"Welche Wahrheit?"
"Dass sie kein Interesse an dir hat. Unabhängig davon, ob ihre Erinnerungen manipuliert sind oder nicht."
Simon hebt warnend den Zeigefinger. "Vorsicht, Ash. Du bist gerade nicht in der besten Position für Provokationen."
"Ist es das? Eine Provokation? Für mich sieht es vielmehr nach einer Tatsache aus." Die Adern an seinem Unterarm treten hervor, als er die Hand zur Faust ballt. "Scheint so, als würde nun Talia zwischen uns stehen, nicht mehr Kaya."

"Hast du etwa geglaubt, ich renne deiner Schwester hinterher, nachdem ich erfahren habe, dass sie mich so schnell abgeschrieben hat?"
"Nein. So verzweifelt bist nicht einmal du."
Mein Gegenüber nickt. "Aber Will oder wie?"
"Will ist nicht mehr Herr über seine Erinnerungen. Das macht ihn noch lange nicht dumm. Sieht er wieder mit klarem Verstand, wird er erkennen, was richtig ist. Talia genauso."
"Schauen wir mal, ob es dazu kommen wird."

Ich hole tief Luft. Natürlich hat er kein Interesse daran, dass es wieder wird, wie es war. Das würde seine Chancen bei ihr drastisch mindern - zumindest will ich das glauben. "Die beiden wissen nicht, was passiert ist. Es wäre Unrecht, nicht zu korrigieren, was verdreht wurde, auch wenn es einem von uns so, wie es jetzt gerade ist, weitaus gelegener kommt."

"Du denkst doch nicht wirklich, dass das auf Dauer sein kann? Du bist all das, was sie verabscheut."
"Wirklich?" Obwohl ich jegliche Provokation vermeiden wollte, zieht sich meine Augenbraue wie von selbst in die Höhe. "Sie ist aus freien Stücken in Riyak geblieben. Zu dir wollte sie nicht einmal, nachdem ich ihr dazu geraten habe. Das spricht für sich oder etwa nicht?"

Er stürzt sich auf mich - oder versucht es. Im letzten Moment schnelle ich zur Seite, entkomme seiner frontal auf mein Gesicht zielenden Faust nur knapp, doch es reicht, um ihn aus dem Konzept zu bringen. Er strauchelt kurz, fängt sich im rutschigen Schnee überraschend schnell wieder.
"Lass uns das Thema wechseln", schlage ich vor. Das würde meinem schmerzenden Bein ebenfalls sehr zugutekommen. "Das Letzte, was wir gebrauchen können, ist hier aufzufallen."

"Damit ich dir dein Glück gönne, nachdem du mir bereits meins genommen hast?"
"Ich habe euch nicht verraten." Tief einatmen, ausatmen, diese Anschuldigungen mit Ruhe einstecken. "Natürlich war ich nicht begeistert, dass du dich mit Kaya absetzen wolltest, aber ich hätte euch nicht diesem Risiko ausgesetzt. Sie ist meine Schwester - ich hätte sie niemals verraten, auch wenn sie all meine Warnungen bezüglich dir getrost ausgeblendet hat."

Es ist immer ein Leichtes, die Schuld auf Andere zu schieben. Umso schwerer ist es, die Unschuld zu beweisen. Zumal ich keine Beweise habe. Ich hatte diesen einen Abend an einem kleinen See mitten im Wald verbracht, nachdem Aja und Samuel meine Sinne mit einem ihrer täglichen Streite beinahe zum Zerbarsten brachten. Ich war nicht bei Torin, Will oder den jungen Magiern, als Kaya und Simon überrascht wurden und auf eine abstruse Weise kann ich verstehen, dass sie mir die Schuld zuschieben. Selbst Kaya.

"Die Warnungen, die du wohl auch Talia gehörig eingeredet hast."
Ich schüttele den Kopf. "Talia hat sich ihr eigenes Bild von dir gemacht. Ich habe sie lediglich nur einmal davor gewarnt, dass du gefährlicher bist, als sie denkt. Etwas, was du ihr sicherlich auch über mich gesagt hast."

Er verleugnet es nicht. "Ich frage mich wirklich, warum ich dir geholfen habe."
"Da sind wir schon einmal zu zweit. Üblicherweise lässt du jeden im Stich."
Simon packt mich am Kragen, bevor ich ausweichen kann. "Ich habe Kaya nicht im Stich gelassen."
"Kaya interessiert mich nicht mehr", bringe ich hervor, reagiere kein wenig darauf, dass er mich bedroht. Meine Gleichgültigkeit diesbezüglich regt ihn nur noch mehr auf, das weiß ich. "Nur Talia. Da sind wir nun also wieder bei dem Thema. Wir drehen uns im Kreis, Simon."
Er verleiht seinem Griff Nachdruck. "Wir sollten es klären. Ein für allemal."

"Wir können nichts klären. Wir entscheiden nicht für sie." Ich schmunzele. "Zumal du es erstaunlich eilig hast. Dabei bist du derjenige, der kein Problem damit hat, sich wochenlang ihrem Leben fernzuhalten, obwohl sie jede Hilfe gebrauchen konnte. Man könnte meinen, es gäbe einen Grund dafür."

"Ich habe ihr geholfen. Vielleicht habe ich mich ihr nicht so aufgedrängt wie du, aber ich habe einen Weg gefunden, um ihre Magie zu vernichten."
"Dann weißt du sehr wohl, dass es immer einen Ausweg gibt. Vielleicht erklärt das, warum du plötzlich so erpicht darauf bist, zu ihr zu kommen."

Ruckartig lässt er mich los, zwingt sich zwei Schritte zurück und erdolcht mich mit seinen Blicken. Dabei habe ich Recht. Er will zu ihr, ausnutzen, dass sie ihre Erinnerungen nicht wiederhat. Dennoch weiß er auch, dass ich ihm das Leben zur Hölle machen kann, wenn in wenigen Stunden die Wirkung des Johanniskrauts nachlässt und meine Sinne und Stärke vollständig zurückkehren. Es gibt nur ein Problem: Talia möchte mich lieber in Lucius' Händen sehen als alles andere. Sie möchte mich nicht in ihrer Nähe wissen.

"Sie wird Sira bestimmt noch heute Nacht verlassen." Simon unterbricht mich nicht. Ich entnehme seinem verwirrten Blick, dass er nicht einschätzen kann, was ich damit ausdrücken möchte. Bei allen Göttern, ich kann es selbst auch nicht glauben, was ich gleich sagen werde. "Vermutlich geht sie zurück nach Meral. Ihr Bruder ist dort. Schau, dass sie sicher ankommt."

Vorsichtig nickt er, traut mir nicht. "Und du?"
"Ich gehe eine Magierin besuchen, die Will ausfindig machen kann. Zumal sie vielleicht eine Lösung für ihn und Talia hat." Simon verzieht die Miene, zeigt mir unverhohlen, dass er nichts von meinem Plan hält. "Ich weiß, an meiner Stelle ist es so einfach zu sagen, aber es wäre auch das, was sie will. Keine Magie, ihr normales Leben, wieder sie selbst sein zu können. Wenn sie dir wirklich so viel bedeutet, sollten dir ihre Interessen wichtig sein."

Er schnaubt. "Welch ein Zufall, dass es dir gelegen kommt."
"Wir treffen uns morgen Nacht am Hafen in Meral", fahre ich fort, unterlasse jegliche weitere Diskussion, die in einem Blutbad enden könnte. "Bis dahin werde ich hoffentlich mehr wissen."

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