Will schnalzt belustigt mit der Zunge. "Ich hab' ins Schwarze getroffen."
Ich wirbele zu ihm herum, halte mich mit aller Willenskraft zurück. Wie kann er nur so rücksichtslos sein, noch mehr Salz in die Wunde streuen? Kaya. Kaya ist der Grund. Nicht er.
"Geh doch zu ihr. Was wird sie dir wohl sagen? Dass sie dich vermisst hat? Dass sie froh ist, dich wiederzusehen? Träum weiter." Sein Blick legt sich auf meine geballte Hand, auf die hervortretenden Adern. Er genießt meinen Kampf mit der Wut, treibt mich bewusst an die Klippe meiner Beherrschung und ich kann nichts dagegen machen. "Diese Worte wird ein Anderer von ihr hören."

Will keucht auf, kaum prallt er mit voller Wucht auf den Boden. Fassungslos starre ich auf meine Hände, fahre zurück. Du bist Opfer deiner eigenen Magie - es tut mir leid, Talia. Ich versuche es ja.

"Wenn du nicht sofort ruhig bist-"
"Du wolltest, dass ich rede", schleudert Will mir entgegen. Ich lasse mich auf das deutlich verschobene Sofa sinken, derweil sich Will aufsetzt, den Hinterkopf abtastet. "Genauso wie du wolltest, dass sie zu Simon geht."
Weil es mir um ihre Sicherheit ging. Weil ich wusste, wie ihre Antwort auf mein Angebot gewesen wäre, auch weiterhin bei mir zu bleiben.

Ich seufze, vergrabe meinen Kopf in den Händen. "Im Gegensatz zu dir weiß ich wenigstens, dass die Gefühle echt sind."
"Waren", brummt Will, kann den Tritt gegen Kaya und ihn natürlich nicht einfach so hinnehmen. "Wenigstens weiß ich, dass sie nach mir sucht."
Ich verziehe die Lippen zu einer Grimasse. "Bestimmt", murmele ich, meine Stimme ein Schwall an Ironie. Würde Kaya ihn wirklich wollen, wäre sie schon längst hier gewesen. Immerhin scheint sie genaustens zu wissen, wo ich wohne, nachdem sie selbst gesehen hat, wie Talia und ich...okay, andere Gedanken. Jetzt. Sofort- Ein Klopfen an der Tür. Für einen winzigen Moment macht mein Herz einen kleinen Sprung, nur solange, bis ich weiß, dass jegliche Wünsche nicht der Realität entsprechen.

"Habe ich es nicht gesagt?"
Will macht Anstände, sich vom Boden zu erheben, doch ich drücke ihn zurück, lausche den mehreren Herzschlägen vor der Türe. Drei, nein, vier - irgendetwas stimmt ganz und gar nicht.

"Das ist nicht Kaya." Ich versuche einen Geruch aufzunehmen, doch Talias Spuren und Wills Nähe überlagern alles.
"Du bist bloß-"
"Wenn du hier lebend raus möchtest, solltest du ruhig sein", zische ich ihm zu, lausche weiterhin. Kann Will nicht ein wenig leiser atmen? In der Aufregung der Ungewissheit weniger schwitzen?

"Nochmal."
Eine tiefe, rauchige Stimme. Ein Mann, mir völlig unbekannt. Ich verenge die Augen, fokussiere mich vollends auf ihn - wenn ich ihn nicht kenne, kann nur Einer ihn hierher geschickt haben, da Riyaks Einwohner noch nie etwas von mir wollten.
"Das ist dein Wir stecken echt tief in der Scheiße-Gesicht", murmelt Will, rümpft die Nase, als wäre ich Schuld daran. Zugegeben, wenn Lucius dahinter steckt, dann kann es sich nur um mein Vergehen handeln - zwei Magierinnen weniger bleiben auf die Dauer nun einmal nicht unbemerkt.

Das zweite Klopfen ist keine Aufforderung mehr, vielmehr eine Warnung. Mein Blick irrt zu den Fenstern in Richtung des Sees. Keiner zu sehen - noch stehen sie vor der Tür.
"Wie viele, Ash?"
"Vier."
"Oh nein." Will fährt zurück, versucht sich hektisch aus meinem Griff zu winden. "Vier? Nein, nein, nein. Ich bin gerade nicht in Bestform."
"Das müssen sie nicht sehen, oder?"

Wenn ich auf eines Verlass habe, dann darauf, dass Will mich versteht, die Bedeutung hinter meinen Worten erkennt. Die Tür wird eingetreten und kracht mit solch einer Wucht gegen die Wand, dass der Türgriff abbricht, doch Wills Magie ist schneller. Wir fügen uns der Luft, dem, was nicht gesehen werden kann. Hoffentlich - es sei denn einer der Magier kann die Energie durchschauen. Ich sehe mich, meine Hände und Füße, erkenne problemlos Will, doch die Blicke der drei Männer und des einen Mädchens gleiten suchend über uns hinweg.

"Sicher, dass er hier wohnt?"
Der Älteste von ihnen tritt hervor, begutachtet den Tisch, die noch immer dort versammelten Scherben der Vase. 
"Sicher." Ein Anderer deutet auf mein Schwert in der Ecke neben der Tür.
"Nicht nur er." Das junge Mädchen fährt mit ihren Fingern über Talias Umhang, dreht den Stoff zwischen Daumen und Zeigefinger. Meine Lippen sind nicht mehr als ein schmaler Strich, um die Worte zu ersticken. Nimm die Finger von ihren Sachen. "Die Heilerin wohl auch." 

