Ich musste erneut Luft holen. Es war wahnsinnig schwer alle gewohnten Mauern fallen zu lassen und dermaßen ehrlich und verletzlich zu sein.
Das konnte ich nur ihm gegenüber. Auch wenn ich im Nachhinein nicht sagen konnte, was dazu geführt hatte.
Er war meine Schwäche.

„Weil du es später vielleicht vergessen wirst", flüsterte ich.

Sein Blick wurde weich und er nahm meine Hand vorsichtig in seine. Er wusste, wie sehr ich Berührungen hasste, auch wenn es bei ihm in Ordnung war.
„Das könnte ich niemals", versprach er mir.

Ohne seine Augen loszulassen, die so voller Wärme waren, schüttelte ich leicht den Kopf.
„Das sagst du jetzt aber-"
„Ich habe dich schon einmal enttäuscht, als ich dir während der Flucht alles vorgeworfen habe, obwohl du uns lediglich retten wolltest", fiel er mir ins Wort ohne die Stimme zu erheben, „Das passiert nicht nochmal."

Verstummt starrte ich ihn an. Einen so sanften Umgang war ich nicht gewohnt. Vergebung erst recht nicht.
Zwar wusste ich, dass er es ehrlich meinte, aber letzen Endes würde er Angst haben, vor dem, was ich getan hatte.
Was nicht hieß, dass ich es bereute. Ich wusste einfach, wie es aussah.

„Meine Vergangenheit ist blutig und grausam", warnte ich nochmal, „Da ist nichts schönes oder ehrenhaftes dran. Auch nicht an meinen Motiven."
Doch Drystan nickte nur und zog mich an der Hand weiter. Ich wehrte mich nicht.
„Du schaffst das schon", ermutigte er mich.

Allein solche Worte hatte noch nie jemand zu mir gesagt. Meine Augen brannten verräterisch, aber ich gewann schnell die Kontrolle über meine Züge und Emotionen zurück.

Während wir der Halle von Arnicus immer näher kamen, baute ich meine Mauern wieder auf und stählte mich gegen das Bevorstehende.
Die Erinnerungen würden schwer sein, aber der leymalische König war so schon ständig da. Er lauerte knapp außerhalb meines Bewusstseins und schlug zu wie eine Viper, wenn meine Gedanken zu der Burg zurückkehrten.

Kurz bevor wir die Halle betreten würden, blieb ich ein zweites Mal stehen und zwang so auch Drystans dazu anzuhalten. Als er sich fragend umdrehte, das Unbehagen, das er spüren musste, war im deutlich ins Gesicht geschrieben, nickte ich zum Eingang vor uns.
„Das Geistwesen kann den Raum nicht verlassen. Wenn es versucht, diesen Bogen zu passieren, dann wird es von einer Barriere aus Blitzen zurück gehalten."
Eindringlich sah ich ihn an.
„Wenn uns irgendeine Gefahr droht, rennst du sofort hierhin. Egal, was mit mir ist. Verstanden?"
Er machte den Mund auf, aber ich fragte nur noch barscher: „Verstanden?"
Er wusste anhand meines eisigen Ausdrucks, dass es keinen Sinn hatte zu diskutieren, also nickte er unzufrieden.

Dann betraten wir endlich das Ende des Tunnels.

Vom Alter bröckelnde Säulen hielten die hohe Decke. Kaum setzten wir einen Fuß in den Raum, flammten die kreisförmig angeordneten Feuerschalen auf.
Drystan neben mir zuckte erschrocken zusammen, vergaß seinen Schreck aber beim Anblick der Statue in der Mitte.

Arnicus kniete mit einem Bein auf dem Sockel und stützte sich mit der Hand auf dem anderen Knie ab. Seine rechte Hand umklammerte ein Schwert.
Auf seinen lebensechten Zügen hatte der Künstler erfolgreich Schmerz und Wut eingefangen. Das Gesicht umrahmten weiche Haare, die ihm in die Stirn fielen.

Aus dem Augenwinkel bemerkte ich Drystans angespannte Schultern. Generell wirkte er, als würde er einfach nur weg wollen.

„Was ist das für ein Gefühl?", fragte ich und er schien nach Worten zu suchen.
„Keine Ahnung, mir ist einfach wirklich unwohl und alles schreit mir zu, zu fliehen. Wie ein uralter Instinkt in mir."
Er las sich die Schrift auf dem Sockel durch.

Ich ergebe mich der Dunkelheit.
Möge sie mich ins Licht führen.

„Es macht immer noch keinen Sinn", brummte der Prinz und verschränkte die Arme vor der Brust, „Also? Wo ist jetzt das Geistwesen?"

Nemesis - Blut und Schwerter حيث تعيش القصص. اكتشف الآن