Kapitel 1

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Was ist das denn? Warum ist es hier auf einmal so hell? Ich rolle mich ein bisschen aus meiner warmen kuscheligen Bettdecke und strecke den Arm heraus um den Wecker zu erreichen. 6 Uhr. Hä? Was ist denn jetzt los? Ich brauche einen Moment um zu verstehen, wer und wo ich bin und welchen Tag wir heute haben. Ach stimmt, heute ist ja der erste Tag nach den Sommerferien. Der letzte erste Tag nach den Sommerferien, um genau zu sein. Wow. So schnell kann es gehen. Vor kurzem hatte ich noch Angst, in der Oberstufe schlecht zu sein und mein Abitur nicht zu schaffen und hier bin ich jetzt: 17 Jahre alt mit einem Plan für die Zukunft. Nie im Leben hätte ich mir das erträumt. Lucy! – ein lauter Ruf reißt mich aus den Gedanken. 6:10 Uhr!. Meine Mutter aka der lebendige Wecker. Ich weiß! rufe ich laut und unüberhörbar totmüde nach unten. Sie weiß ganz genau, dass ich wieder einschlafe, wenn sie nicht alle 10 Minuten sicher geht, dass ich noch wach bin. Seufzend schäle ich mich komplett aus meiner Bettdecke und stehe auf. Zu früh. Viel. Zu. Früh. Ohne Zweifel. Gegenüber von mir steht mein Spiegel, in dem ich mich von oben bis unten betrachte. Wow, man sieht mir echt an, dass ich gerade erst aufgewacht bin. Nicht so wie diesen ganzen Influencern, die jetzt bestimmt alle schon mindestens eine Runde Yoga und einen Powerwalk hinter sich haben. Na ja, immerhin bin ich wach, das ist doch schonmal was. Ich mustere mich nochmal von oben bis unten: meine blonden Locken sind in einem Messybun auf meinem Kopf zusammengeknotet und ich trage meinen Einhorn-Pyjama. Ich werfe einen Blick in mein Zimmer: ich hab zwar noch kein Yoga gemacht, aber immerhin sieht es hier einigermaßen ordentlich aus. Um ehrlich zu sein bin ich echt gut darin, Ordnung zu halten. Über meinem Schreibtisch hängt mein Visionboard, das ich zu Beginn der 11. Klasse gemacht habe. Ein Foto von einem Haus mit Garten, von einem Hund, von einer Familie mit Kindern und ganz viele Fotos von Ärztinnen und Ärzten in Kliniken. Mein großer Traum wegen dem ich mich jetzt beeilen muss oh mein Gott. Mein Blick fällt auf die Uhr. 6:20 Uhr. Im selben Moment kommt der Ruf 6:20 Uhr, mein Schatz!. Ja ne echt, danke Mama Ich stürze zu meinem Kleiderschrank und ziehe den Kleiderbügel heraus, an dem ich gestern Abend zum Glück noch das perfekte Outfit aufgehängt habe. Ich ziehe es an und es sieht ganz genau so aus wie ich es mir vorgestellt habe. Das perfekte Outfit eben. 6.25 Uhr. Okay, schnell ins Bad. Ich putze meine Zähne, wasche mein Gesicht und trage ein bisschen Make Up auf, dass ich nicht ganz so müde aussehe wie ich es bin. Muss ja nicht jeder direkt sehen, dass ich die letzten 6 Wochen nie früher als 11 Uhr wach war. Während ich mit meinen Haaren beschäftigt bin klingelt mein Handy. Der Name SARAH leuchtet in Großbuchstaben auf. Als ich ran gehe schallt es direkt laut Guuuten Mooorgen meine Süße! durch das Badezimmer. Bei ihrer schrillen Stimme lächle ich direkt. Hey du, wie wach bist du denn bitte?! Die Frage konnte sich Lucy selbst beantworten: Sarah ist zwar auch noch nicht lange wach aber sie hat einen großen Vorteil: sobald sie wach ist ist sie wach. Also so richtig mit guter Laune. Wie kann man denn anders, bei dem schönen Wetter? Hast du schon gesehen, wie schön die Sonne heute scheint? – Ach das war das grässlich helle, was mich vorhin in den Augen genervt hat Wir kennen uns schon seit dem Kindergarten und sind seitdem unzertrennlich. Und ich habe sie noch nie morgens umgebracht weil sie zu wach war. Man darf sich selbst ja auch mal loben. Was soll denn diese schlechte Laune, heute ist unser letzter erster Schultag!!! schreit Sarah ins Handy. Aua mein Trommelfell platzt gleich, ich weiß, ich freu mich auch. Ich grinse direkt. Es ist schon ein total anderes Gefühl als an den ersten Schultagen zuvor. Jetzt fängt es bald an: das Leben. Also. Jetzt weiß ich, dass du wach bist und störe dich nicht weiter. Wir sehen uns nachher. 