Allstair legte seine kühle Hand an meine Wange, strich mit dem Daumen meine Lippen nach, dass mir noch übler wurde als sonst. Gemächlich glitten seine Finger meinen Hals herab und folgten der Linie meines Schlüsselbeines.

„Die Lektionen?", wollte er wissen.
Ich brauchte mehrere Anläufe, um meine Mundwinkeln dazu zu bringen, die Wörter zu formen. Meine Stimme war rau von dem vielen Husten und Wasser schlucken.
„Ich bin nichts. Liebe macht schwach."

Seine Hand wanderte weiter meinen Arm entlang. Plötzlich packte er zu. Genau dort, wo frische Schnitte verheilten.
Ich presste die Lippen aufeinander. Eher wegen der Berührung, als wegen dem Schmerz.

Genüsslich beugte der König sich vor und flüsterte in mein Ohr:
„Und das wichtigste?"
Ich unterdrückte ein Zittern, als sein Atem über meine Haut strich, sah aber zu Boden.
„Ich gehöre Euch."

Fürs erste zufrieden nickte er, ließ mich los und ging ein paar Schritte zurück.
„Gut. Du bist entlassen. Morgen früh findet ein Duell mit Beccah statt und danach kümmerst du dich um einen Auftrag."
„Ja, Eure Majestät", schaffte ich es dünn zu sagen und verbeugte mich. Beinahe wäre ich vornüber gekippt, aber ich hielt mich und richtete mich wieder auf. Auch wenn meine Welt sich ein wenig drehte.

Sein hämisches Lächeln verriet mir, dass es ihm nicht entgangen war, aber er nickte ein letztes Mal, also drehte ich mich um und ging aus dem Raum. Das gelang mir einigermaßen würdevoll, doch sobald ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, musste ich mich für eine Sekunde an der Wand abstützen.

Kurz sackte ich an der Wand zusamen, aber ich richtete mich praktisch sofort wieder auf und schritt durch die Gänge der Burg. Jeder Schritt war ein Kraftakt, aber ich musste es bis in mein Zimmer schaffen.

Die anderen Assassinen, Soldaten oder Bedienstete, die an mir vorbei kamen, sahen nur mein ausdrucksloses Gesicht und meine klatschnasse Kleidung. Dass ich eine Wasserspur hinterließ war mir egal.
Auch wenn mir scheiße kalt war.

Die Kälte sickerte mir unter die Haut bis zu meinen donnernden Herzen, das noch nicht verstanden hatte, dass der Überlebenskampf vorbei war.
Obwohl, hier in der Burg war er für mich nie wirklich vorbei.

Den Weg zu meinem kleinen Zimmer mit einem klapprigen Bett und noch klapprigeren Schrank, nahm ich nicht mal wahr.
Kaum hatte ich die Holztür hinter mir geschlossen, sank ich auf die Knie, schlang meine Arme um mich und beugte mich mit zusammengekniffenen Augen vor, um den Schwindel zu vertreiben.

Jetzt erlaubte ich meinem Körper auch wie Espenlaub zu zittern, denn hier war niemand, der mich beobachten könnte.

Eine Weile kniete ich so da, mich selbst haltend, weil es sonst keiner tun würde. Die Bibliothekarin war tot und alle Anderen waren nur Inszenierungen von Allstair gewesen.
Ich war allein. Also musste ich mich selbst zusammenraffen.

Irgendwann, als meine Zehen begannen vom Steinboden taub zu werden, stand ich immer noch wackelig auf und zog die nassen Sachen aus. Dabei waren meine Bewegungen wie ferngesteuert, mein Geist noch immer bei Allstair und dem Wasser.

Manchmal brauchte es eine Weile, bis ich zu mir fand, wenn er mit seinen Lektionen fertig war. Manchmal verlor ich mich selbst.

Die nassen Sachen klatschten zu Boden und ich stand in Unterhose, Handschuhen und Binde um die Brust in der Mitte des kleinen Raumes. Die Schultern und Kopf gesenkt.

Zwar gab es keinen Spiegel, aber wenn ich meine Arme musterte, konnte ich das Geflecht aus Narben sehen, dass sich an ihnen hochwand. Von letzter Woche zeichneten sich gerade verheilende Schnitte ab. Blauen Flecken von Kämpfen und Lektionen hatte ich sowieso überall.

Nemesis - Kronen und GötterOnde histórias criam vida. Descubra agora