2. In dunklen Wäldern

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Ich habe natürlich nicht auf Sokis gehört.

Die heutigen Geschäfte sind einfach zu verlockend gewesen, als Händler auf ihrem Weg zur Hauptstadt durch das Dorf gekommen sind. Ein seltenes Ereignis.
Ich habe mein gesamtes Gemüse an den Mann gebracht und insgesamt 16 Kupfermünzen verdient. Davon habe ich ein paar neue Stiefel gekauft. Meine sind durch die ständigen Märsche so durchgelaufen, dass ich jeden noch so kleinen Stein und jede Unebenheit spüre. Außerdem kaufte ich einen Laib Brot, ein Stück Käse, ein wenig Wildfleisch und Garn, um die Löcher in Vaters Hose zu stopfen und meine zu kürzen.

Doch nun auf dem Heimweg mit meinem Karren voll dieser Dinge und meiner spärlich leuchtenden Laterne bereue ich es fast. Ich habe viel Zeit im Dorf verbracht. Mehr als gewöhnlich und als ich aufgebrochen bin, hat sich die Sonne bereits auf den Weg hinter den Horizont begeben.

Nun ist es dunkel. Nur der Sichelmond am Himmel spendet ein wenig Licht, sodass ich den nahenden Wald als dunkles Gebilde wahrnehme, doch sobald ich ihn betreten werde, erlöscht auch dieses Licht.
Ich laufe den Weg entlang, der sich durch Wiesen und Felder schlängelt. Beobachte wie sich die Grashalme in der kaum zu spürenden Brise bewegen und beginne erneut meinen eigenen Gedanken nachzuhängen.

So vergeht die Zeit schneller, es lenkt mich ab.
Dadurch blicke ich nur auf den Weg und sehe mir nicht meine Umgebung an. Gerade im Wald kann das zu dieser Tageszeit sehr hilfreich sein.

Treffe ich Vater nüchtern an oder ist er vielleicht schon zu Bett gegangen, wenn ich ankomme? Ich hoffe, er freut sich, dass ich seine Hosen stopfen kann. Vielleicht hat er sogar sein altes Lächeln für mich übrig, das, das ich als Kind so an ihm geliebt habe. Meine Gedanken schweifen unweigerlich zu Ida. Wegen ihr habe ich Käse gekauft, um ihr eine Freude zu machen, die sie eigentlich nicht verdient.
Doch manchmal, wenn sie nicht gerade den Annehmlichkeiten ihres alten Lebens hinterher trauert, fühlt es sich mit ihr an wie früher, als wir noch wirkliche Schwestern waren, die einander unterstützt haben.

Ida ist fünf Jahre älter als ich. Ist in diesem Sommer 26 Jahre alt geworden, doch anstatt sich wie die Ältere von uns Beiden zu benehmen, habe ich das Gefühl, dass ich diese Aufgabe übernehmen muss. Genauso wie die Aufgabe meines Vaters uns zu ernähren.

Ich bleibe vor dem Waldrand stehen und betrachte wie sich die dunkle Höhle aus Geäst sich vor mir öffnet. Normalerweise habe ich nicht so große Probleme damit ihn im Dunklen zu betreten, ich finde es auch nicht sonderlich angenehm, doch heute hallen Sokis Worte durch meinen Kopf und das mulmige Gefühl, was sie begleitet, wird mit dem Betreten schwerer.

Die Flamme in meiner Laterne flackert, als wolle sie sagen: Dreh um. Geh nicht hinein, während ich mir sage, dass meine Fantasie nun endgültig mit mir durchgeht. Doch einmal begonnen, lässt sich das Gedankenkarussell kaum aufhalten.

Dennoch betrete ich den Wald und werde von der Dunkelheit verschluckt.
Das Quitschen der Laterne und das Rumpeln des Karrens sind meine Begleiter in der leisen Nacht. Sanft rascheln die Blätter in der kühlen Abendbrise und je weiter ich gehe desto ruhiger werde ich.

Es passiert nichts. Hier ist nichts, was nicht schon immer da gewesen ist. Der Wind, die Bäume, die tierischen Waldbewohner und der Weg. Alles ist völlig normal. Das sage ich mir, dennoch halte ich ruckartig an.

Lausche. Der Wind rauscht spielerisch an meinen Ohren vorbei. Ansonsten höre ich nichts ungewöhnliches. Irgendwo raschelt es. Vermutlich ein Igel, auf der Suche nach Nahrung.

Ich warte noch einen Moment ab, ehe ich mich wieder in Bewegung setze und komme keine fünf Schritte weit, als ich erneut innehalte.

Was ist das? Dieses Mal ist es keine Einbildung gewesen. Irgendetwas hallt durch den Wald.
Es hat wie das Weinen eines Kindes geklungen, doch das ist unmöglich. Was sollte ein Kind im Wald machen, soweit weg vom nächsten Dorf und dann auch noch im Dunkeln.
Ich schüttele den Kopf und gehe weiter. Meine Fantasie verurteile ich erneut, dass sie mir einen solchen Streich spielt...

Alva - Winterhauch Where stories live. Discover now