7:40 Uhr vor der Aula wie immer? – Genau. Tschüss du Verrückte. Auch die Arbeit an meinen Haaren ist nun beendet. Mit meinem Rucksack mache ich mich auf den Weg ins Esszimmer, wo meine Mutter auf mich wartet. Guten Morgen mein Schatz. Gut geschlafen? – Ja, guten Morgen Ich setze mich an den gedeckten Frühstückstisch und trinke einen Schluck Kaffee. Ohne den würde ich einfach nicht überleben, das ist Fakt. Rührei? meine Mutter ist eine absolute Küchenfee. Alles was sie berührt ist einfach himmlisch. Ja bitte antworte ich. Wo ist Papa? frage ich, als mir nach 5 Minuten am Tisch auch mal auffällt, dass er ja gar nicht da ist. In der Klinik. Frühschicht, weißt du doch. – Ah, stimmt, ganz vergessen. Zur Zeit ist echt viel los in der Klinik, weshalb mein Vater dauernd arbeiten muss. Er ist Chefarzt in einem großen Krankenhaus. Meine Mutter stellt den Teller mit Rührei und einer Scheibe Brot vor mir ab. Danke sage ich. Und bei dir so? Baut ihr immer noch dieses Hotel? frage ich meine Mutter. Ja, da sind wir dabei. Heute gehe ich wieder zur Baustelle um nach dem Rechten zu sehen. Soll ich dich dann bei der Schule absetzen? – Nein, musst du nicht. Finn holt mich ab. Ich grinse. Mein Freund und ich sind jetzt seit einem Jahr zusammen und es läuft einfach super. Ahaaa meine Mutter lacht. Und dann fahrt ihr gemeinsam mit dem Bus? Wie romantisch sie seufzt. Ach Mama, bitte reiß dich zusammen! Sie kann soo peinlich sein Aber sie hat recht: es ist wirklich romantisch. Das gebe ich vor ihr natürlich nicht zu. Schon gut. Was steht bei dir denn heute an? Ich seufze während ich daran denke, was mir heute noch bevor steht. Zwei Stunden Englisch, zwei Stunden Geschichte, zwei Stunden Biologie und zwei Stunden Mathe. Danach gehen Sarah und ich in die Bibliothek. – Ach Lucy, es ist gerade mal dein erster Tag in der 12. Klasse und du fängst schon an für das Abitur zu lernen?! Meine Mutter schaut leicht besorgt, aber ich weiß genau wie stolz es sie macht, dass ich in der Schule mein bestes gebe um in Papas Fußstapfen als Ärztin treten zu können. Von nichts kommt schließlich nichts, das hast du selbst gesagt. Und wir gehen danach noch zur Belohnung einen Kaffee trinken. – Also gut und du Schon klingelt es. Bevor sie auch nur ansatzweise ihren Satz zu Ende bringt renne ich zur Tür, weil das nur eine bestimmte Person sein kann. Ich öffne sie und falle Finn in die Arme. Er umarmt mich sanft und gibt mir einen Kuss auf den Haaransatz. Happy letzter erster Schultag flüstert er mir leise zu. Ich grinse. Wie kann er nur immer so süß sein? Wir haben uns am Anfang der 11. Klasse kennengelernt. Ich kannte ihn vorher gar nicht und hatte auch noch nie eine Beziehung. Im Biologie Leistungskurs kannte ich niemanden und habe mich deshalb neben ihn gesetzt, weil er sympathisch aussah. Zwei Wochen später hatten wir unseren ersten Kuss. Das ging wirklich schnell mit uns. Okay lass uns gehen. Sonst verpassen wir den Bus und kommen zu spät. Ich befreie mich aus seinen Armen und hole meinen Rucksack. Manchmal bist du soo unromantisch! ruft Finn mir mit einem gespielten bösen Unterton zu. Sag ich doch! entgegnet ihm Mama. Ich schüttle den Kopf und lache Ach so läuft das