4 - Die goldene Stadt

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Niemand schenkte Liha Beachtung, der den langsamen Zug mühelos überholte und das Tor gleichzeitig mit einer kleinen Gruppe Handwerksleute erreichte. Die Torwache interessierte sich nicht für sie. Drei Männer in den Farben des Königs standen plaudernd an der Seite, das goldene Sonnensymbol des Hauses Diun prominent auf ihren Brustpanzern eingraviert und über den Schultern die himmelblauen Mäntel. Einer von ihnen besaß einen Bart, der sogar Melishs Gestrüpp in den Schatten stellte. Er musterte Liha, sprach ihn aber nicht an. Einen Moment lang war der junge Mann versucht, den Krieger nach dem Rekrutierungstag zu fragen. Aber Berim hatte ihm bereits gesagt, dass er vermutlich am Tag des Vollmonds stattfinden würde. Deshalb senkte er den Blick und ging weiter.

„Hey, du." Die schroffe Stimme ließ ihn zusammenzucken und er fuhr herum, die Hand bereits am Griff seines Dolchs. Aber der bärtige Soldat würdigte ihn keines Blicks. Stattdessen ging er mit langen Schritten auf eine schlanke junge Frau zu. Mit der dunklen Haut und dem schwarzen Haar, dass sie zu einem Zopf geflochten trug, erinnerte sie ihn an Berim. Aber beim genaueren Hinsehen gab es nur wenige Ähnlichkeiten zwischen den beiden. Sie trug einen langen, schwarzen Rock und einen schwarzen Schal über einer ausgeblichenen und schäbigen Jacke. Der Torwächter vertrat ihr den Weg und sie blickte zu dem großen Mann auf.

„Kann ich helfen?" Sie zog die Schultern zurück und schenkte dem Mann ein freundliches Lächeln. Liha, der sich nun gegen die massiven Eichenbalken des Torflügels lehnte, wusste, dass er an ihrer Stelle gezittert hätte.

Die Augen des Wächters verengten sich. „Was ist dein Geschäft in der Stadt, Tanna?"

„Ich muss eine Nachricht überbringen. Morgen reise ich wieder ab."

„Ha. Weißt du, dass das Betteln in der Stadt für deinesgleichen verboten ist? Hast du die Mittel, um für deinen Aufenthalt hier zu bezahlen?"

Die junge Frau schob den ausgefransten Ärmel ihrer Jacke zurück, um dem Wächter eine Sammlung silberner Armreifen an ihrem Handgelenk zu zeigen. Die Augen des Mannes weiteten sich.

„Kennst du sie?" Eine schwere Hand landete auf Lihas Schulter und er riss sich von der Szene los. Ein zweiter Wächter stand nahe bei ihm — zu nahe für seinen Geschmack. Aber er konnte gerade noch verhindern, nach seinem Dolch zu greifen.

„Nein, ich habe sie noch nie gesehen." Liha schalt sich einen Narren, die Aufmerksamkeit der Wachen auf sich gezogen zu haben. Er versuchte, ein so unschuldiges Gesicht wie möglich zu machen. Im Gegensatz zu der jungen Frau war er komplett mittellos.

Der Krieger schien unsicher, wie er weiter vorgehen sollte. In diesem Moment erreichten die Händler das Tor und er schubste Liha beiseite. „Geh schon, Junge. Du kannst hier nicht herumstehen und den Weg versperren. Hier gibt es nichts zu sehen für einen Bengel wie dich."

Liha senkte den Kopf und ging weiter, obwohl er den Weg nicht blockiert hatte. Das war der falsche Moment, um sich mit den Stadtwachen anzulegen, besonders nicht für ein geheimnisvolles Mädchen, das mehr Vernunft zu besitzen schien als er selbst.

Er ging unter dem eisernen Fallgitter durch und fröstelte im kalten Luftzug, der ihm durch den weiten Bogen des Tors entgegenblies. Ein Krieger beim inneren Torbogen bedeutete ihm, zügig weiterzugehen. Liha machte einige lange Schritte, blieb dann aber überwältigt stehen. War die Zitadelle schon von außerhalb der Mauern beeindruckend gewesen, wirkte sie von hier aus atemberaubend. Die schroffe Westseite der steilen Kalksteinklippe, von der Festung des Königs gekrönt, leuchtete gold-orange im Abendlicht. Die Ostseite versank aber bereits in tiefen Schatten. So nahe die weiß getünchten Palastwände waren, sie wirkten abweisend und unerreichbar.

Ein Mann schob ihn unsanft beiseite und murmelte etwas über dumme Bauern. Liha schüttelte seine Verwunderung ab und sah sich um. Er musste etwas zu essen und einen Ort zum Übernachten finden. Zu seiner Überraschung fand er sich auf einem belebten Marktplatz. Allerdings waren die Händler bereits dabei, ihre Stände abzubauenden ihre Güter in Kisten und Körbe zu verpacken. Liha schlängelte sich durch das emsige Treiben. Selbst so kurz vor dem Ende war der Markt von Penira ein Vielfaches größer als jener in Salar. Sein Magen grummelte beim Anblick von Gemüse und Brot, das auf Handwagen verladen wurde.

Liha & Dánirah - Der Drache und die TräumerinWhere stories live. Discover now