"Manchmal frage ich mich, ob man so etwas jemals verzeihen kann."
Ash legt den Kopf schief, als würde er jedes meiner Worte genaustens überdenken, bevor er seine Antwort gibt. "Verzeihen sicherlich, aber vergessen? Nie."
"Und genau deshalb könnte es nie wieder werden, was es einmal war."
"Würdest du es denn gerne wiederhaben?"

Ich merke erst, dass ich die Teigtasche mit meinen Nägeln plage, als die Füllung zu Vorschein kommt. "Die schönen Momente? Und wie. Wenn ich aber weiß, was daraufhin folgt, verzichte ich doch lieber darauf. Manches ist in der Vergangenheit besser aufgehoben." Die Soße ummantelt die Teigtasche, versteckt den Inhalt darunter. "Ich habe noch nie jemandem von meiner Mutter erzählt. Sie stellen Fragen, wenn der perfekte Vater verunglückt, aber beim Verschwinden einer Frau? Es interessiert niemanden."
Ich stocke. Vermutlich interessiert es nicht einmal Ash. Er hört mir einfach zu, weil ich es bei ihm getan habe und er so viel Anstand aufbringt, mir ebenfalls diese Möglichkeit zu lassen.

Zuwider meiner Erwartungen beugt er sich näher zu mir, greift nach meiner freien Hand. Unsere Blicke verhaken sich ineinander, innig, tief, vertraut, derweil sein Daumen behutsam über meinen Handrücken streicht. Ich kämpfe mit meiner Magie um die Kontrolle, behalte sie, habe die Ruhe. "Es interessiert mich. Du interessierst mich."

Da ist es wieder - er reißt mich völlig aus der Spur. Ich sehe in die Tiefen seiner bernsteinfarbenen Iriden, versinke in ihrem Glühen und muss mich dazu zwingen, weiterzuatmen. Warum sagt er das? Und warum ist das genau, was diese Wärme in meiner Brust entfacht?
"Ich..." Ein unbeholfenes Räuspern, ein verzweifelter Versuch nicht zu akzeptieren. "...gehe kurz meine Hände waschen."

Schnell weg, schneller als das aufgeregte Klopfen meines Herzens. Blindlings stoße ich beinahe mit einer Bedienung zusammen, sehe das Tablett bedrohlich wackeln, ein Tropfen, der sich aus einem schäumenden Getränk stiehlt, und die Panik in ihren Augen, murmele eine knappe Entschuldigung. Das Stimmenmeer ebbt mit jedem Schritt ab, das Pochen in meiner Brust hingegen nicht. Was macht er nur mit mir? Ich möchte mich bei ihm fallen lassen, wäre das nicht solch ein verdammtes Wagnis. Alles an ihm ist ein Risiko, eine Unberechenbarkeit, ein Schritt näher an die Klippe, die mich mein Ende kosten wird, wenn er mich stößt.

Ich verlangsame meine Schritte, vernehme gehetzte Stimmen aus der Küche, ein auf dem Schneidebrett klapperndes Messer, das Zischen heißen Wassers. Ein Schild verkündet mir den Weg, vorbei an weiteren Türen, Mänteln und einer rustikalen Kommode. Aus einer weiteren Kammer dringt Licht auf den Flur, die Stimmen sind nicht mehr als ein Flüstern. Ich bin bereits an dem Raum vorbei, habe keinerlei Intention die Bediensteten zu belauschen, da werde ich hellhörig.

"Sicher?"
"Das muss er sein. Er hat das Schwert."
Augenblicklich stoppe ich. Reden die Beiden über Ash?
"Und das Mädchen?"
Ich tapse näher an die Tür, luge durch den winzigen Spalt in die Kammer. Zwei Mädchen, eine mit Schürze, die andere ohne - ist eine von ihnen etwa Faye? Die Augenzeugin, die Kaya dabei beobachtet hat, wie sie ihre Magie genutzt hat?
"Je nachdem, wie sie sich fügt - Lucius hat nur ihn erwähnt."

Lucius? Ich fahre zurück, brauche einen winzigen Moment, bis ich verstehe, was das bedeutet. Faye ist nicht irgendeine Augenzeugin, sondern eine Magierin, die von Lucius geschickt wurde, um Ash zurückzubringen, falls er hier aufkreuzen sollte. Heißt das auch, dass Kaya nie hier war? Dass der Zeitungsartikel nichts weiter als eine Attrappe war?
"Alles klar."
Erst als die Größere der beiden Mädchen danach greift, fällt mir das Schwert auf dem Tisch auf. Das ist nicht gut.

Hektisch drehe ich mich um, muss Ash warnen, da rempele ich geradewegs einen älteren Gast um. Er klammert sich an meinen Arm - ob wegen meinem Gleichgewicht oder dem seinen, weiß ich nicht.
"He, nicht so stürmisch, Kleine."
Stille im Raum, dann wird die Tür aufgerissen. Vor Verdutzen weit geöffnete Augen, Panik in meinen.
Mist.

InhumanityWhere stories live. Discover now