Naevan hielt meine Augen einen Moment lang fest, dann schwang er sich elegant hinter mir auf.

Mein Atem stockte, als ich seine Brust an meinem Rücken spürte, aber ich hielt die Zügel lediglich fester und zwang meine Muskeln dazu ruhig zu bleiben.

„Behalt deine Hände bei dir", erinnerte ich ihn knapp.
„Etwas anderes viele mir nicht mal im Traum ein."

Jetzt wandte ich den Kopf Kiro zu und nickte ihm knapp zu. Er erwiderte die Geste und winkte, als ich das Pferd antrieb.

Naevan hinter mir wäre fast runter gefallen bei dem Ruck, aber er hielt sich nicht an mir fest, sondern fand selbst das Gleichgewicht wieder.

Ich seufzte.
„Halt dich an meinen Schultern fest."
„Was?"
„Zwing mich nicht es zu wiederholen", zischte ich und er legte seine Hände auf meine Schultern.

Er war mir zu nah. Und er berührte mich, aber ich atmete durch die Erinnerung, entschlossen ihm nicht noch eine Panikattacke sehen zu lassen.
Ich wollte ihm beweisen, dass ich meiner Angst nicht ausgeliefert war.
Ihm, aber vor allem auch mit selbst.

~•~

Drystan
Es war nicht mehr weit bis Traddis. Tatsächlich waren wir mittlerweile so weit vorgedrungen, dass Allstairs Truppen uns nicht mehr gefährlich werden konnten.
Zumindest vorerst.

Meine Augen wanderten über die vertraute Landschaft in der Dämmerung. Chara ritt immer noch neben mir und der Rest des Zuges folgte. Wir waren die letzten drei Tage praktisch durchgeritten und auch jetzt fing mein Hintern wieder an einzuschlafen und zu schmerzen. Keine Ahnung wie das gleichzeitig ging, aber es war auf jeden Fall so.

Wir ritten über ein Feld, da wir den Wald bereits hinter uns gelassen hatten. Dabei kamen wir an einzelnen Dörfern und Bauernhöfen vorbei.
Sie waren verlassen.

Schluckend hatte ich meine Augen auf das Dorf gerichtet, an dem wir gerade vorbei kamen. Es gab keine Spuren von einem Kampf, aber aus Berichten wussten ich, dass auch hier Infizierte gesichtet worden waren. Die Menschen mussten aus Angst geflohen sein. Oder die Nachricht der Evakuierung hatte sie erreicht und sie hofften auf Zuflucht in Traddis.

Wenn ich die vielen leeren Dörfer betrachte, mussten Tausende nach Traddis kommen. Viel mehr als die Stadt beherbergen konnte.

Ich erschauertes bei den Gedanken der Massen an Infizierten, die jetzt auf koranéeanischen Boden waren und weiter vorrückten. Ich wusste nicht, wie schnell sie bei ihrem übernatürlichen Tempo auch Traddis erreichen würden. Ob wir genug Zeit haben würden, in Position zu gehen, bevor die schwarze Armee schon eintraf.

Meine Gedanken wanderten zurück zu Nemesis. Am liebsten würde ich meinen Geist projizieren und sie wieder fragen, ob sie die Magie hatte. Ob sie vielleicht schon auf dem Rückweg war.
Doch dann musste ich auch wieder daran denken, wie sie bereit gewesen war, mich zu erstechen. Und an ihren eiskalten Blick.

Ich zweifelte nicht, dass sie die Mission erfüllen würde. Wenn jemand die Macht der Götter zurück bringen würde, dann sie. Zumal durch den Deal von Xenos ihr Leben davon abhing.

Sie musste es einfach schaffen. Anders war der Krieg verloren, bevor er überhaupt angefangen hatte.

Die Gespräche hielten sich in Grenzen, die Soldaten waren müde. Die Generäle wechselten kaum ein Wort mit uns, sie verurteilten uns dafür, dass wir die Frontsoldaten geopfert hatten, um Zeit zu gewinnen und ihnen dazu den wahren Plan verschwiegen.
Ich konnte es ihnen nicht verübeln.

Nicht zuletzt auch vom langen Ritt erschöpft, erreichten wir die Stadttore der Hauptstadt. Es war tröstlich die grauen Türme des Palastes in der Ferne funkeln zu sehen, auch wenn ich mich auf die Sicherheit seiner Mauern nicht verlassen konnte.

