Mit einem letzen Wink zu meinem Trainer öffnet ich dir Tür zur Spiegelebene und kehrte von dort aus in meinen Körper zurück.

Zwar spürte ich den Stein, auf dem ich saß und hörte das leise Plätschern der kleinen Wasserfälle hinter mir, doch ich hielt die Augen geschlossen und verharrte im Schneidersitz, die Handrücken locker auf meine Knie gelegt.

Mit regelmäßigen Atemzügen streckte ich meine Sinne aus. Durch die Magie, die durch den Tempel floss, konnte ich immer spüren, was in ihn passierte. Ich wusste in dem Moment, wo die Frau war, in dem sie den Fuß auf die erste Stufe setzte.

Geduldig verfolgte ich, wie sie das Amulett einsetzte, die Tore sich öffneten und sie sich langsam ihren Weg in den Tempel suchte.

Lautlos erreichte sie die Halle, in der ich saß. Eine Sekunde bewunderte ich, wie leichtfüßig sie sich bewegte. Würde ich sie nicht durch den Tempel spüren und auf sie warten, hätte ich sie vielleicht gar nicht bemerkt.

Während sie den Blick über die hohe Decke, die stämmigen Säulen und das Becken gleiten ließ, baute ich den Wall wieder auf, den sie krachend zerstört hatte.
Beeindruckend, dass sie ihn tatsächlich komplett vernichtet hatte. Die Champions vor ihr hatten höchsten einen Riss hingekriegt, damit sie hindurchschlüpfen konnten ohne zu sterben. Nur hatte es ihnen bis jetzt viel Magie gekostet, sodass sie wenig für mich übrig gehabt hatten.
Aber mit Magie oder ohne. Keiner besiegte mich.

„Du!", rutschte es hier heraus, als sie mich erkannte. Es war mir immer noch ein Rätsel, wie sie mich auf der Spiegelebene hatte erreichen können. Ohne Körperkontakt und über die Entfernung.

Ich reagierte nicht, auch nicht als sie näher kam, das Schwert griffbereit.

„Ich nehme an, du schützt die Magie de Götter", bemerkte sie. Ihre Stimme war ruhig, ohne jegliche Anzeichen von Einschüchterung oder Nervosität.

Die Augen immer noch geschlossen erwiderte ich:
„Ich nehme an, du bist hier, um sie zu stehlen?"
„Stehlen würde ich es nicht nennen", meinte sie mit einem Schnauben. Mittlerweile war sie mir noch ein paar Schritte näher gekommen.
„Wenn man bedenkt, dass ich sie ihren Besitzern zurückgebe."

Regungslos setzte ich die regelmäßige Atmung fort. Ein weiterer Champion. Eine weitere Marionette der Götter.

„Bist du deswegen hier? Für Gerechtigkeit?"
Ihr hörte die unterschwellige Belustigung in ihrer sonst neutralen Stimme:
„Weit verfehlt."

Hm. Interessante Antwort. Eigentlich hätte ich die lange Tirade über die ach so ehrenhaften Götter, ihre heilige Magie und bla bla bla erwartet.
Kleiner Pluspunkt für sie. Aber ich würde sie trotzdem töten.

„Und weswegen gehorchst du den Götter dann?"
Ich war ehrlich gespannt.
„Ich werde bezahlt."

Nun, das war neu. Aber auch belastend für die Göttereltern.
„Sind Riniah und Xenos so am Ende, dass sie nicht mal mehr gläubige Schachfiguren haben, die sie hierhin schicken können?"

Durch die Bewegung in der Luft und meine noch immer mit den Tempeln verbundenen Sinne, spürte ich, wie sie das Schwert einmal durch die Luft kreisen ließ.
Schwarzstahl. Sehr gute Fertigung.
Zugegeben, meine Neugier hinsichtlich der Frau wuchs, aber in meiner Miene war nichts zu lesen.

„Kämpfen wir jetzt oder was?"
Fast hätte ich gelacht. Jemand schien einen Todeswunsch zu haben.

„Da ist jemand aber blutrünstig. Aber gut? Wer bin ich schon, einer Dame einen Kampf abzuschlagen?"

Nun öffnete ich meine Augen. Sofort traf ich auf ihren sturmgrauen Blick, aus einem schmalen Gesicht mit kalten Zügen. Ihre blasse Haut, an der Sand und schwarzes Blut klebte, wurde von der goldenen Wüstensonne beleuchtet, die ihren Weg durch die Kuppel in den Tempel fand.
Aus ihrem weißblonden Zopf schauten ein paar Strähnen heraus. Dieser fiel ihr lang über den Rücken.

Nemesis - Kronen und GötterWhere stories live. Discover now