Will zieht eine Augenbraue in die Höhe, formt ein tonloses Ach wirklich?
Obwohl er erneut versucht, mich zu provozieren, verfehlen seine Worte ihre Wirkung. Lucius weiß nicht, dass Talia nicht mehr hier ist. Dies bedeutet wiederum, dass sie ihm auf dem Weg nach Meral nicht in die Hände gefallen ist. Mehr brauche ich nicht zu wissen, mehr interessiert mich gerade nicht. 

"Warten wir jetzt?"
Bloß nicht. Sich nicht zu bewegen, um jegliches verräterische Geräusch zu vermeiden, ist eine Qual, umso mehr Zeit verstreicht. Will schüttelt den Kopf, fährt mit seiner flachen Hand am Hals von links nach rechts und zurück. 
"Noch ein paar Momente, ja?" Das Mädchen tritt direkt hinter mich, lässt ihren Blick über das Wohnzimmer, die Küche, Talias Buch auf dem Tisch streifen. Sie müsste nur die Hand ausstrecken, nur besser hören können und sie würde unser gepresstes Atmen vernehmen. Doch sie kann es nicht. "Manchmal braucht man nur ein wenig Geduld."

Als würde sie nach mir greifen, mir die Atemwege abschneiden, bekomme ich keine Luft mehr. Nichts. Kein Atemzug, kein wenig Luft. Als wäre der Raum auf einmal nichts als Leere. Panisch greift sich Will an den Hals, signalisiert mir, dass es ihm genauso geht. Ich wage es nicht, mich umzudrehen - jedes Geräusch wäre unser Verderben - und weiß doch, dass sie der Grund dafür ist. Sie atmet ruhig ein und aus, die Männer ebenso.

"Natürlich", murmelt ein anderer Magier, klingt weniger überzeugt. Er ahnt nicht, welcher Qual sie uns aussetzt. 
Mit weit geöffneten Augen blickt Will zu mir, weiß, dass wir nicht mehr lange haben. Mir selbst zieht ein Stechen durch die Lunge, die Brust, ich dürste nach Luft. Eilig deute ich auf die Tür zum Steg, zum Wasser, zur Luft. Will versteht sofort, springt auf. Augenblicklich reagieren die Magier, wissen nur nicht, wo. Ein Klicken, eine verriegelte Tür - noch so einer mit Simons verfluchter Magie. Ich schnappe den nächstbesten Stuhl, schleudere ihn gegen das Glas, schaffe uns den Weg frei. 

"An der Tür!", ruft das Mädchen, doch sie sind zu langsam. Bis der Erste das Sofa umrundet hat, schnappt Will bereits erleichtert nach Luft, kaum ist er im Freien. Eine Hand erwischt mich am Arm, stößt Energie auf mich, doch ich stoße ihn zurück, sodass er mehrere Schritte zurück gegen das Sofa prallt. Bevor er sich ansatzweise aufgerappelt hat, bin ich bei Will, ziehe ihn weiter, verdränge das Stechen meines Armes. Was zur Hölle hat er mit einer Berührung angerichtet? Ich wage keinen Blick auf die Haut, bringe uns in wenigen Augenblick so weit weg, dass wir außerhalb ihrer Sichtweite wären, wenn sie uns sehen könnten.

Dennoch werde ich erst langsamer, als wir am anderen Ende Riyaks angekommen sind, dort, wohin ich nicht mehr so schnell kommen wollte. Doch weiter schaffe ich es nicht. Will lehnt sich gegen die Mauer, beäugt mich wortlos. Vorsichtig drehe ich den Oberarm, blicke auf komplett verätzte Haut. Rötung, Blasen - das wird nicht so schnell verheilen. Wenn überhaupt. Dennoch mag ich mich nicht beschweren. Frei zu sein ist besser als Lucius dienen zu müssen. Frei zu sein gibt mir die Zeit, die ich brauche, um Verdrehtes wieder gerade zu biegen. 

"Um ehrlich zu sein, habe ich überlegt, dich den Magiern zu überlassen", gesteht Will teilnahmslos. 
Ernüchtert nicke ich, lasse meinen Arm los. "Mich wundert, dass du es nicht getan hast." Immerhin bin ich ihm egal - das haben seine Taten der vergangenen Tage genaustens gezeigt. "Lass mich raten: dafür soll ich dich gehen lassen."
Er antwortet zunächst nicht, scharrt mit seinem Schuh in den Kieselsteinen. "Geben und Nehmen, so funktioniert das doch."
"Du hast mir ganz schön viel genommen", bringe ich hervor, wende den Blick von ihm ab, bevor ich es mir anders überlege. "Geh."

Sein offener Mund ist das einzige Zeichen der Überraschung, das er sich anmerken lässt.
"Lass dir aber eins gesagt sein: Hätte Kaya gewollt, wäre sie schon längst da gewesen."
Seine Schultern sacken kaum merkbar ab - er ist sich dessen bewusst. Ohne ein Wort zu verlieren, streckt er den Rücken wieder durch und verschmilzt mit dem sanften Rot der untergehenden Sonne. Hoffentlich hat Kaya ihm genug Verstand gelassen, um nicht erneut zu werden, was Talia glaubt gewesen zu sein - gefangen im Wahnsinn.

InhumanityWhere stories live. Discover now