Da, der Wind trug den Rauch von Osten her zu ihr. Im schwindenden Licht erkannte sie einen schmalen Pfad im Unterholz, der sie in diese Richtung bringen würde. Dánirah zögerte nicht, dem Wildwechsel zu folgen. Zweige streiften ihre feuchten Kleider und durchnässten sie. Aber wenn es hier tatsächlich ein Lager gab, konnte sie sich hoffentlich bald an einem Feuer trocknen.

Unsicher, ob sie sich noch auf dem richtigen Weg befand, blieb sie stehen. Der Rauchgeruch hatte sich verflüchtigt, aber etwas zu ihrer Linken erkannte sie einen rötlichen Schein zwischen den Bäumen. Dort musste es sein. Warum hatte sie den Rauvh nicht schon vorher, von dem Aussichtspunkt auf dem Hügel her erkannt?

Sie verließ den Wildwechsel an einer Stelle, wo das Unterholz ihr erlaubte, tiefer in den Wald einzudringen. Mit jedem Schritt rückte das Feuer näher. Waren das Stimmen? Zum Glück erreichte sie nun eine Stelle, wo mächtige Tannen den Boden beschatteten. Hier gab es kaum Unterholz und das Vorankommen wurde einfacher. Eilig hastete Dánirah auf die Lichtung zu, wo ein Feuer sie flackernd willkommen hieß.

Erleichtert verlangsamte Dánirah ihre Schritte. Nun hatte sie keine Eile mehr. Ein Rascheln etwas hinter ihr ließ sie innehalten. Das letzte, was sie hörte, war das Brechen eines toten Asts unter einem schweren Fußtritt. Dann raubte ihr ein harter Schlag gegen den Kopf die Besinnung.

~ ~ ~

Der kräftige Geruch nach Fichtenharz stieg Dánirah in die Nase, noch bevor sie die Augen öffnen konnte. Der Boden unter ihr war kalt, nass und uneben, und ihr Kopf schmerzte als ob sie gegen einen Felsen gerannt wäre. Sie blinzelte und versuchte sich zu orientieren, aber etwas stimmte mit ihren Augen nicht. Erst als sie versuchte, den Schmutz von ihren Lidern zu wischen, stellte sie fest, dass ihre Hände hinter ihrem Rücken zusammengebunden waren.

Panik flutete ihre Gedanken wie eine schwarze Welle und sie riss an ihren Fesseln. Aber wer auch immer die Riemen verknotet und sie unter diesen Baum geworfen hatte, hatte ganze Arbeit geleistet. Verzweifelt versuchte sie, ihre Beine zu bewegen, und stellte fest, dass ihre Knöchel ebenfalls gefesselt waren.

Das war übel. Dánirah presste ihr Gesicht gegen eine Wurzel des Baums, unter dem sie lag, und atmete tief den harzigen Duft ein. Sie musste sich beruhigen und sich ein besseres Bild ihrer Situation verschaffen. Scharfkantige Steine und Wurzeln pressten sich in ihre Rippen, aber das Hämmern in ihrem Kopf ließ keinen Raum für andere Schmerzen. Nach einigen tiefen Atemzügen gelang es ihr, sich etwas zu entspannen und die Geräusche ihrer Umgebung aufzunehmen.

Hinter ihrem Rücken prasselte ein Feuer. Sie konnte die Wärme, die es ausstrahlte, in ihrem Nacken spüren. Zudem machte sie Stimmen und Gelächter aus. Sie kämpfte die Übelkeit nieder, blinzelte den Schmutz aus ihren Lidern und rollte sich auf die andere Seite, um sich das Lager, das sie so unfreundlich empfangen hatte, näher anzusehen.

Dieser Ort unterschied sich in jeder Beziehung von der friedlichen Idylle von Senais Winterlager. Etwa ein Dutzend bärtiger Männer saßen in der kleinen Lichtung um ein loderndes Feuer. Einer von ihnen röstete Stücke von brutzelndem Fleisch an langen Spießen. Von der gedämpften Unterhaltung konnte Dánirah kaum etwas verstehen, aber sie sah, wie eine Flasche von Hand zu Hand ging. Etwas weiter links stampften mehrere Pferde im Schnee. Ein Mann versorgte sie mit Futtersäcken.