Vom Weiten erkannte ich die dichte Menschentraube vor den Toren. Eltern, Kinder, Ältere. Einige hatten sogar Zelte vor dem Eingang aufgebaut, wo sie übernachten konnten, wenn sie es nicht geschafft hatten, eingelassen zu werden.

Vorne standen zwei Soldaten, die einzelne Gruppen einließen und die Anzahl auf einer Liste notierten. Es gab nur eine begrenzte Anzahl, die wir einlassen konnten, sonst würden die Vorräte für eine Belagerung nicht ausreichen. Geschweige denn der Platz innerhalb der Stadt.

„Wir müssen den Geheimgang verschließen", bemerkte ich an Chara gewandt, „Sonst kommen sie wieder ins Schloss."

Bei den Erinnerungen an den brennenden Thronsaal und das Blut der toten Höflinge wurden mir übel. Fast konnte ich das verbrannte Fleisch riechen.

Chara nickte zustimmend. „Wenn dein Vater das nicht längst getan hat. Nochmal schleichen sie sich nicht so leicht ein."

Beim Näherkommen erkannte ich die Schützen, auf der Mauer, die Bögen bereits in der Hand. Da sie unsere Truppe jedoch schnell erkannten, machte sie keine Anstalten die Pfeile auf uns zu richten.

Dennoch waren unsere Reihen dünn, durch die vielen, die als Infizierte mit Sir Renalds die Stadt verlassen hatten.
Definitiv nicht genug um die Stadt zu verteidigen.

Auch die Soldaten am Tor erkannten uns und bellten Befehle, dass die Schutzsuchenden, den Weg frei machten.

Als ich auf meinen Pferd an inne vorbei ritt, sah ich die ängstlichen Gesichtern. Das wenige Hab und Gut, dass sie bei sich hatten, da sie überstürzt aufgebrochen waren.

Sie verfolgten mich mit ihren Augen.
Ich sah die Enttäuschung, über unser Versagen und wandte den Blick ab.

Wir ritten durch das Tor, wo bereits die Angehörige der Soldaten warteten und uns mit hoffnungsvollen Blicken verfolgten.

Als schließlich die kümmerlichen Reste der zu Beginn aufgebrochenen Soldaten allesamt innerhalb der Mauern wagen, zersplitterte die Hoffnung von einigen wie Glas.

Während einige sich ihren vermissten Soldaten in die Arme warfen, sanken andere schluchzend auf die Knie und drückten ihre verständnislosen Kinder an sich.

Ich hielt mein Pferd an und starrte auf die klagenden Familien, die sich gegenseitig hielten und kopfschüttelnd um ihre Verlorenen trauerten.

Mein Blick wanderte zu meiner schwarzen Hand.
Die Verlorenen, die ich getötet hatte. Die ich nicht hatte retten können.

Wo wenige unfassbar erleichtert waren und einander gar nicht mehr loslassen wollten, sahen andere mit leeren Augen zu. Die Schultern hängend, als hätte man ihnen schlagartig jegliche Lebenskraft gestohlen.

Da trat ein älterer Mann auf einmal vor.
„Wo waren die Götter, als unsere Söhne gestorben sind?", wollte er laut wissen. Laut genug, dass andere hochsahen.
„Wo war Eure Magie als König Allstairs unsere Grenzen durchbrochen hat?"

Jetzt schlossen sich andere an und rückten wütend näher zu mir und Chara. Sofort schoben sich Martell und Aramis auf dem Boden vor mich.

„Es waren zu viele", sagte ich, aber meine Stimme brach und ging in den jetzt wütenden Geschrei der Anwesenden unter.

„Leere versprechen von Göttern an unserer Seite", keifte eine Frau mit sichtlichen Tränenspuren, „Ihr habt gelogen! Die Götter haben uns verlassen!"
Weiter empörte Schreie wurden laut und mehrere kamen ein Stück auf uns zu.

Ich wollte den Mund öffnen, da legte Chara eine Hand auf meine. Als ich verzweifelt zu ihr sah, schüttelte sie einmal ein Kopf.
„Es gibt nichts zu sagen. Sie haben ihre Liebsten verloren."

Ich schluckte, sah zu den Bürgern Traddis.

Ich sah die Verzweiflung, die Wut, die Angst.
Und egal wie viel Macht ich durch Riniah besaß, ich konnte nichts tun.
Es kam jetzt einzig und allein auf Nemesis an.

Nemesis - Kronen und GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt