Ich forderte schon mehrmals eine Trainingspause ein, damit die Belastung der Heilung nicht im Weg steht, doch sie gewann jede Diskussion. Simon wartet nicht, ist zwar untergetaucht, doch noch immer eine präsente Gefahr. Nach dem Vorfall am Palast dürfte er nicht gut auf sie zu sprechen sein. Da ich jedoch nicht rund um die Uhr an ihrer Seite sein kann, ist das Training das Mindeste, was ich ihr an Schutz gewähren kann.

"Wundert mich nicht." Will zuckt mit den Schultern, doch die Antwort erleichtert ihn. Immerhin ist Talia ihm sehr ans Herz gewachsen, auch wenn er das genauso wenig zugibt wie seine Vorliebe für die Neckereien mit Mina. "Sie haben dich nicht ohne Grund als Lehrer einberufen."
"Anleiter", korrigiere ich ihn.
"Verzeih mir, Meister."

Grinsend schüttele ich den Kopf. Seit Sonnenaufgang habe ich junge Magier mit dem Schwert trainiert, unter anderem auch Will, der noch Defizite im Nahkampf aufweist, sie auf die Gefahr Paylas vorbereitet und bin somit meiner neuen Aufgabe nachgekommen, die sich nicht wirklich als Pflicht anfühlt. Weil ich es liebe. Magier im Schwertkampf auszubilden, ihre Talente aus ihnen zu kitzeln und dabei keinerlei Druck zu haben.

Denn obwohl die Berater hin und wieder prüfend über unsere Schultern blicken, haben sie keine Macht mehr über uns. Das mussten sie einsehen. Und somit wurde der Dienst zu einem Beruf, so wie Talia sich eine Tätigkeit in der Bibliothek in Sonelis ergatterte. Das machte den Dienst attraktiv wie noch nie zuvor. Anstatt sich zu verstecken, kamen die Magier aus allen Ecken des Reiches, um ihre Fähigkeiten anzubieten. Etwas, was uns half, Payla bis an die Küste zurückzudrängen. Bis zur Frühlingswende in einer Woche dürfte Sonelem wieder vollständig unter unserer Hand geführt werden. Ein Sieg, welcher nur auf einem Ereignis fußt: dem vernichteten Johanniskraut.

Ich schließe die Tür auf und werde von dem in der Luft schwebenden Mehl in Empfang genommen, genauso wie von Talias Lächeln, das mir das Gefühl gibt, nach diesem sinnbetäubenden Tag Zuhause angekommen zu sein.

"Hey." Ich ziehe sie in meine Arme und hole mir den lang ersehnten Kuss ab, der meine Welt in Ruhe bettet. Dann spähe ich zu Mina, die bereits Will darüber aufklärt, dass der Kuchen nicht verbrannt, sondern mit Schokolade angerührt ist. "Wie war dein Tag?"
"Gut, alles wie immer." Aufmerksam studiert sie mein Gesicht, tastet mit ihren Fingern meine Wange ab. "Du siehst...erschlagen aus."

Von Reizen, nicht von der Müdigkeit - sie kennt mich zu gut. Doch ich möchte nicht über meine strapazierten Sinne jammern, erst recht nicht, wenn ihre sanfte Stimme jegliches Pochen in meinem Kopf verjagt. "Es war ein langer Tag."

"Ohne dich", stimmt sie mir zu.
"Ich habe etwas gefunden", murmele ich halblaut und überreiche ihr das Buch. Augenblicklich strahlen ihre Iriden mit dem hellblauen See um die Wette.

"Was musstest du dir dafür anhören?", fragt sie besorgt, kaum streift ihr Blick den Titel. "Es ist immerhin auf Paylisch."
"Die Verkäuferin, nicht ich. Obwohl ich es auch genommen hätte, wenn man mich persönlich nach Payla verbannt hätte."
"Solange du es mir vorher bringst..."

"So ist das also?" Meine Mundwinkel zucken amüsiert. "Wenigstens ist dann dein Hunger nach Sprachen und Literatur gestillt."
"Das Buch kann nur leider nicht meinen gesamten Hunger stillen."

Überrascht ziehe ich eine Augenbraue in die Höhe. Das...kam unerwartet. Ich beschwere mich nicht darüber - als ob ich ihr diese Bitte jemals ausschlagen würde. Doch es erstaunt mich, dass sie ihr Begehren so unverhohlen kommuniziert. Und offensichtlich weiß sie nicht, wie sehr ich mich zusammenreißen muss, um Will und Mina nicht schnurstracks aus dem Haus zu werfen, als sie meinen Blick meidet und ihre Unterlippe zerkaut. Ich verschränke ihre Finger mit meinen, bevor sie auch das Armband malträtieren können. "Beruhigend, dass ich nicht so schnell von einem Buch ersetzt werden kann."

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