"Hast du Hunger? Ich kann zwischenzeitlich gerne etwas kochen."
"Ich verhungere", bringe ich hervor, werde mir erst jetzt des Lochs in meinem Magen bewusst.
"Sehr gut. Ich gebe mein Bestes."
Ich schenke ihm ein dankendes Lächeln, dann macht sich Will an die Arbeit.
Ich gebe mir alle Mühe, das Geschehene so unbemerkt wie möglich zu machen, schrubbe den Boden mehrmals mit Seife und reiße das Fenster auf. Dann schnappe ich mir Klamotten, die in etwa passen dürften, und verschwinde im Bad. Ich muss gestehen, Ash lebt ordentlich. Wenn mir etwas an Luan nicht zugesagt hat, dann waren es die in seinem Zimmer wild verstreuten Klamotten oder das lieblos über die Halterung geworfene Handtuch. Ash hat eines ordentlich aufgehängt, ein anderes sauber zusammengefaltet. Auf dem Boden finde ich nicht ein Haar oder Staubkorn und auch die vorrätige Seife wurde systematisch aufeinander gestapelt. Vielleicht ist es sein ausgeprägter Sehsinn, der ihm diese Sauberkeit abverlangt, aber woher kommt dieser Hang zur Ordnung? Luan könnte sich daran gerne mal etwas abschauen, auch wenn ich jede Begegnung zwischen Luan und Ash lieber vermeiden möchte.

Als ich aus dem Bad trete, frisch gewaschen und in Klamotten, die den Löwen bedecken, ist Wills Jacke an der Garderobe verschwunden. Dennoch vernehme ich fleißiges Hantieren aus der offenen Küche. Ich muss keinen Schritt weitergehen, um zu wissen, dass Ash dort steht. Unsicher verharre ich an Ort und Stelle, außerhalb seiner Sichtweite. Hat er mich nicht schon längst gehört? Ich beiße mir auf die Unterlippe, überlege, ob ich es unbemerkt zur Haustür schaffen könnte. Oder sollte ich doch lieber zurück in das Bad und eine Flucht aus dem Fenster erwägen?

"Wenn du gehen willst - ich halte dich nicht auf."
Ich zucke zusammen. Natürlich hat er gehört, wie ich aus dem Bad gekommen bin. Vermutlich hört er auch genauestens meinen viel zu schnellen Herzschlag.

Reiß dich zusammen. Ich werde mich einfach kurz bedanken, ihm versichern, dass er seine Klamotten wiederbekommt, sobald ich meine habe, und ihm vielleicht kurz zuhören, falls er ein offenes Ohr braucht, nachdem er erfahren hat, dass Kaya keinerlei Kontakt zu ihm aufgesucht hat. Nein, das lieber nicht. Ich lasse mich nicht noch einmal auf so etwas ein, brauche einfach nur Abstand von ihm, auch wenn er mich gerade nicht mit Luan erpressen könnte.

Zögernd trete ich näher. Ash blickt kurz zu mir. Ein kleines Lächeln umspielt seine Lippen, ein Zeichen der Anerkennung, dass ich nicht einfach hinausstürme.
"Will meinte, du hättest Hunger."
Er schiebt das klein geschnittene Gemüse in die Pfanne, erfüllt das Haus mit dessen leckerem Geruch.
"Wo ist er?"
"Er trifft sich mit Simon. Wo, wollte er mir nicht sagen."
Ich nicke, weiß nicht so ganz, was ich darauf erwidern soll. Wunderst du dich? wäre vermutlich mein Todesurteil, genauso Das kann ich mir gut vorstellen. Ich weiß dafür umso mehr, dass mir Will jetzt schon fehlt.

"Aja und Simon haben sich Sorgen um dich gemacht."
Für einen Moment glaube ich, der Henkel bricht ab, so fest umklammert er ihn plötzlich.
"Das wundert mich", murmele ich. Aja weniger, Simon schon mehr. Nachdem er mich unbedarft Ash überlassen hat, hätte ich mir mehr Gleichgültigkeit vorstellen können. Mit Blick auf den Henkel untersage ich mir jedoch jegliche weitere Äußerung bezüglich Simon und wechsele lieber schleunigst das Thema.
Zu meinem Pech ist Ash schneller.
"Auf dem Sofa liegen ein paar deiner Kleider."

Mit dem Blick folge ich seiner Kopfbewegung, betrachte das einem großen Fenster zugewandte Sofa. Derweil draußen die Sterne Licht in die Dunkelheit bringen und sich im Wasser eines Sees spiegeln, erkenne ich trotz des nur einen brennendes Lichtes über dem Tisch, dass sich auf dem Sofa ein sorgfältig hingerichteter Stapel an Klamotten befindet. Meiner Klamotten. Es gibt nur ein Problem - die Kleider waren meinem Wissen nach in meinem Zimmer in Meral.

"Du bist eingebrochen?"
"Das klingt so dramatisch."
Ich spitze die Lippen. "Du hast dir also unbefugten Zugang verschafft?"
"Immer noch so negativ konnotiert." Ash blickt zu mir, kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. "Ich dachte, du würdest dich in deinen Klamotten wohler fühlen als in meinen."

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