hier jetzt, ihr verbündet euch gegen mich? – Ganz genau. Antwortet Finn während er sich meine Hand schnappt. Also ihr beiden. Habt mal einen schönen Schultag. Wir sehen uns heute Abend, Lucy. Pasta oder Sushi? Ich schaffe es heute nicht zu kochen, weil ich den ganzen Tag unterwegs bin und dein Vater kommt auch erst gegen 18 Uhr nach Hause. Während unseres Gespräches zieht meine Mutter ihre schwarzen Lack-Highheels an, die sie immer anzieht, wenn sie den Boss raushängen lassen will, also gefühlt jeden Tag. Sushi bitte! rufe ich etwas zu euphorisch. Ich liebe Sushi. Also gut. Dann bis heute Abend! entgegnet sie. Finn und ich gehen Hand in Hand zur Türe raus. Mmh Sushi Da würde ich mich glatt selbst dazu einladen, wenn ich heute kein Fußballtraining hätte. Säuselt Finn. Ich weiß genau, dass er Sushi hasst. Ich kann dir ja was übrig lassen, dann kommst du und kriegst den Sushi, wenn du fertig mit Trainieren bist. – Ne du, lass mal. Wir bestellen heute nach dem Training Pizza. Antwortet er, während er auf den an die Haltestelle fahrenden Bus zeigt. Wir steigen ein und lassen uns auf einen leeren Zweiersitz fallen. Ich lehne meine Kopf an seiner Schulter an und schließe die Augen. Das gibt mir wieder richtig zu spüren, wie müde ich eigentlich noch bin. Die letzte Folge Greys Anatomy gestern hätte glaube ich doch nicht mehr sein müssen. Plötzlich werde ich durch ein sanftes Rütteln aus meinen Traum gerissen. Hey du Schlafmütze, wir sind da! Müde und verwirrt schnappe ich mir meinen Rucksack und Finns Hand und trotte neben her, aus dem Bus heraus. Von weitem sehe ich Sarah und traue meinen Augen nicht: Sie hält zwei Becher von Starbucks in der Hand. In diesem Moment liebe ich sie hundert Mal so viel wie Finn. Guten Morgen, Süße. Latte Macchiato mit einem extra Shot Espresso und Vanillesirup. Ich falle ihr um den Hals. Sie kennt mich einfach zu gut. Oh mein Gott ich liebe dich. Rufe ich ihr zu, während ich einen Schluck von meinem heißen Kaffee trinke. Sag das nicht zu laut! ruft Finn mit einer gespielt bösen Miene. Jaja, jetzt kommt wieder die Eifersucht. Aber musst du nicht los, zur Sporthalle? Ich wundere mich. Oh shit. Während er los rennt beginnen Sarah und ich zu lachen. Auch wir machen uns auf den Weg ins Schulgebäude. Ihr seid also gemeinsam zur Schule gekommen? Wie das? Sarahs Gesichtsausdruck verrät mir direkt, dass sie, wie eigentlich immer, zweideutig denkt. Nicht das was du denkst, er hat mich abgeholt. – Wirklich? Sie grinst. Ich lache Ja, frag meine Mutter. – Oha wie langweilig Wir lachen beide. Wie so oft bin ich froh, dass Sarah einfach immer einen lustigen Spruch parat hat, weil die kommenden zwei Englischstunden weniger unterhaltsam werden. Und? Freust du dich genau so auf die Schulze wie ich? Frage ich Sarah mit sarkastischem Unterton. Jetzt stell dich nicht so an, du hast bei ihr doch immer gute Noten. – Ja, aber genau deshalb hasst mich die Frau noch mehr. Sie hat mich ja eh noch nie gemocht, aber – Jetzt halt den Mund. Das wird schon. Nur noch dieses Jahr, dann müssen wir sie und alle anderen nervigen Lehrer nie wieder sehen. Dieser Satz bringt mich wieder zum Lächeln. Einfach unvorstellbar, dass das alle bald vorbei ist und ich dann meinem Traum nachgehen kann. Wir biegen ins Klassenzimmer ein, wo meine geliebte Frau Schulze schon vorne steht. Aber irgendetwas stimmt hier nicht. Ich blicke durch das Klassenzimmer und entdecke sofort den Grund für diese miese Stimmung hier.

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⏰ Last updated: Oct 03, 2022 ⏰

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