Sie legte den Koof schief.
„Aber ist es nicht die vielen Menschen wert, die dadurch gerettet und nicht kämpfen müssen?"

Ich seufzte. Sowas ähnliches hatte ich Nemesis auch gesagt, als sie sich geweigert hatte, uns im Krieg zu helfen.

„Ich habe Angst", teilte ich ihr mit, was sie bereits wusste, „Ich könnte so schrecklich versagen."
Kurz begegnete ich ihren ruhigen, wissenden Blick, dann sah ich wieder weg.
„Ich bin nicht bereit. Diese Macht bedeutet Verantwortung."
„Wir hätten dich nicht ausgewählt, wenn wir nicht wüssten, dass du sie tragen kannst", versprach Riniah.

„Wenn ich dieser Macht zusage, bin ich verpflichtet sie gegen die Infizierte zu nutzen. Ich werde sie töten müssen. Sie waren mal Menschen und ich vernichte jede Hoffnung auf Heilung für sie endgültig. Ich willige ein, dass du mich kontrollieren kannst, dass du dir etwas von mir nimmst."

„Die Infizierte sind keine Menschen mehr. Davon ist nichts mehr übrig. Sie sind nur noch Hüllen für Arnicus' Magie", berichtigte Riniah traurig, „Du erlöst sie von ihrer Qual. Irgendwann hat Arnicus' Magie alles aufgezehrt und sie sterben einen qualvoller Tod."

Als ich nichts sagte, beugte sie sich ein Stück vor.
So leid es mir tut, du hast keine Wahl, Drystan. Dein Volk zählt auf dich. Der Kriegsverlauf hängt von dir ab. Du bist der einzige, der die Infizierten wirksam töten kann, du darfst diese Macht nicht ruhen lassen."
„Das weiß ich!", fuhr ich sie an.

Einen Moment lang verengten sich ihre Augen bei meinem Tom, aber sie sah drüber hinweg und lehnte sich wieder zurück.

„Drystan, für Koranée ist es gerade ein Kampf gegen den leymalischen König und gegen eine übernatürliche Armee. Aber in meiner Familie zieht sich dieses Kräftemessen schon über Tausenden von Jahren hinweg. Das ist nicht der erste Krieg, den ich gegen meinen Sohn führe und wenn du deine Magie nicht annimmst, wird es auch nicht der letzte."

Ich runzelte die Stirn.
„Wie meinst du das, nicht der erste? Sprichst du davon, als ihr ihn aus dem Hinmel verbannt habt?"

Riniahs Haar schimmerte kaum merklich, als sie den Kopf schüttelte.
„Nein. Diese Geschichte liegt fern von der Wahrheit."
Ich hob die Augenbrauen. „Sie ist die Grundlage unserer Religion."
Achselzuckend erwiderte die Göttin: „Die Religion ist von Menschen gemacht. Die Opfer bringen nichts, bewirken nichts. Wir sind nicht in der Lage eure gedanklichen Gebete zu hören, höchstens, wenn ihr sie laut aussprecht und wir gerade hinhören. In euren Tempeln seid ihr uns nicht näher, als sonstwo."

Blinzelnd sah ich sie an.
„Und was ist dann die wahre Geschichte?"
„Die ist nur für den Träger meiner Magie bestimmt."
Meine Augen wurden schmal. „Ich bin der Träger."
„Nein", sie lächelte schmal, „Du weigerst dich dieser zu sein."

Eine Sekunde lang blieb ich still, dann war ich auf den Beinen.
„Das ist Erpressung."

Sie erhob sich nun ebenfalls, wobei ihre Röcke keinerlei Geräusch verursachten. Dabei bewegte sie sich noch eleganter als Nemesis, was ich kaum für möglich gehalten hätte.

„Das ist meine Strategie, den Krieg zum Guten zu wenden und einen launischen Teenager dazu zu bringen, mir zu helfen", sagte sie jetzt mit schneidender Stimme, „Ich kenne das Blutvergießen, das mein Sohn anrichten wird. Und ohne dich können wir ihn nicht aufhalten."

„Was ist mit Nemesis? Wenn ihr eure Magie wieder habt, braucht ihr mich doch nicht mehr. Dann könnte ihr ihn besiegen!"
Die Göttin sah mich eine Weile an und schwieg.

Erst war ich verwirrt, aber dann dämmerte es mir.
„Du denkst, dass sie es nicht schafft!"
Als Antwort zuckte sie wieder die Schultern.
„Unsere Magie wird gut bewacht. Und sie ist nur eine Sterbliche."
„Dafür, dass sie so viel riskiert, könntet ihr ruhig auch an sie glauben", meine Stimme wurde lauter und sie verzog den Mund kaum merklich.

„Achte auf deinen Ton, Junge. Ich bin immer noch eine Göttin."
Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken und ich besann mich wieder. Nach kurzem Räuspern sagte ich in ruhigeren und respektvolleren Ton:
„Ich meine ja nur, dass sie ihr Leben aufs Spiel setzt. Und niemand ist so stark wie Nemesis."

Riniah lächelte, als würde ich etwas dummes sagen.
„Es geht nicht darum, dass sie es nicht bis zu dem Versteck schafft. Es geht darum, dass die Magie, die unsre beschützt, tückisch sein kann. Deine Freundin kann zweifeln. Kann den Lügen glauben, die man ihr vorspielen wird."
Sie sah mich ernst an. „Es ist möglich, dass deine Freundin die Seiten wechseln wird. Sie kann uns verraten."
„Nein. Nicht Nemesis", hielt ich felsenfest dagegen, „Sie würde mich niemals verraten."

Riniah sah mich einen Moment lang an.
„Das mag für dich zutreffen. Aber die Götter bedeuten ihr nichts."
Ihre Augen bohrten sich in meine und mir wurde der Boden unter den Füßen weggerissen. Im Fallen hallte mir ihre Stimme nach.

„Umso mehr braucht die Welt dich."

Nemesis - Kronen und GötterWhere stories live. Discover now