"Es tut mir so leid."
Runa schaut betreten auf den Boden, als würde er sich unter ihr auftun, wenn sie noch länger darauf starrt.
"Lucius hat mir keine Wahl gelassen", wispert sie kaum hörbar.

"Wir hatten einen Pakt", bringe ich hervor, als die Tür schwunghaft aufgerissen wird. Was auch immer passieren mag, wir werden einander nicht verraten - so viel dazu.

Ich zwinge mich in die Höhe, muss mich am Tisch abstützen, um nicht vornüber zu kippen. Als ich Simon erklärte, dass ich einen Weg finden werde, um ausschließen zu können, dass Will nicht im Palast ist, hatte ich mir darunter nicht vorgestellt, selbst wieder in Lucius' Hände fallen zu müssen. Widerstandslos werde ich mich dennoch nicht geschlagen geben. Runa will mir ausweichen, doch die Magie in meinem Armen lässt mich nicht im Stich. Ich ziehe sie vor mich, schneide ihr mit meinem Griff am Hals jegliche Luft ab und stecke die Tritte ihrer strampelnden Beine ein.

"Ash!"
Ihre langen Nägel krallen sich in meinen Arm, ein panisches Kreischen sprudelt nur so aus ihr hervor. Der Stich in meinem Kopf lässt nicht lange auf sich warten - ich kneife die Augen zusammen, um einen Schmerzenslaut zu unterdrücken und mich auf das Wesentliche zu besinnen. Natürlich weiß sie, wie sehr sie mir damit zusetzt. Dennoch lasse ich nicht locker, kaum rücken die drei Männer und das Mädchen in mein Sichtfeld. Ich erkenne sie sofort wieder. Es ist die gleiche Truppe, die Lucius bereits nach Riyak ausgesandt hatte - hervorragend. Vermutlich sind sie am besten dafür geeignet, um mich zu überwältigen.

"Na, wenn das nicht ein erfreuliches Wiedersehen ist", brummt der Größte, dreht gelassen das Schwert in seiner Hand.
"Wiedersehen? Beim letzten Mal habt ihr ja nicht sonderlich viel gesehen", spiele ich auf Wills Magie an. Runa reißt den Kopf vor, beißt mir in den Arm. Ein Grollen entfährt mir, doch zuwider ihrer Hoffnungen verschränke ich den Griff nur umso stärker. Sie ist mein einziger Weg, hier heil rauszukommen, wenn es mir denn irgendwie gelingen sollte. Denn die kleine Magierin spielt bereits wieder mit der Luft, raubt mir den Atem - nur leider nicht ansatzweise so angenehm, wie es Talia gelingt.

"Weißt du, Ashton, du kannst einfach das Kraut trinken und uns allen einen Gefallen tun, oder aber wir müssen andere Maßnahmen ergreifen."
Ich ziehe Runa mit mir Richtung Fenster, versuche draußen Geräusche zu vernehmen. Nur Stimmen der Menschen unter uns, die nicht ansatzweise ahnen, was sich nur knapp über ihren Köpfen abspielt.
"Maßnahmen, die dir nicht gefallen werden."
Er lässt seinen Blick auf meinen Arm schweifen, dort, wo er das letzte Mal deutliche Spuren hinterlassen hatte. Wäre ich Talia nicht in Sira begegnet, würden sie sich noch immer dort abzeichnen. "Ganz offensichtlich weißt du auch ganz genau, wo die Heilerin ist."

Sind das Hufe eines Pferdes auf dem Pflasterstein? Ich spitze die Ohren, vergesse beinahe, dass die Magier auf eine Antwort warten.
"Die anderen Maßnahmen hören sich gut an", bringe ich mit der letzten Luft hervor, die noch in meiner Lunge ist, röchele um einen weiteren Atemzug. Dann werfe ich mich mit aller Wucht nach hinten, ziehe Runa mit mir.

Ihr gellender Schrei ist um einiges schmerzvoller, als der ungebremste Aufprall auf der Gasse - das dachte ich zumindest, bis ich mir der Schmerzen bewusst werde. Scherben des Fensters schneiden mir in die Seite, meine Knochen fühlen sich vollkommen malträtiert an. Vermutlich habe ich mir die Rippen gebrochen, doch das Adrenalin lässt mich nicht zögern. Runa windet sich aus meinem Griff, fasst sich wimmernd ans Knie. Dabei hat sie nicht mehr abbekommen. Meine Arme um ihren Kopf haben jeglichen Kontakt ihres Oberkörpers mit dem harten Boden abgebremst, derweil ich das nicht von mir behaupten kann.

"Der macht mich fertig", höre ich einen der Magier über mir murmeln, sehe, wie er sich aus dem Fenster lehnt und ungläubig auf uns hinabblickt. Die Anderen stürmen vermutlich die Treppe hinab, sind nicht sonderlich scharf darauf, mir hinterher zu springen. Dann huschen die Hufe in mein Blickfeld.

"Was...oh, liebe Götter!"
Der Schock scheint die Frau so sehr im Griff zu haben, dass es aussieht, als würde sie vom Pferd kippen und nicht kontrolliert absteigen. Eilig wendet sie den Kopf in alle Richtungen, begleitet ihren suchenden Blick mit Hilferufen. Ich stemme mich in die Vertikale, entreiße ihr die Zügel und ziehe mich auf das Tier. Erst beim zweiten Anlauf spielen meine Beine so mit, dass es mir gelingt. Die Magier hechten auf die Gasse, da wende ich bereits das Pferd, während die Frau wortlos zusieht, die Hände überfordert nach mir ausstreckt. Doch es sind nicht ihre, die mich zu fassen bekommen.

Runa reißt mir mit ihren Nägeln den Unterarm auf, klammert sich beinahe verzweifelt an mich.
"Ash, bitte. Ich habe nur diese eine Chance. Er wird mich umbringen, wenn ich schon wieder versage."

Ihre großen Augen blicken flehend zu mir auf, kratzen an meinem Mitgefühl, das ich mir strengstens unterbiete. Zwei Jahre lang haben wir einander vertraut und zusammen Aufträge gemeistert, die sonst ein Spiel mit dem Tod gewesen wären. Zwei Jahre Freundschaft wirft sie so einfach aus dem Fenster - oder ich, wenn man es wortwörtlich nimmt. Meinen verfluchten Patzer der Waghalsigkeit mit dem Alkohol werde ich dafür nicht missen.
"Dein Problem, nicht meins."

Eine hilflose Träne stiehlt sich aus ihrem Auge, ein stummer Ruf der Verzweiflung. Doch ihre Reue kommt zu spät. Ich presche das Pferd voran, ignoriere ihr Schluchzen und drehe mich nur um, damit sich das durch die Luft sausende Messer eines Magiers nicht in einen Schenkel des Pferdes bohren kann. Dass ich es an der Klinge zu fassen bekomme und mir längs die Hand aufschlitze, ist mir egal. Das Pferd ist meine Rettung, also muss ich seine sein.

"Du wirst früher oder später im Palast auftauchen", ruft Runa mir diabolisch hinterher. "Mit Will hat Lucius einen größeren Glücksgriff, als er sich bewusst ist."

Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube: gegenüber Runa habe ich nicht einmal Wills Namen erwähnt.

InhumanityWhere stories live. Discover now