Zwei weitere Männer traten nun in das Licht des Feuers. Die Spitzen ihrer langen Speere glitzerten im Feuerschein und Dánirah erkannte, dass sie auch Schwerter trugen, aber keine Uniformen. Angst umschloss ihr Herz. Dies musste eine der Gruppen von Söldnern sein, von denen Orinai gesprochen hatte. Und berichtete nicht bereits Liha von ihren Gräueltaten, damals in Penira? Noch einmal versuchte sie, die Fesseln abzustreifen — vergebens.

In ihrer Verzweiflung musste sie wohl ein Geräusch gemacht haben, denn einer der Neuankömmlinge wandte sich in ihre Richtung. „Sieht aus, als ob unser kleines Vögelchen erwacht wäre."

„Sieh an, sieh an." Ein breitschultriger Krieger stand auf und näherte sich. Weil er zwischen ihr und dem Feuer stand, konnte Dánirah seine Züge nicht erkennen, aber der scharfe Rauch von Tabak kringelte sich aus der Pfeife, die in seinem Mundwinkel hing, und brachte ihre Augen zum tränen. Eine neue Welle der Übelkeit brandete durch Dánirahs geschundenen Körper. Sie kämpfte mit aller Kraft dagegen an.

Der Mann blieb nur zwei Schritte vor ihr stehen, seine dunkle Silhouette umrahmt von flackernden Feuerlicht.

„Was hast du hier draußen zu suchen, Hexe aus der Tannabrut?" Seine Stimme war rau und etwas keuchend, als ob er unter einem Husten litte.

Dánirah presste die Lippen zusammen. Solange sie nicht wusste, was der Mann von ihr wollte, sagte sie besser nichts.

„Wenn du nicht sprechen willst, kann ich dir gerne helfen, die richtigen Worte zu finden, meine Liebe." Er lachte trocken, nahm die Pfeife aus dem Mund und breitete einladend seine Arme aus. Die glühenden Funken im Pfeifenkopf zeichneten dabei einen feurigen Bogen in die Nacht. Dánirah folgte der Bewegung mit den Augen und versuchte, ihre aufflackernde Angst hinunterzuschlucken.

„Ganesh, du kannst dich später um dein gefangenes Täubchen kümmern. Das Essen ist fertig."

Ihr Peiniger wandte sich mit einem unverständlichen Brummen ab und gab ihr den Blick auf das Feuer frei, wo der Mann mit den Spießen winkte.

„Ich komme ja schon." Ganesh drehte sich zu ihr zurück und steckte sich die Pfeife wieder in den Mund. „Du hast Glück, dass ich gerade hungrig bin. Wir werden unsere nette Unterhaltung deshalb erst nach dem Essen fortsetzten können. Überleg dir gut, was du sagen willst. Bevor ich es aus dir herauspresse."

Er blieb einen Moment lang reglos stehen, als ob er noch etwas hinzufügen wollte, zuckte aber dann die Schultern. Ohne Vorwarnung versetzte er Dánirah einen kräftigen Fußtritt in die Seite, wandte sich ab und ging zum Feuer.

Dánirah schnappte nach Luft und rollte sich reflexartig zusammen. Dort, wo der schwere Stiefel sie getroffen hatte, brannten ihre Rippen wie Feuer. Mit zitternden Lippen kämpfte sie gegen die Tränen. Dieser Mann würde ihr gegenüber keine Gnade zeigen, soviel war klar. Nur zu gut erinnerte sie sich an Lihas Geschichte, an den Schmerz in seinem Gesicht, als er ihr erzählte, wie die Söldner seine Familie gequält und getötet hatten.

Sie würde eine Menge Glück brauchen, sich aus dieser Situation zu befreien und auf Hilfe von außen durfte sie in dieser einsamen Gegend nicht hoffen. So, wie die Dinge standen, musste sie selbst ihr Schicksal in die Hand nehmen. Bloss wie? Ihr Waren buchstäblich die Hände gefunden.

Liha & Dánirah - Der Drache und die TräumerinWhere stories live. Discover now