"Ich hatte wohl Glück", stimmt die Bäckerin ihr zu, erkundet die Wölbung ihres Bauches, derweil ihr Blick warnend zu mir schnellt. Wag es bloß nicht. Ein Lächeln bahnt sich auf meine Lippen - sie darüber aufzuklären, ist nicht meine Aufgabe. "Das Übliche?"
"Gerne."
Die Bäckerin schlägt geschickt ein Brot in Papier ein. "Wir hoffen auf ein Mädchen. Du weißt ja, die Jungen wollen viel lieber auf dem Meer als in einer Bäckerei sein. Apropos Jungen - wie geht es Luan?"

Luan. Vermutlich ein Bruder, wenn die Bäckerin von Jungen redet. Zumindest jemand, der nicht versessen darauf ist, sie in eine andere Familie einzuheiraten und zur Hausfrau zu machen.
"Er ist zurzeit sehr müde, wenn er von der Arbeit kommt, aber ansonsten gut."
"Das Unwetter hat den Männern wohl ordentlich Arbeit gegeben, nicht wahr?"
Talia nickt knapp. Widerwillig lösen sich ihre Finger vom Armband, um die Münzen zu suchen und das Brot zu verstauen.
"Gut, Liebes, lass dich gerne wieder einmal hier blicken. Und richte Luan Grüße aus."
"Mach ich. Grüße auch an deine Familie."

Luan ist ihre gesamte Familie. Keine Eltern, keine weiteren Geschwister. Nur eine Person. Als sich Talia umdreht und ihre Augen erneut meine streifen, liegt dort kein Schmerz - es muss schon lange so sein. Ich zerbreche mir gerade den Kopf darüber, was sie in ihren jungen Jahren erfahren haben muss, als sie geradewegs an mir vorbei die Tür ansteuert. Dann rieche ich es. Ihre Haut duftet nach Rose, wie schon bei unser ersten Begegnung. Dazu mischt sich der frische Geruch nach Zimt und der herbe Duft einer anderen männlichen Person, doch vor allem eines erkenne ich wieder - Sandelholz mit einer leichten Zitrusnote. Simon. Er muss sie in jüngster Zeit berührt haben.

"Was darf es bei Euch sein?"
Nur mit aller Kraft schaffe ich es, den Blick auf die Bäckerin zu legen.
"Das Gleiche", murmele ich wie in Trance, der Hunger ist schlagartig verflogen.

Meine Ohren fokussieren sich auf Talias Schritte auf den Pflastersteinen. Ich darf sie keineswegs verlieren. Kaum verklingt jedoch ihre beruhigende Präsenz, belagern die intensiven Gewürze meine Sinne und verdrängen alles, was nicht in unmittelbarer Nähe ist. Ich höre noch, wie sie in einen schnelleren Schritt verfällt, dann ist sie mit einem Mal außerhalb meiner Reichweite.
"Bittesehr, der Herr. Zwei Taler macht das."

Mit dem Brot unter dem Arm trete ich auf die Gasse und schärfe meine Sinne. Ihr Duft ist verweht, ihre Schritte abgeklungen. Also steuere ich die Richtung an, die sie zunächst anvisiert hatte. Ich biege um eine Ecke und kann zwischen den Häusern das ruhige, nebelbehangene Meer erkennen, als ich eine raschelnde Bewegung vernehme. Vorsichtig, vielmehr bedacht. Ich schnelle herum. Im Schatten eines Kamins lauert eine gebückte Gestalt, so dunkel gekleidet, dass ich dankbar für meinen ausgeprägten Sehsinn bin. Sie hat mir den Rücken zugewandt, schleicht leise auf dem Dach umher. Als sich die Person ein wenig vorbeugt, sehe ich das Schwert aufblitzen.

Ein Magier, sicherlich nicht zufällig in dieser unscheinbaren Hafenstadt. Vermutlich wird ihn ein Auftrag hierher geführt haben. Ein mulmiges Gefühl überkommt mich. Welch ein Zufall müsste es schon sein, wenn es sich nicht um den gleichen Auftrag handelt? Da kann ich nur von Glück sprechen, dass er eine Fährte aufgenommen haben muss. Das erleichtert mir meine Arbeit.

Ich könnte ihn schlichtweg auf dem Dach ausknocken oder aber ihm seinen Erfolg vor der Nase wegschnappen - eines davon gefällt mir weitaus mehr. Also beschleunige ich und erreiche binnen eines Lidschlags die Gasse, auf die er sich fokussiert. Ich erstarre in meiner Bewegung.
Nein.

Mit einem Mal ist wieder völlige Ruhe eingekehrt, nur Talias leise, zügige Schritte auf dem Boden und ihr Duft erfüllen die Gasse. Mein Blick schnellt zwischen ihr und dem Magier hin und her.
Natürlich macht es Sinn. Die Angst mir gegenüber und Simons Geruch an ihr - mit ein wenig Verstand hätte ich selbst darauf kommen können. Doch mein Verstand schaltet in ihrer Nähe ab, will sich in ihrer Präsenz treiben lassen.
Warum sie?

Obwohl der Magier so konzentriert auf Talia ist, dass er mich nicht bemerkt hat, zögere ich. Den Moment des Zögerns nutzt er aus. Ehe ich mich versehen habe, springt er vom Dach. Mit voller Wucht reißt er sie zu Boden, der Korb fällt achtlos zur Seite. Ein dumpfer Laut dringt zu mir, als ihr Kopf auf dem Stein aufschlägt. Im nächsten Moment dreht er sie grob zu sich um. Sie öffnet den Mund, vermutlich um nach Hilfe zu schreien, da zieht er einen Flakon hervor. Die Flüssigkeit ist im Nebel nur zu erahnen, aber ich weiß es dennoch. Johanniskraut.

Wimmernd presst sie die Lippen aufeinander, um zu verhindern, dass er ihr das Gemisch einflößen kann. Ich könnte ihn zweifelsohne die Arbeit für mich machen lassen, ihn dann aus dem Weg räumen und Lucius seine Magierin bringen. Als sich seine Finger jedoch erbarmungslos in ihre Lippen krallen, mit aller Kraft versuchen, ihren Widerstand zu vernichten, rast solch eine Wut durch meine Adern, dass ich mich nicht zurückhalten kann. Ich sollte sie in das Verderben führen. Nun werde ich jeden dafür zahlen lassen, der auch nur daran denkt, dies zu tun.

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