"Er ist tot", erklärt mir Talia, als wir auf die Gasse treten, das Tor hinter uns schließen. "Er war auch auf dem Schiff. Damals vor vier Jahren."
Das erklärt den trüben Schimmer in ihren Augen. Die Frau hat sie unbewusst schmerzlich daran erinnert, dass keiner dieses Unglück überlebt hat. Dass eine Suche sinnlos ist. Dass manche Leichen gefunden wurden, manche noch immer in den Tiefen des Meeres warten. Ich greife nach ihrer Hand, drücke sie. "Sie erinnert sich nicht daran. Vielleicht ist es besser, dass sie glaubt, ihr Sohn sei nur länger am Wachturm."

"Gewiss", stimme ich zu. Sich in der Hektik einen Überblick zu verschaffen, ist nicht einfach. Hier der Rauch gieriger Flammen, dort Schreie und durcheinander hetzende Menschen, verdrängt und gejagt von Paylas Soldaten.

Eine Frau stürmt an uns vorbei, zieht ihr schluchzendes Mädchen hinter sich her. Diese klammert sich an einen Plüschlöwen - nein, bis der König und seine Armee von diesem Gemetzel erfahren werden, ist es zu spät. Magier zur Verteidigung sind in den größeren Städten positioniert, nicht hier. Was sind denn auch schon die wenigen Leben in Meral wert?

Ich trete über einen Mann hinweg, tot, seinem nicht vorhandenen Herzschlag nach zu urteilen, und schaffe es gerade noch, einem Angreifer im Würgegriff die Luft abzuschneiden, bevor er einem älteren Herren sein Messer durch die Brust rammen kann. Der Soldat röchelt um Luft, Speichel sammelt sich in seinen Mundwinkeln an, als er versucht sich vergebens aus meinem Griff zu winden. Die Zeit, die ich für ihn aufwende, ist wertvoll. Zu wertvoll.

Direkt vor unseren Augen legt ein weiteres Boot an, noch mehr von ihnen strömen über den Steg auf die Häuser zu. Neben uns wird eine Scheibe eingeschlagen, dann brennt das Erdgeschoss lichterloh. Was die Soldaten nicht vollziehen, beenden deren Fackeln. Ich bräuchte ein Schwert. Das Messer ist aber immerhin besser als nichts. Ein Blick zu Talia, die sich zu dem älteren Mann bückt, ihn in ein Gespräch verwickelt und scheinbar nebenbei ihre Hand auf seine Schulter legt. Im nächsten Moment schließt sich die klaffende Wunde auf seiner Wange. Der Mann begreift es erst, als wir bereits weiter sind, so stark packte ihn der Schock.

Den Soldaten geradezu zu erdrosseln, hat die Aufmerksamkeit mehrerer Männer auf mich gezogen. Ehe ich mich versehen habe, stürmen sie in unsere Richtung. Ein Hieb in Richtung Kopf, zur Seite ausweichen, seinen Arm packen, bis zum Knacken der Knochen verdrehen und ihn zu Boden zwingen. Schon viel zu oft gemacht. Ich will nach seinem Schwert greifen, doch er kickt es außer Reichweite. Warnend sucht mein Blick nach Talia, doch kann sie nirgends ausfindig machen. Verflucht. Sie in diesem Chaos zu verlieren, war nicht der Plan. Ich strecke mein Bein aus, der Zweite taumelt darüber, fängt sich und erwischt mich am Oberarm.

"Ash!" Sie steht auf der Treppe zu einem Haus, wirft mir ein Schwert zu - und hat augenblicklich alle Augenpaare der Männer auf sich gezogen. Ich nutze den Moment der Verwunderung, hole aus und sehe im nächsten Moment einen Kopf über den Boden rollen. Schnee verfängt sich in seinen Haaren, vermischt sich mit den vor Schock weit geöffneten Augen und dem Blut zu einem grässlichen Anblick. Bevor sich der Andere auf Talia stürzen kann, jage ich ihm das Schwert mit einem kerzengeraden Wurf mitten durch den Rücken. Er stolpert noch einen Schritt, kippt vornüber und scheint geradezu ihre Schuhe zu küssen.

Panisch weicht sie zurück, umklammert das Geländer, um jede Berührung mit seiner Leiche zu vermeiden. Dann schnellt ihr Blick zu mir. Ich begreife zu spät, warum. Ich höre, wie das Schwert die Luft teilt, sich mir gleich in den Rücken bohren wird, setze noch zum Ausweichen an. Viel zu spät, das ist mir auch bewusst. Doch statt dem eisigen Stahl spüre ich sengende Hitze, die mein Oberteil streift. Streift, aber nicht durchdringt.

Dann ein ohrenbetäubender Schrei, der Geruch nach verbranntem Fleisch. Talia fixiert noch immer den Mann hinter mir, versucht ihre Konzentration nicht zu unterbrechen. Ich rüttele mich aus der Überraschung, wirbele herum und steche zu, bevor sie für seinen Tod verantwortlich ist. Blut sickert aus seinem Mund, derweil sich das Feuer noch immer über seine Arme frisst. Sein Schwert kann man nicht mehr als solches bezeichnen.

InhumanityTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang