K A P I T E L 1

1 0 0
                                    

JETZT - 2020
Alles ist dunkel. Mein Kopf dröhnt und ich höre verschiedene Stimmfetzen. Ich liege auf dem kalten und schmutzigen Boden. Wo bin ich und wer zum Teufel hat mir etwas angetan?

Heute steht mal wieder eine Schicht im Alex an. Seit zwei Jahren arbeite ich neben meinem Studium in einer der angesagtesten Bar's in Passau. Jetzt stehe ich wieder einmal vor meinem großen Spiegel und suche mir ein Outfit für den Abend raus. Eine wichtige Regel, wenn man im Alex arbeitet, lautet: Ziehe niemals das gleiche Outfit an. So cool diese Regel auch klingen mag, sie ist es nicht. Sie ist es absolut nicht.
Nach zehn Minuten entschied ich mich für ein weißes Kleid mit kleinen Blüten und dazu natürlich meine geliebten Doc's. Mit meinen 1,55 Meter war ich nicht gerade die Größte und versuchte wirklich alles, um größer zu wirken. Dafür sind meine Doc's mit Absatzsohle natürlich perfekt. Ich packte meine kleine Handtasche und machte mich auf den Weg in Richtung Bar.
Von meiner Wohnung bis dorthin sind es ungefähr fünfzehn Minuten zu Fuß, welche ich gerne auf mich nehme, da ich ein großes Stück an der Donau entlanglaufen und den Sonnenuntergang anschauen kann. Nichts und niemand wird dieses wunderschöne Bild jemals überbieten können.
Als ich in die Straße zur Bar einbiege, kann ich schon Stimmen und Musik wahrnehmen. Du schaffst das, nur noch eine Woche, dann hast du erstmal vier Wochen Urlaub, redete ich mir ein. Seit vier Jahren plane ich jetzt meinen Trip nach Frankreich, wo ich eine kleine Reise quer durch das Land machen werde. Bald ist es endlich so weit und ich kann meinen Traum verwirklichen. Ich habe mir einen Van geholt, welchen ich zusammen mit meiner besten Freundin Lilli herausgeputzt habe. Wir haben daraus eine Art mini Wohnung gebastelt. Eigentlich fahr ich nicht gerne Auto, da ich meine Eltern vor sieben Jahren bei einem Autounfall verloren habe. Aber das ist was anderes. Es ist mein Traum seitdem ich denken kann und ich werde ihn umsetzten.
Die Türen vom Alex öffneten sich automatisch und ich sah schon jetzt eine unfassbar große Menschenmenge vor der Theke stehen. Heute hatten Ben, Lilli, Alex und ich Schicht. Zu viert sollte es an einem Freitagabend eigentlich ganz gut klappen. Alex gehört das Alex, er hat es nach sich selbst benannt. Er ist ein kleiner selbstverliebter und reicher Junge aber so nett, dass das alles in den Hintergrund ruckt.
Ich schlängelte mich an den ganzen Gästen vorbei und ging hinter den Tresen. „Hey Liana! Schön, dass du da bist." Alex umarmte mich und machte mir Platz, um zu Lilli zu gehen. Sie kam ebenfalls schon auf mich zu und nahm mich in die Arme. „Hi Liebes, ich hab dich vermisst letzte Woche! Blödes Studium." Oh ja und wie ich Lilli auch vermisste. Letzte Woche hatte ich ein anstrengendes Wochenende an der Uni, da die letzten Klausuren anstanden. Aber jetzt ist alles geschafft und ich kann mich ganz auf die Arbeit konzentrieren. „Lilli, ich hab dich auch so sehr vermisst. Ich leg schnell meine Sachen im Büro ab und komme gleich wieder."
Hinter der Theke ist eine große Tür, welche zu unserem Büro, beziehungsweise zu unserem Aufenthaltsraum, führt. Dort lege ich meine Jacke und Tasche ab.

Es ist schon fast Mitternacht und ich habe nicht mehr lange zu arbeiten. Heute war es mal wieder super anstrengend, da so viele Studenten da waren. Die Klausurenphase ist vorbei und das möchte natürlich jeder feiern. Ein etwas älterer Mann ist uns allen schon den ganzen Abend über aufgefallen. Er verhält sich sehr aggressiv und wird schnell laut. Jetzt kommt er leicht schwankend auf mich zu. „Hallo, ich hätte gerne einen Wodka-E", schrie der Mann mich an, da die Musik inzwischen sehr laut ist. „Gerne, einen Moment bitte."
Ich holte ein Glas aus dem Schrank und füllte es mit Eiswürfeln. Gerade als ich den Schub zum Vodka aufmachen will sehe ich, dass unser Energy leer ist. „Lilli kannst du dem Mann bitte ausrichten, dass es noch kurz dauert. Der Energy ist leer und ich muss neuen aus dem Lager holen." Sie nickte und wandte sich dem Mann zu. Im Lager angekommen, nahm ich einen Pack voller Flaschen mit und machte mich zurück auf den Weg zur Bar.
„Das hat aber ganz schön lang gedauert, Kleines." Ich musste nicht einmal aufschauen, um zu wissen, dass es sich um den Mann der Wodka-E Bestellung handelte. Nur noch eine Stunde, dann hast du es geschafft und kannst in dein Bett. Ich beeilte mich mit dem Wodka-E und hörte mir nebenbei ekelhafte Kommentare über mich an. „Geht's noch langsamer?" „Da ist sogar eine Schildkröte schneller." „Wer stellt Sie bitte in einer Bar ein. Typisch für Frauen, kriegen mal wieder nichts auf die Reihe." Nach diesem Spruch reichte es mir. Ich lies das Gals stehen und machte mich auf den Weg zu Alex. Er soll diesen Typen gefälligst rausschmeißen.
„Alex, der Mann mit dem blauen Pulli da vorne verhält sich abwertend gegenüber mir. Kannst du ihn bitten zu gehen?" Ohne zu antworten macht sich Alex auf den Weg. Die beiden unterhielten sich eine Weile und es ist deutlich anzusehen, dass es bei dem Typen nicht mehr lange dauern wird bis er Alex eine reinhaut. Deshalb beschließe ich hinzugehen und ihn höchstpersönlich raus zu bitten.
„Entschuldigung für die Störung, ich—" „Halten sie kleines Stück Dreck gefälligst den Mund. Ich musste ganze vier Minuten auf meine Bestellung warten." Er ließ mich nicht einmal ausreden. „Tut mir Leid aber der Energy war leer und—" Schon wieder fiel er mir ins Wort. „Jaja, diese dummen Ausreden können Sie sich sparen. Ich werde hier gar nichts verlassen. Davor verlässt Blondie die Bar." Blondie? Sein ernst? Ja, ich bin blond - aber das ist noch lange keinen Grund mich ‚Blondie' zu nennen. „Jetzt hören Sie mal zu, ich finde es nicht—"
Alles ist dunkel. Mein Kopf dröhnt und ich höre verschiedene Stimmfetzen. Ich liege auf dem kalten und schmutzigen Boden. Wo bin ich und wer zum Teufel hat mir etwas angetan?

Langsam komme ich wieder zu mir und merke nur, wie mich jemand versucht, aufrecht hinzusetzen. „Oh Gott Liana, geht's dir gut?", flüsterte Lilli mir ins Ohr. Ich öffnete die Augen und sah ein paar Menschen um mich herum stehen. Sie blickten alle auf mich hinab. Wow, der Mann von vorhin hat mir wirklich eine rein gehauen. Von draußen hörte ich Blaulicht und kurze Zeit später kam die Polizei in die Bar gestürmt. Ich sei anscheinend rückwärts mit meinem Kopf gegen den Kühlschrank geknallt und direkt auf dem Boden gelandet nachdem der Mann mir ins Gesicht geschlagen und eine Platzwunde hinterlassen hatte, erklärte mir Alex.
Ich erklärte der Polizei das Geschehene und wollte mich gerade auf den Weg nach Hause machen. Mein Kopf pochte ein wenig und ich hatte starke Schmerzen am Steißbein aber es ist nicht weit zu meiner Wohnung und ich schaffe es noch dorthin. „Liana, warte!" Gerade ging ich zur Tür hinaus, da rief mir Alex hinterher. „Du musst ins Krankenhaus. Ich mache mir wirklich sorgen um deinen Kopf. Als dein Arbeitgeber kann ich dich nicht einfach gehen lassen." Ins Krankenhaus? Da war ich zuletzt als meine Eltern, ja als meine Eltern den Unfall hatten. „Muss das wirklich sein Alex?" Eigentlich kenne ich schon die Antwort, gegen Alex kommt nämlich nichts an. Setzt er sich etwas in den Kopf, dann muss das auch so passieren. „Ja muss es. Los ich bring dich hin."
Alex führte mich zu seinem Auto und ich setzte mich hinein. Keine fünf Minuten später, erreichten wir das große Gebäude. „Du musst nicht mit rein, das schaffe ich alleine." Ich brauchte ganz bestimmt keinen Aufpasser, ich bin alt genug. „Sicher?" Ja, das bin ich mir absolut. „Klar, ich melde mich dann."
Ich lief zur Notaufnahme und es kam mir direkt eine Frau in dunkelblauer Pflegerkleidung entgegen. Sie brachte mich in einen kleinen Untersuchungsraum und schaute sich alles an mir an. Meine Kleidung ist stellenweise schmutzig und voller Blut. Die Frau säuberte meine kleine Platzwunde über der Augenbraue. „Ihr Steißbein und die Platzwunde wird wieder, aber über ihren Kopf muss ein Arzt schauen, da Sie so stark gegen etwas geknallt sind und kurz nicht ansprechbar waren, kann es sein, dass Sie eine kleine Gehirnerschütterung erlitten haben. Ich hole ihn kurz." Sie verließ den Raum und ich wartete auf den Arzt. Auf weitere Untersuchungen hatte ich nun echt keine Lust mehr. Ich fühlte mich eklig, kalt und konnte eigentlich auf der Stelle schlafen.
Durch die Tür, welche gegenüber von mir liegt, kann man leichte Stimmen erkennen. Die Tür öffnete sich eine Spalt. „Sind Sie sich sicher? Liana Fuchs ist ihr Name?" Wieso fragt der Arzt die Schwester so über meinen Namen aus? „Ja, das ist Sie." Die Tür öffnete sich komplett und der Arzt drehte sich um.
Er sah mich an und ich sah ihn an. Fuck. Ich sah ihm in seine leuchtend grünen Augen und fühlte Wut. So stark, wie ich sie noch nie zuvor gefühlt hatte. Ich konnte ihm ansehen, wie sein Herz in tausend Stücke zersprang. Genauso wie meins, nur ist mir das schon vor sieben Jahren passiert.

Love never diesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt