht gesagt, wo das Kleidungsstück war. Du wolltest, dass ich es von Ariane erfahre, damit ich wirklich zu ihr gehe.
Ich wünschte, ich hätte ... ich wünschte, ich hätte ... Ich will nicht sterben.", sagte Manare mit erstickter Stimme.

„Wen hast du noch alles verraten? War es nur Ariane?", fragte Ophelia scharf.

Manares Schweigen sagte mehr als Worte es jemals gekonnt hätten.

„Was hast du getan?", flüsterte Ophelia so leise, dass Manare die Worte nur an ihren Lippenbewegungen erkennen konnte.

„Es tut mir leid.", sagte Manare laut.

„Ja?!
Was? Was, Manare? Tut es dir leid, aufgeflogen zu sein? Tut es dir leid, hier zu stehen? Oder tut es dir leid, uns verraten zu haben?!", fragte Ophelia.

„Es tut mir wirklich leid.", kam es wieder von Manare.

„Mir tut es auch wirklich leid, eure schöne Konversation stören zu müssen, aber ich möchte Ophelia einen Gefallen tun. Du bist ein sehr rachsüchtiger Mensch, nicht wahr?
Und Manare verdient vor allem eins ... Rache. Ich werde mich für dich rächen."

„Nein.", sagte Ophelia. „Nein!"

Manares Augen weiteten sich angstvoll: „Was?"

„Ophelia, ich möchte, dass du dir nicht die Augen zuhältst. Du möchtest sehen, was jetzt passiert. Vielleicht schuldest du es Manare ja, sie bis zum letzten Moment zu begleiten?"

„Ich will nicht sterben!", schrie Manare. „Nein! Ich will nicht-"

„Leise.", zischte die Spielleiterin. „Ich mache es schnell. Mit deinem eigenen Messer, Ophelia. Genieß es!"

„NEIN!", rief Ophelia und haute gegen die Glasscheibe, obwohl ihr klar war, dass es nichts bringen würde. Trotzdem hämmerte sie dagegen, bis ihre Fäuste schmerzten.

Manare ließ sich auf den Boden fallen, schrie immer lauter und schriller, während die Spielleiterin ruhig mit dem Messer in der rechten Hand auf sie zu trat. 

Ophelia hatte nicht bemerkt, dass auch sie angefangen hatte zu weinen.
Erst, als ihr die Tränen fast vom Kinn tropften, fing sie damit an, sie verzweifelt wegzuwischen.

„ICH WILL NICHT STERBEN!", rief Manare zwischen den nächsten Schluchzern.

„Ich weiß.", sagte die Spielleiterin. „Oh, sieh mal, ist es nicht verrückt? Du hast Angst, genau wie Ophelia, dabei habt ihr euch eben fast noch gehasst! Jetzt, wo es ernst wird ist plötzlich wieder alles gut! Wie albern ihr doch alle seid!"

„Nein ... ES TUT MIR LEID!"

Dann stach die Spielleiterin das Messer in Manares Lunge.
Ophelia legte ihre Handflächen gegen die Scheibe aus Glas, und spürte, wie ihre Beine unter ihr nachgaben. Sie setzte sich langsam auf den Boden, war jetzt fast auf Augenhöhe mit Manare.

Manares Schrei wurde zu einem hässlichen Gurgeln, als das Messer sie traf und brach schließlich ab.

Doch ihr letztes Wort hallte in Ophelias Kopf wider, bildete eine Endlosschleife nach der anderen.

Wyatt.



Werwolf - das BlinzelmädchenWhere stories live. Discover now