Essell Kerne

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Blauer Mord; jede Art des nicht 
natürlichen Ablebens eines Mitglieds des 
königlichen Haushaltes. Wird ungeachtet der 
Umstände stets durch Hängen geahndet.
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          Ich hatte mir oft vorgestellt, wie es wäre, nach Eslaryn zurückzukommen, aber eine Leiche in meinem Bett war irgendwie nie involviert gewesen. Erst gegen Ende meines Abenteuers war mir diese Möglichkeit in den Sinn gekommen und in dem Szenario war ich die Tote.

Aber mein Herz schlug noch. Sehr laut. Sehr kräftig. Vielleicht aus Schock oder weil es ebenfalls nicht glauben konnte, dass Kaar seinen Willen durchgesetzt hatte. Ich stand mitten in einem Zimmer in Eslaryn. 
Ich war zuhause.

Henric war hier...

... und eine mir fremde Leiche. Mein beginnendes Lächeln ernüchterte sich sofort wieder. Warum war hier eine Leiche, die nicht ich war? Das hier war ein ganz normales Zimmer im Palast. Kein Ort, an dem eine Vielzahl an Leichen aufbewahrt werden würde. Und diese hier sah übel mitgenommen aus, schöne Kleidung hin oder her. Kratzspuren, die den Stoff und ihre Haut darunter aufklaffen ließen. Blaue Ränder an den Wunden und-... Irgendetwas passte nicht ins Bild. 

Ein merkwürdiges Gefühl legte sich in meinen Magen wie eine Warnung. Die Augen zusammengekniffen trat ich näher und löste Henric so aus seiner eigenen Schockstarre. Mit militanter Präzision drehte er sich um und war in wenigen Schritten wieder an der Tür.
„Wachen!"

Sein bellender Ruf ließ mich zusammenzucken, doch ich nahm den Blick nicht von der Frau. Kratzspuren, länger als meine Unterarme, zogen sich überall über ihren Körper. Selbst ihr warmer Mantel mit Fellkragen und dickem Stoff hatte sie nicht vor der Länge dieser Krallen schützen können. 
„Henric...", setzte ich langsam an, nicht sicher, auf was genau ich ihn aufmerksam machen wollte.

„WACHEN!", rief Henric noch einmal, als er keine Schritte von draußen hörte. Seine Atmung ging schwer, seine Schultern unter seinem Hemd angespannt. Er warf mir nur einen flüchtigen Blick zu. „Eure Hoheit, ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte, aber ich werde Euch-..." Seine Stimme war tief und besorgt- verärgert sogar. Er hörte nur nicht zu.

Und ich auch nicht.
„Henric."

„Wachen!"

„Henric!" Ich erreichte den Moira-Tonfall, der Betrunkene handzahm machte. Und tatsächlich drehte er sich zu mir um. Für einen kurzen Moment sah er mich fragend an und bemerkte zum ersten Mal, wie wenig ich eigentlich anhatte. Eine verdächtige rote Färbung breitete sich auf seinen Wangen aus und sein Blick fand neuen Fokus auf einem Punkt irgendwo links von mir.

Ich rollte innerlich mit den Augen und deutete auf mein Bett. „Wir müssen die Leiche untersuchen." Mehr Männer in dem kleinen Zimmer wären jetzt nicht hilfreich. Leichen tauchten nicht einfach in Betten auf. Das hier war eine Nachricht. Für mich.

Henric dachte anscheinend dasselbe- oder zumindest den Teil mit den auftauchenden Leichen. Die Röte verschwand aus seinem Gesicht, vertrieben durch finster zusammengeschobene Augenbrauen. „Jemand ist in dein Zimmer eingebrochen. Während du dich von einem furchtbaren .... Etwas Furchtbarem..."

Uh war das eine widerliche Erinnerung. Sie löste alles mögliche in mir aus, von Übelkeit bis hin zu zittrigen Händen. Das konnte jetzt keiner gebrauchen. Ich schloss die Tür zu den Bildern mit einem innerlichen Zucken.

Unentschlossen, ob er nicht doch noch ein weiteres Mal nach seinen Männern rufen sollte, machte Henric einen halben Schritt auf die Tür zu, doch ich hielt ihn zurück.
Anscheinend brauchte der Hauptmann mehr Zuspruch beim Anblick einer Leiche als ich.
„Mir geht es gut, Henric. Etwas, was ich über die arme Frau hier neben mir nicht sagen kann."

Die Erste Nevanam - Band IIWo Geschichten leben. Entdecke jetzt